Linguistik

Spachtel, Strudel, Schlafstunde

Besonders im Bau- und Ingenieurswesen kommen fast alle Wörter direkt aus dem Deutschen. Foto: Thinkstock

In unserem linguistischen Einwanderungsland bereichern Lexeme diverser Herkunft unsere Sprache – Latinismen, Romanismen, Gräzismen, Hebraismen und Jiddismen. Ein Wettbewerb des Goethe-Instituts und des Deutschen Sprachrats suchte 2008 das schönste Wort mit »Migrationshintergrund«. Gekürt wurden von 3500 Vorschlägen aus 42 Ländern die Wörter Tollpatsch, Currywurst und Engel.

Umgekehrt prüfte schon 2007 Andrea Stiberc in dem historischen Streifzug Heimweh, Kitsch & Co. die Emigration deutscher Wörter und wurde im englischen, französischen, japanischen, türkischen, russischen und usbekischen Wortschatz fündig. Sie sondierte damals nicht im modernen Hebräisch. Nach Germanismen im Iwrit forschten hingegen der Linguist und Journalist Ruvik Rosenthal und der Übersetzer und Dolmetscher Uriel Adiv. Als Sprachkolumnist der Tageszeitung Maariv war Rosenthal mit allen Registern vertraut. Die rund 10.000 Einträge seines Slangwörterbuchs Milon Ha-Slang Ha-Hekefi (2007) basieren auf Interviews, Internetforen und Webchats. Sie bieten deftige Flüche, Lobpreisungen und Militärjargon, häufig, wie sich zeigt, vom Englischen, Arabischen und Jiddischen beeinflusst.

immigration Der mit etwa 150.000 Lexemen kleine Wortbestand des Iwrit ist laut Rosenthal auf sprachliche Immigration angewiesen. Die Alltagsidiomatik nutzt bis zu 300 deutsche Wörter, dazu mehrere 100 jiddische, deren Ursprung auch im Deutschen liegt. »How German built the Hebrew language« betitelte die Zeitung Haaretz 2010 einen Artikel zur Sprache Israels. Dass das Jiddisch deutscher Einwanderer nicht immer homogen war, zeigen die Beiträge des 2012 von der Kommunikationswissenschaftlerin Nurit Carmel auf Hebräisch edierten Werks zum gesprochenen »Jeckisch« mit dem Titel Das Wörterbuch der Ben-Yehuda-Straße.

»Besonders im Bau- und Ingenieurswesen, der Architektur und Installation kommen fast alle Wörter direkt aus dem Deutschen«, so Rosenthal, dessen Eltern aus Deutschland stammen. Importiert wurden die Ausdrücke von der »fünften Alija«, dem Einwanderungsstrom nach der Machtergreifung der Nazis 1933. Spachtel, Spritz, unter Putz, Isolierband, Beton, Gummi, Dibel (= Dübel), Leiste, Schieber (= Regler) und Tapet tauchen im Bauwesen neben Fachtermini wie Schnurgerist (= Schnurgerüst), Stichmaß und Punktschweiß (= Punktschweißen) auf; Elektrikern sind Erdung und Kurzschluss geläufig, Altwarenhändler verkaufen alte Sachen, Automechaniker kennen Zwischengas, Kupplung sowie Druck- und Kugellagerim (mit der korrekten Pluralform, obwohl man auch mesaw kadurim sagen kann). Apropos Auto, das wegen des fehlenden Diphthongs Oto heißt: Beim Abbiegen wird der Winker (= Blinker), bei Regen auch der Wischer betätigt.

bildungssystem »Deutsche Juden waren entscheidend am Aufbau des Bildungssystems in Israel beteiligt«, schreibt 2010 Sara Lemel aus Tel Aviv in der »Berliner Literaturkritik«, »daher sind auch viele hebräische Ausdrücke in Schule und Hochschule Übersetzungen aus dem Deutschen. Kleine Kinder gehen in den ›Gan Jeladim‹ (Kindergarten), ältere lernen im ›Tichon‹ (Mittelschule). Sportliche Schüler machen in der Turnstunde den ganzen ›Spagat‹.«

Beim Schachspiel gerät man oft in Zeitnot und Zugzwang; schmerzhaft ist der Hexenschuss, wichtig für die Pompa (= das Herz) ist die Schlafstunde (= der Mittagsschlaf). Gern hört man im Iwrit kulinarische Lexeme wie Feinschmecker, Delikatess, Kohlrabi, Rum, Kremschnitt, Schnit- zel, Tort und Kompott – der Strudel steht indes, wohl wegen seiner Form, auch für das E-Mail-Zeichen @.

Uriel Adiv dokumentiert seit 2006 solche deutschen und jiddischen Lehnwörter. Von dem Computerlexikografen Peter Meyer am Institut für Deutsche Sprache (IDS) wird seine über 1500 Einträge umfassende Sammlung derzeit überarbeitet und soll anschließend als Internetwörterbuch auf der Online-Plattform »Lehnwortportal Deutsch« des IDS (lwp-ids-mannheim.de) der Öffentlichkeit in vielfältig durchsuchbarer und mit anderen Lehnwörterbüchern vernetzter Form zugänglich gemacht werden.

Übrigens: Auch in Israel kennt man das deutsche Sprichwort: »Sof tov hakol tov« (Ende gut, alles gut).

Veranstaltung mit Uriel Adiv: »Das Hebräische und seine deutschen Lehnwörter«. Vortrag und Internetlaunch eines besonderen Wörterbuchs. 30. September, 19 Uhr, Jüdisches Museum Berlin, Großer Saal. Anmeldung: 030/25993488 oder reservierung@jmberlin.de

Kunst

Das jüdische Sammlerpaar Bernstein brachte »die Franzosen« nach Berlin

Die Ausstellung »Berlin.Cosmopolite« in der Liebermann-Villa am Wannsee zeigt Werke aus der Sammlung von Felicie (1852-1908) und Carl (1842-1894) Bernstein

von Sigrid Hoff  23.05.2025

London

Terroranklage gegen Rapper von »Kneecap«

Weil er bei einem Konzert eine Hisbollah-Flagge gezeigt haben soll, wird ein Rapper der nordirischen Gruppe Kneecap angeklagt. Bei Instagram bezieht die Band nun Stellung

 22.05.2025

Terrorakt in Washington

Jüdischer Journalistenverband kritisiert ARD-Berichterstattung

Die Co-Vorsitzende des Verbands fordert mehr Sorgfalt im Umgang mit Sprache im Zusammenhang mit dem Attentat

 22.05.2025

ESC-Teilnehmer JJ

Im Ton vergriffen

Dem österreichischen Sänger tue es leid, »falls meine Worte missverstanden wurden«

 22.05.2025

ESC

JJ will ESC 2026 ohne Israel

Österreichs Sieger JJ setzt sich für einen Ausschluss Israels am ESC 2026 ein

 22.05.2025

Kunst

Verzweifelte Zwischenwesen

Das Berliner Bode-Museum zeigt Paul Klees Engel im Kontext von Kriegen

von Mirjam Vomberg  22.05.2025

Eurovision Song Contest

Stärker als gedacht

Kein Land der Welt steht so häufig am Pranger wie Israel. Doch kann es sein, dass der jüdische Staat abseits von Politik und Presse viel beliebter ist als angenommen?

von Nicole Dreyfus  22.05.2025

Kolumne

Von der Verheißung zum Manöver

»Sapad«, das russische Wort für Westen – Geschichte eines Bedeutungswandels vom Vorbild zum Feindbild

von Eugen El  21.05.2025

«Märzenschnee»

Auktion mit Pechstein-Gemälde aus Besitz von Walter Rathenau

Als Walter Rathenau 1909 eine Ausstellung besuchte, kaufte er ein Gemälde: »Märzenschnee« von Max Pechstein. Nun wird das Bild versteigert, das eine interessante Geschichte hat

 21.05.2025