In der Ausgabe 10/21 vom 11. März 2021 haben wir einen Kommentar von Ellen Presser veröffentlicht. Ihre Meinung lautete: »Jüd*innen und anderer Gender-Stuss. Die deutsche Sprache braucht keine Gleichschaltung des grammatischen mit dem biologischen Geschlecht«. Dieser Text hat viele und kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Wir veröffentlichen auf dieser Seite weitere Meinungsbeiträge zum Thema.
Drei Dinge stehen fest, und die kann man sich gar nicht zu selten in Erinnerung rufen, nämlich: Der Duden schreibt keine Verwendung vor, der Duden bildet nur ab, wie Sprache verwendet wird. Es gibt keine Instanz, die darüber entscheidet, wie wir sprechen dürfen und wie wir nicht miteinander sprechen oder schreiben dürfen. Vielleicht abgesehen von redaktionellen Absprachen – aber das sind Vereinbarungen. Wir alle formen die Sprache. Sprache ist einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen. Betrachten wir einmal, der Abstraktion halber, die hebräische Sprache. Erste Texte in modernem Hebräisch waren noch stark geprägt von der Sprache des Tanach. Nur Jahrzehnte später war Hebräisch eine Sprache, die im Heute angekommen ist und sich weiterentwickelt. Zweitens: Sprache formt das Bewusstsein. Ob wir das einsehen oder nicht, der Gebrauch von Sprache hat auch Anteil an unserem Weltbild und wie wir Dinge wahrnehmen. Drittens: Verwenden wir doch ein Argument von Amos Oz (»Liebe Fanatiker«). Menschen, die sich zu sehr einer Ideologie verschrieben haben, und sei es die Ideologie der Veränderung, werden zu Fanatikern, wenn die Welt nicht die Vorstellung abbildet, die sie haben. So weit ein Argument von Amos Oz. Und das gilt für diejenigen, die Fortschritt durchsetzen wollen, genauso wie für diejenigen, die den Fortschritt aufhalten wollen. Die Sprache des Fanatismus selbst ist die Sprache des Exzesses, der Absolutheit, eine Sprache, die keine andere Wahrheit zulässt und das Ultimative sucht. Ellen Presser tut das in ihrem Text mit Verweisen auf den Nationalsozialismus und die Schoa, seien sie gewollt oder ungewollt: Von »Gleichschaltung« war im Text die Rede, und »dann bekommen Leute wie ich auf neue Weise einen Stern verpasst« – was wohl kaum eine zufällige Formulierung war. Ja, das »Sternchen«, wie das Zeichen korrekt heißt (man kann auch Asterisk verwenden), wir wollen ja sprachlich »korrekt« bleiben, ist optisch keine schöne Lösung und bei der Übernahme des Buchstaben »ü« in »Jüd*innen« hinein, läuft es einem eiskalt den Rücken herunter. Mir fällt aber keine bessere Lösung ein. Aber das ist kein Grund, bei einer zu bleiben, die Dritte nicht verwenden möchten. Andere Zeichen als die des Asterisks werden derzeit sogar ausprobiert, denn Sprache – und damit auch ihre Verschriftlichung – lebt. Gesellschaften, deren Sprache kein grammatikalisches Geschlecht kennen, sind nicht automatisch egalitär und haben andere Mechanismen gefunden, um Menschen auszugrenzen. Aber die Prozesse (sprechen wir bewusst nicht von einem »Kampf«), die dazu führen, eine bessere Gesellschaft zu erreichen und die jetzige zu heilen, erreichen wir nicht durch Fanatismus. Chajm Guski
Deutsche tun sich schwer mit dem Wörtchen »Jude«. Anders als »Jew« (englisch) oder »Juif« (französisch), hängen an dem Begriff üble Assoziationen aus Nazi-Zeiten. (Heute beschimpfen sich Schulhof-Kids gegenseitig als »Jude«.) Deshalb hält der deutsche Sprachgebrauch lauter verklemmte Umschreibungen parat: »Kind jüdischer Eltern«, »jüdischer Herkunft«, »von den Nazis vertrieben …«. Nun geht es endlich korrekt zu: Den etwas peinlichen »Juden« ersetzen gendergerecht »Jüdinnen und Juden«. Dass Nazis und andere Judenhasser je zwischen W und M unterschieden hätten, ist nicht verbrieft. Vertrieben, verschleppt und vernichtet wurden Juden als solche. Jüdinnen wurden nicht »ausgegrenzt«, Kinder auch nicht. – Es wächst der Handlungsbedarf. Um auf die Allmacht der Juden anzuspielen, muss es korrekt heißen: »Weltjüdinnentum und Weltjudentum«. Dito: »jüdische Spekulantinnen und Spekulanten«. Fassbinders Der Müll, die Stadt und der Tod gehört aufgefrischt. »Und Schuld haben die Jüdin und der Jud’, weil sie und er uns schuldig machen.« Rollt nicht mehr so gut, ist aber genderpolitische Pflicht. Und weiter zurück in die deutsche Geschichte. Heinrich von Treitschkes berühmter Satz, den die Nazis aufgenommen haben, muss nun korrekt heißen: »Die Jüdinnen und Juden sind unser Unglück.« Es ist auch zutiefst genderungerecht, dass auf den gelben Schandflecken, die Israeliten tragen mussten, bloß »Jude« stand. Jüdische Frauen haben sich bestimmt zurückgesetzt gefühlt. Ebenso durch »Judenschwein« statt korrekterweise »Jüdinnensau«. Heute müssen auf der anderen Seite »Antisemiten« zu »AntisemitInnen« werden. Freilich wird das große Binnen-I Ieicht übersehen oder überhört. So bleiben nur »innen«, also weibliche Böslinge übrig, richtig: Böslinginne. Das ist kein Gewinn für Frauen, aber der unumgängliche Preis der linguistischen Gleichberechtigung. Josef Joffe
Gendern, welch ein schwieriges Thema für Publizist*innen! Die Kluft zwischen Verfechter*innen und Kritiker*innen ist tief, und Sie als Leser*in spüren bereits, wie holperig ein Text beginnt, wenn die Sternchen ihn überfluten. Wir Journalist*innen sind gehalten, aufs Sternchen zu tippen oder die Nanosekunde zwischen dem »r« und dem »i« auszusetzen, wenn wir Künstler*innen oder Sportler*innen im Radio oder vor der Kamera erwähnen. Ich selbst versuche, das Problem kreativ zu umgehen. Mein häufig genutztes Instrument ist die Aufzählung: Aus Künstler*innen werden Malerinnen und Tänzer, Schauspielerinnen und Sänger. Das ist inhaltlich nicht ganz korrekt, wirkt aber weniger spitzmündig. Weniger beflissen. Weniger eilfertig. Weniger angepasst. Das Sternchen stört mein Empfinden für sprachliche Schönheit, es trübt den Glanz, die Poesie, auch die Ironie, den so notwendigen Fluss der Worte und Sätze, das Gesamtkunstwerk eines Textes, die literarische Ästhetik. Dieses »Wir-meinen-die-Frauen-mit-*Sternchen« macht das Schreiben komplizierter und die Lektüre ebenso. Manchmal ist es sogar falsch und damit umso ärgerlicher. Ellen Pressers Argument stimmt. Wer aus lauter Gender-Devotismus formuliert, 1938 seien jüdische Münchnerinnen und Münchner nach Dachau deportiert worden, behauptet historischen Stuss. Es waren nur Männer. Ellen Presser mag, so schreibt sie, »keinen Stern verpasst« bekommen, das ist ihr gutes Recht, die Doppeldeutigkeit der Formulierung beschert ihr jedoch einen Shitstorm bei Facebook. Der ist ungerecht, sie wird absichtsvoll missverstanden. Mit dieser kleinen Provokation hat Presser die Schoa nie verharmlost, denn sie hat sie weder erwähnt noch gemeint. Der ausgrenzende Reflex ist jedoch typisch für die Gnadenlosigkeit, mit der Genderistas uns Skeptiker*innen der mangelnden Empathie und des mangelnden Emanzipationswillens bezichtigen. Dabei brauchen starke Frauen keine Sternchen und keine Aussetzer, um sich durchzusetzen. Und vermeintlich schwache schwächt das Sternchen nur noch mehr. Aber vielleicht sind wir nur zu alt, um die Genderei noch mitzumachen? Oder sollten wir einfach nach Estland auswandern? Dort gibt es nur ein gemeinsames Personalpronomen für beide Geschlechter. Tema armastab teda kann heißen: Er liebt sie – Sie liebt ihn – Sie liebt sie – Er liebt ihn. Wie es Euch gefällt. Und ohne *. Maria Ossowski
Es scheint eine Art Sport in Deutschland zu sein: Wenn einem etwas nicht passt, dann greift man zu NS-Vergleichen. Wenn man in der Straßenbahn in eine Kontrolle gerät und kein Ticket dabei hat, dann ist das »wie bei den Nazis«. Auch Jana aus Kassel fühlt sich wie Sophie Scholl, wobei ihr irgendjemand mal stecken sollte, dass Sophie Scholl kein Gefühl war. Ich hätte gedacht, dass sich Jüdinnen und Juden an diesem Sport eher nicht beteiligen, denn solcherlei Argumentation verharmlost den Nationalsozialismus und entwürdigt die Opfer. Auch hätte ich von Jüdinnen und Juden mehr Einsicht erwartet, was der Nationalsozialismus wirklich war, als von Jana aus Kassel. Scheint aber nicht so zu sein: In einem Kommentar gegen den Gebrauch von Gendersternchen schreibt Ellen Presser: »Die deutsche Sprache braucht keine Gleichschaltung des grammatischen mit dem biologischen Geschlecht.« Wow – Gendern ist wie die Gleichschaltung der Nazis. Darunter scheint es nicht zu gehen. Fast frage ich mich, warum nicht noch ein Vergleich von Hakenkreuz und Gendersternchen vorkommt, wo er doch so nahe gelegen hätte. Weil eine Sache auf die Nerven geht, muss gleich ein Nazi-Vergleich her. Ellen Presser gibt sich sprachsensibel und findet Gendern unerträglich. Offenbar reicht die Sensibilität nicht bis auf das Feld der Vergleiche. Was Ellen Presser geritten hat, zur Formulierung von der Gleichschaltung zu greifen, ich weiß es nicht. Genauso wenig, wie ich weiß, was die Jüdische Allgemeine geritten hat, die Formulierung zu veröffentlichen, und weil man sie offenbar so gelungen fand, auch noch im Vorspann zu bringen. Gerald Beyrodt
Ich habe auch etwas gegen das Gendern, bin gegen das Sternchen. Als Frau meiner Generation konnte ich zahlreiche Erfahrungen mit Diskriminierung sammeln und kämpfe für die Gleichberechtigung. Als studierte Übersetzerin in sechs Sprachen, promovierte Literaturwissenschaftlerin lebe und arbeite ich mit der Sprache. Allerdings ist das Gendersternchen für mich absurd, überflüssig, eine Sprachverhunzung und dazu unübersetzbar. In meinem Aufsatz neueren Datums über die Geschichte des Feminismus, der ins Französische übersetzt wurde, wurde das von mir als eines der Beispiele angeführte »Ingenieur*Innen« zu »Ingenieurs d’interieur« (sic!). Ja, die Welt lacht über uns. Das Sternchen hat die maskuline Mehrzahl abgeschafft, die Frauen auf ihr Geschlecht reduziert – es findet eine Rolle rückwärts statt. Die Sexualisierung der Sprache ist dem Anliegen der Frauen schädlich. Die deutschen Suffixe -in und -innen sind eindeutig, andere braucht man nicht. Wenn ich Dissertationen über Juden begutachte, in denen durchgehend von »Jüdinnen und Juden« die Rede ist, anstatt einer Voraberklärung, dass »Juden« zugleich »Jüdinnen« umfasst, dann habe ich den Verdacht, dass dadurch der Umfang künstlich aufgebläht werden soll. Das generische Maskulinum ist dem Deutschen eigen und per se sexneutral, so der Sprachwissenschaftler P. Eisenberg, es darf nicht als »männlich« missverstanden und beseitigt werden. Auch die Substantivierung von Partizipien – etwa Studentinnen und Studenten jetzt nur noch als Studierende – ist falsch. Neuerdings wird sogar die biologische Elternrolle von Mann und Frau infrage gestellt. Schrille Transgender-Forderungen nach »Gebärenden«, »Austragenden« und so weiter lassen ferner vermuten, dass hier sachfremde, ideologisch verquere Aspekte eine Rolle spielen. Sprachdiktate sind aber gefährliche Signale des Totalitarismus, ob die lingua tertii imperii oder ein »Jargon der Eigentlichkeit«, nun ist es der Genderismus. Dagegen müssen wir uns alle – Frauen wie Männer – wehren. Elvira U. Grözinger
Sprache ist kein Monolith, sondern das Werkzeug der Gesellschaft, die sie verwendet. In der deutschen Sprache haben wir mit einigen Termini bis heute Schwierigkeiten. Weil sie Zeugnisse der Gesellschaftsordnung sind, in der sie gezielt verwendet wurden, um Menschen auszugrenzen und letztlich zu vernichten. Die »Neue Rechte« macht sich in ihren Kommunikationsstrategien gerne zu eigen, dass das den meisten hierzulande kaum auffällt. Erfolgreich hat sie es geschafft, antifeministische Bilder zu mainstreamen und eine Bedrohungsfantasie durch die scheinbare »Genderdiktatur« heraufzubeschwören. Sie zieht hierfür auch gerne den einen oder anderen Vergleich heran, der die Unvergleichbarkeit dieses vermeintlichen Umsturzversuches greifbar machen soll. Der Autorin scheint für die Betonung des Standpunktes, Sprache dürfe hinsichtlich der Sichtbarmachung von geschlechtlicher Vielfalt nicht verändert werden, scheinbar kein Bild groß genug. Ja, Sprache ist mächtig. Blinde Flecken sind es auch. Es geht bei gendersensibler Sprache nicht um »Gleichschaltung«, sondern um Sichtbarmachung. Menschen wird nicht »wieder ein Stern« angeheftet, sondern sie erhalten die Möglichkeit, sich auch in der Akkuratheit der deutschen Sprache in ihrer Vielfalt wiederzufinden. Wer sich davon nicht abgeholt fühlt, kann bei dem Normativ bleiben, in dem er sich vertraut fühlt. Zu lesen, dass eine jüdische Frau sich lieber NS-Terminologie zu eigen macht, als sich in die gesellschaftliche Perspektive zu versetzen, warum das manchen Menschen wichtig sein könnte, finde ich bedauerlich, um es vorsichtig auszudrücken. Und ich muss Sie enttäuschen, Frau Presser. Die Sprache, die Sie als »unsere« bezeichnen, gibt es nicht. Denn die Argumentation, die Sie verwenden, kommt von den Leuten, die sie nutzen werden, um auch Sie und mich, ob wir gleicher Meinung sind oder nicht, als Nächstes wieder auszuschließen, um es vorsichtig auszudrücken. Dass geschichtliche Fakten in Bezug auf den NS nicht akkurat wiedergegeben werden, hat nichts mit einer vermeintlichen Gender-Agenda zu tun, sondern dass die im Text erwähnte Person ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Ein schwaches und willkürliches Argument. Wenn es um geschlechterbasierte Geschichtsvergessenheit geht, sollte vielleicht eher damit begonnen werden, festzustellen, wie vergleichbar wenig bisher über die Gewalt an Frauen und von Frauen in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis bekannt ist. Aber das wäre ein anderer Text. PS: Der Aufschrei von Männern, den die Autorin vermisst, die von dieser Sprachpraxis angeblich ausgeschlossen werden, zeigt sich im Übrigen täglich in Form von übelster Hassrede, Drohungen und Verleumdungen. Die Personen, es sind überwiegend Frauen, die diesen Tiraden ausgesetzt sind, vermissen den Aufschrei sicher nicht. Er ist allgegenwärtig. Laura Cazés
Geht uns Juden die Gender-Debatte mit ihrer Sprach-Reglementierung etwas an? Uns geht alles an. Besonders dann, wenn Juden nicht vorkommen sollen. Nun hat Ellen Presser sich in der »Jüdischen Allgemeinen« mit dem Jüd-Sternchen zu Wort gemeldet. Und obendrein noch die von Politikern im November-Gedenkredestrom versehentlich und nur aus gut gemeintem Korrektheitswahn voreilig ins Konzentrationslager Dachau geschickten Münchener Jüdinnen. Schöner, pardon, erschreckender kann man die Idiotie dieser aufoktroyierten totalen Toleranz nicht deutlich machen. Sie behauptet, genau zu sein, und befördert Beliebigkeit, begünstigt Hohlheit. Jüd*./._innen. Was soll das sein? Ein Mensch? Menschen? Ein verstörtes, zerstörtes Wort. Eine von jeder Bedeutung entleerte Buchstaben-Nummer. Und wozu? Um einer Minderheit, einer sehr kleinen Minderheit zu suggerieren, sie sei jetzt immer mitgemeint. Immer! Jüd*./.innen. KZ-Wärter*./.innen. Die totale Toleranz des Genderismus will wie jede Form von Totalitarismus einen neuen Menschen formen. Die LGBTQI-Person. Wer sich widersetzt, wird ausgegrenzt, wird mundtot gemacht. Die deutsche Sprache ist körperlich, und sie ist umständlich, weshalb Übersetzungen aus anderen Sprachen stets umfangreicher sind als das Original. Die deutsche Sprache unterscheidet zwischen weiblich und männlich, sie tut es genau, bedeutungsvoll und grausam. Eines der grausamen Beispiele ist: das Mädchen oder das Mädel. Das weibliche Kind im Gegensatz zum Jungen, zum Knaben, ist geschlechtslos in der deutschen Sprache, wird erst durch die körperliche Geschlechtsreife eine Jungfrau, und bislang ist noch keine Genderkommission darauf verfallen, aus »das« Mädchen »die« Mädchen zu machen. Auf diese Weise bleibt erhalten, was unserer Gesellschaft seit Jahrhunderten eingeschrieben war und jederzeit sich wieder erneuern kann: die auf das weibliche Geschlecht sich konzentrierende Diskriminierung. Dafür ist die förmliche Anrede im Deutschen, die sprachlich wundervolle Möglichkeit der höflichen Distanz, für beide Geschlechter und sämtliche LGBTQIsten weiblich. Sehen Sie! Das war Ihnen noch gar nicht aufgefallen. Viola Roggenkamp
Ich habe den Meinungsartikel von Ellen Presser in der Jüdischen Allgemeinen gelesen. In Folge habe ich vernommen, dass verschiedene kritische Stimmen junger Jüdinnen und Juden zu diesem Beitrag bestehen. Eine Gruppierung initiiert zurzeit einen »offenen Brief«. Ich empfinde es als äußerst begrüßenswert, dass verschiedene Meinungen zu dieser Thematik bestehen und auch im öffentlichen Raum angehört sowie diskutiert werden. Mich erschüttert jedoch, dass die Person Ellen Presser in diesem offenen Brief persönlich angegriffen und diffamiert wird. Offenbar wird auch das Lebenswerk von Ellen Presser verkannt. Ihr herausragendes Wirken ist auch weit über den Münchner Raum anerkannt und hochgeschätzt. Diverse Meinungen zuzulassen und anzuhören, ist bereichernd für unsere Gesellschaft. Ich hoffe, dass Cancel Culture in unserer pluralen Gesellschaft künftig keinen Platz haben wird. Auch das ist Pluralismus. Michael Movchin
Ich sage es frei heraus: Ich bin Jüdin, ich bin Frau*. Das bedeutet erst recht, dass ich Inklusivität schätze und für sie kämpfe, auch die sprachliche. Die deutsche Sprache braucht sehr wohl genderinklusive Sprache, denn dies ermöglicht Teilhabe. Frauen* und nicht-binäre Menschen sprachlich zu integrieren, bedeutet, ihre Sichtbarkeit zu ermöglichen. Wenn wir ehrlich sind, ist Teilhabe uns allen wichtig: Niemand möchte die einzige ungegrüßte Person an einem Tisch sein. Sprache wird gemacht, indem sie von Menschen genutzt wird. So hat »googeln« erst nach intensiver Nutzung 2004 den Einzug in den Duden geschafft. Tagtäglich sind wir umgeben von Sprache, daher spielt sie eine gewaltige Rolle für unsere Werteprägung und Identitätsbildung. Schon der über 1500 Jahre alte Talmud kannte mehr als zwei Gender, nämlich mindestens sechs, inklusive trans- und intersex Identitäten, letztere mit 149 Erwähnungen in Mischna und Talmud. Besonders diese uralten jüdischen Texte lehren uns mit dem Konzept von Vergehen mit Worten (ona’at devarim), unsere Sprache verantwortungsvoll einzusetzen. Auch unsere jüdische Geschichte lehrt uns, Inklusivität zu fordern und zu fördern. Unser ständiges und berechtigtes Klagen, nicht mitbedacht zu werden, wie bei den Feiertagsregelungen zu Covid-19 oder zu Hochschulprüfungen an hohen jüdischen Feiertagen, sind jüngste eindrucksvolle Beispiele für ein tiefgründiges Verlangen der Teilhabe. Wissenschaftliche Studien – deutschsprachig sowie englischsprachig – belegen, dass unser menschliches Gehirn zu großen Mehrheiten bei dem Wort »Arzt« derzeit nun einmal an Männer und nicht Frauen denkt. Grammatisches Geschlecht wird also im Alltag sehr wohl mit biologischem Geschlecht gleichgesetzt. Ich wünschte, es wäre unnötig, über genderinklusive Sprache zu debattieren. Solange jedoch ein gender pay gap existiert und Frauen*quoten das wirksamste Mittel für mehr Frauen* in Vorständen sind, bleibt es notwendig, für sprachliche Sichtbarkeit einzutreten. Dalia Grinfeld für den Verein Keshet Deutschland e.V.