Nachruf

»Somewhere ...«

Stephen Sondheim (1930–2021) Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Er hatte noch ein Interview gegeben, gut gelaunt, es ginge ihm gut, sagte er, bis auf die üblichen Wehwehchen. Sein Leben, erklärte Stephen Sondheim dem Mann von der »New York Times«, sei ein Glücksfall gewesen. Dann hatte er Thanksgiving gefeiert, zu Hause, in Roxbury Connecticut, mit einigen Freunden. Danach war er tot. Auch mit 91 Jahren kann man aus dem Leben gerissen werden, aus dem Schaffen – Fragmente eines neuen Musicals lagen auf seinem Schreibtisch.

KUNDGEBUNG Wenige Tage später versammelte sich der gesamte Broadway auf dem Times Square, und Hunderte von Künstlern stimmten seine Songs an: »What more do I need« aus Saturday Night, »Being Alive«, »Send in the Clowns« und natürlich »Somewhere« aus der West Side Story. Die spontane Kundgebung war nicht nur ein musikalisches Manifest – sie war der Beweis, wie lebendig ein Mensch nach seinem Tod sein kann.

Stephen Sondheim wuchs in einer reichen jüdischen Familie in New York auf. Als er zehn Jahre alt war, verließ der Vater das Haus. Sondheim fand in einer anderen Legende eine Vaterfigur, in Oscar Hammerstein (dem Librettisten von Carousel, South Pacific oder The Sound of Music). Seine musikalische Inspiration aber blieb ein Leben lang: Johann Sebastian Bach.

EINSAMKEIT Erst mit 60 Jahren heiratete Sondheim seine große Liebe Jeffrey Romley. Seine Einsamkeit und Sehnsüchte thematisierte er in seiner Kunst, das, was er selbst vermisste, was ihn umtrieb und zum Denken brachte – und wurde zu einer Legende mit Broadway-Erfolgen wie Into the Woods, Sweeney Todd, A Little Night Music oder Sunday in the Park With George.

Dafür erhielt er neun Tony Awards, acht Grammys, den Pulitzer Preis, und 2017 hängte Barack Obama ihm die »Medal of Freedom« um den Hals. Legendär wurde Sondheim, weil fast jeder Mensch einen seiner Songs kennt – auch wenn Mitsingen aufgrund seiner komplexen Kompositionsweise eher schwierig ist.

WEST SIDE STORY Und was bleibt? So vieles! Vor allem natürlich die West Side Story, die Sondheim 1957 gemeinsam mit Leonard Bernstein geschrieben hat. Dem verdankte er nicht nur geniale Musik für seine Texte, sondern auch Nachhilfe in jüdischer Kultur. Bernstein habe er zu verdanken, sagte Sondheim einmal, dass er überhaupt wusste, wie man »Jom Kippur« ausspricht.

#Stephen Sondheim ist tot. Sein Soundtrack schwingt weiter, seine alte Einsamkeit ist unseren Einsamkeiten ein Trost geworden, und es ist sicher, dass Stephen Sondheim lediglich an einen anderen Ort gezogen ist – »Somewhere, there is a place for him – somewhere«.

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  25.12.2025

ANU-Museum Tel Aviv

Jüdische Kultobjekte unterm Hammer

Stan Lees Autogramm, Herzls Foto, das Programm von Bernsteins erstem Israel-Konzert und viele andere Originale werden in diesen Tagen versteigert

von Sabine Brandes  25.12.2025

Menschenrechte

Die andere Geschichte Russlands

»Wir möchten, dass Menschen Zugang zu unseren Dokumenten bekommen«, sagt Irina Scherbakowa über das Archiv der von Moskau verbotenen Organisation Memorial

 25.12.2025

Rezension

Großer Stilist und streitbarer Linker

Hermann L. Gremliza gehört zu den Publizisten, die Irrtümer einräumen konnten. Seine gesammelten Schriften sind höchst lesenswert

von Martin Krauß  25.12.2025

Glastonbury-Skandal

Keine Anklage gegen Bob-Vylan-Musiker

Es lägen »unzureichende« Beweise für eine »realistische Aussicht auf eine Verurteilung« vor, so die Polizei

 24.12.2025

Israel

Pe’er Tasi führt die Song-Jahrescharts an

Zum Jahresende wurde die Liste der meistgespielten Songs 2025 veröffentlicht. Eyal Golan ist wieder der meistgespielte Interpret

 23.12.2025

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025