Konzert

Songs aus Russenjudenland

Klassik, Chanson und Hip-Hop: Regina Spektors Musik ist facettenreich. Foto: getty

Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):

Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.

Man könnte Regina Spektor für eine dieser Säuselsängerinnen halten, deren Musik einen bei Starbucks beschallt, aber dafür stellt sie zu seltsame Dinge mit ihrer Stimme an. Sie klingt ein bisschen wie Björk, hat aber mehr Humor als die Isländerin. Spektor kommt aus der ironischen Anti-Folk-Ecke, aber sie nimmt viele Dinge ernst. Sie passt nirgendwo so richtig rein. Vielleicht heißt ihr neues Album auch deswegen What We Saw From The Cheap Seats: Musik aus den und für die hinteren Reihen.

Geboren wurde sie 1980 in Moskau. 1989 emigrierte die Familie mit einigen Umwegen nach New York. Ihr Piano musste sie in der Sowjetunion zurücklassen. Im »Russenjudenland«, wie der Schriftsteller Gary Shteyngart das russische Einwandermilieu der Stadt einmal nannte, fand Regina Spektor eine neue Heimat. Es gehört zu den Teilen ihrer Biografie, die fast zu schön sind: Im Keller ihrer Synagoge in der Bronx stand ein Klavier, auf dem das Mädchen üben durfte, um sich den Wunsch zu erfüllen, Musikerin zu werden. Das Vierjahresstudium der Musik und Komposition an einer New Yorker Universität schloss sie innerhalb von drei Jahren ab.

Komposition Mit ihrer klassischen Ausbildung hat Regina Spektor vielen ihrer Kollegen etwas voraus: echtes Können. Ihre musikalischen Einflüsse sind eklektisch, ohne beliebig zu sein. Neben klassischer Musik und russischen Bardenliedern sind das auch die Beatles und Hip-Hop. Auf Konzerten hat sie schon ihre passablen Beatbox-Skills zur Schau gestellt.

Und während bei manchen Musikern Anspielungen auf Allen Ginsberg und Jack Kerouac schon der Höhepunkt literarischer Raffinesse sind, zitiert Regina Spektor gerne Boris Pasternak und Marina Zwetajewa. In ihren Texten interessiert sie sich für andere Menschen und nimmt sie ernst, statt nur eigene Probleme auf andere zu projizieren oder herablassende »Oh, du armes Menschenkind«-Lieder zu singen.

Egal, welche Sprache sie benutzt, eigentlich singt Spektor immer auf Russisch. Ihr drittes Album nannte sie selbstbewusst Soviet Kitsch. Auf dem Cover trug sie eine sowjetische Kapitänsmütze. Auf What We Saw From the Cheap Seats trägt sie diesmal Kepi, singt aber dafür zwei Lieder des russischen Barden Bulat Okudschawa als Bonus-Tracks.

Auch ansonsten ist What We Saw From The Cheap Seats ein sehr schönes Album geworden. Die Platte hat ein unaufdringliches Thema: Es geht um Erinnerungen und Vergangenheit. Wie in »How«, einer Ballade mit leisen Motown-Anklängen über den Wunsch, den Schmerz einer Trennung mit der Hoffnung auf neue Liebe zu verbinden. Oder in »All the Rowboat«, in dem ein Museum zum Gefängnis der Wehmut wird. Und in »Firewood« geht es auch um Spektors Kindheit in Moskau: »The piano is not firewood yet«.

israel »Ich liebe Amerika und Israel und mein Mutterland Russland«, schrieb Regina Spektor vor drei Jahren in einem Blogeintrag namens »Eretz Yisrael«, in dem sie Stellung zum Nahostkonflikt bezog und dabei bemerkenswert deutlich wurde: »Und wenn irgendjemand glaubt, dass ›seine Stimme gegen Israel erheben‹ etwas anderes ist als nur kaum verschleierter Antisemitismus, dann irrt diese Person zutiefst.« Die Sängerin sieht die Israelis und die Palästinenser als Opfer globaler Indifferenz und Gewalt auf beiden Seiten. Das ist keine Angst vor einem Urteil oder der eigenen Meinung, sondern Empathie. So steckt hinter der verschroben-verspielten Fassade ihrer Musik Intelligenz und echter Humanismus.

Das macht auch ihre Konzerte zu einem Erlebnis. Regina Spektor verbindet den Perfektionismus einer klassischen Musikerin mit der Spielfreude einer Soul-Band, ob alleine hinter dem Piano oder begleitet: russisch-jüdischer Gospel, fragil und erhebend zugleich.

Auf ihrer aktuellen Live-Tour trat Spektor auch in Russland auf – ihre erste Reise in das »Mutterland« seit der Emigration vor 23 Jahren. Begrüßt wurde sie vom Publikum mit ganzen Badewannen voller Blumen. Möglicherweise hat sie bei den russischen Gigs auch das Klavier aus ihrer Kindheit wiedergefunden – vielleicht ist es wirklich noch kein Brennholz geworden.

Am 22. Juli gibt Regina Spektor im Berliner Tempodrom ihr einziges Deutschlandkonzert. Mit ein bisschen Glück wird sie vielleicht beatboxen.

Regina Spektor. Tempodrom, Berlin, Sonntag, 22. Juli, 20 Uhr
www.tempodrom.de

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025