Eine Kamerafahrt über glitzernde Bergkristalle, dann ein schönes Gesicht im Profil. Die ersten Clips in dem Dokumentarfilm »Riefenstahl« von Andres Veiel stammen aus dem Bergfilm »Das blaue Licht« (1932). Die Hauptdarstellerin hieß Leni Riefenstahl; sie stand aber auch als Regisseurin im Vorspann. Allerdings erst nach 1933, nachdem jeder Hinweis auf die Mitarbeit des Juden Bela Balazs getilgt worden war.
Die weichgezeichneten Bilder verflüchtigen sich rasch. Dafür jagen unidentifizierbare Filmstreifen vorbei: von Hitler, NS-Aufmärschen und olympischen Wettkämpfen. Später tauchen Familienfotos auf, Vater, Mutter, Leni. Im weiteren Verlauf des Films bekommt man auch in psychologischer Hinsicht eine Ahnung davon, warum Riefenstahl wurde, wie sie war - und warum sie bis zuletzt so blieb: eine überzeugte Nationalsozialistin in der Maske der schönheitstrunkenen Grande Dame. Sie starb 2003 im Alter von 101 Jahren. Das Erste zeigt die Doku am 24. November um 22.50 Uhr.
Basis des Projekts ist der Nachlass
Nach 1945 gelang Riefenstahl die wundersame Verwandlung in eine unpolitische Künstlerin – sogar in die verfolgte Unschuld. Ihr Kampf bestand fortan darin, der Öffentlichkeit Halb- und Unwahrheiten über ihre Nazi-Vergangenheit aufzutischen und Menschen, die nachhakten, mit Unterlassungsklagen mundtot zu machen.
Sandra Maischberger, die Produzentin von »Riefenstahl«, hat erzählt, wie sie sich 2002 bei einem Interview von der »lieben Greisin« einwickeln und belügen ließ. Da aber »viele Fragen offenblieben«, bemühte sich Maischberger um den Nachlass in den 700 Kisten, die an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz überstellt worden waren. Sie bot der Stiftung eine aufwendige Inventur des Nachlasses an, um im Gegenzug einen Dokumentarfilm produzieren zu können. 2018 stieg Andres Veiel als Regisseur in das Projekt ein.
Das Arbeiterkind Leni, das sich erst als Ausdruckstänzerin versuchte, dann als Schauspielerin durch Bergfilme kraxelte, als Jungregisseurin sogar Hollywoodgrößen wie Charles Chaplin begeisterte und dann für Adolf Hitler Propagandafilme drehte, wäre eigentlich ein sensationeller Spielfilmstoff. Doch alle Projekte scheiterten bislang, »weil es keinen dritten Akt gibt«, erklärt Veiel. »Die Katharsis bleibt aus, die zur Heldenreise dazugehört.«
Die Kontinuität faschistischer Ästhetik
Ist das Kunst - oder kann das weg? Die Frage läuft bei Riefenstahl ins Leere, weil ihr Bildkonzept bis heute fortwirkt, nicht nur in Werbeclips und Sportreportagen. Das Leitmotiv des Dokumentarfilms »Riefenstahl« ist deshalb die Kontinuität einer faschistischen Ästhetik - und damit einer Haltung und Weltwahrnehmung, die Hässliches, Schwaches, Fremdes, Anderes hinter einer »schönen« Oberfläche verschwinden lässt.
Es gibt gute Gründe, Riefenstahl als Künstlerin zu exkommunizieren. Veiel merkt an, dass Riefenstahl eine wenig begabte Schauspielerin, ungeschickte Drehbuchautorin und eine grottenschlechte Erzählerin gewesen sei. Als Regisseurin verteidigt er sie aber. »Riefenstahl hat aber Schaffensräume ermöglicht, gerade bei Kameraleuten. Das ist Regie.«
Weniger Talent als Ehrgeiz
Ihr größtes Pfund - und ihr Fluch - war ihr übermenschlicher Ehrgeiz. Riefenstahl war kein Multitalent, aber sie besaß den eisernen Willen, von der Malerei über Tanz und Schauspielerei bis zur Regie alle Medien durchzuprobieren, bis sich der Erfolg einstellte.
Geschickt streut Veiel Hinweise auf frühe Prägungen in den Film, um dem Verdacht entgegenzutreten, dass er Riefenstahl als Täterin entschuldigen wolle. Er will vielmehr Riefenstahls geradezu kriminelle Energie darstellen, mit der sie daranging, sich durchzusetzen, Gegner auszuschalten oder charmant zu entwaffnen. Mit einem einzigen Ziel: Riefenstahl, die Siegerin. »Sie konnte gar nicht anders«, sagt Veiel. »Eine Grundfigur ihres Lebens ist die Stärke und Überlegenheit, die sie aus Demütigung gewinnt. Da ist der väterliche Schraubstock und der mütterliche Spiegel.«
Lügen und offen rechtsextreme Äußerungen
Menschen nutzte Riefenstahl aufs Schäbigste aus. Besonders krass im Fall der Sinti und Roma, die sie als Statisten für ihren »Tiefland«-Film missbrauchte - und dann wider besseres Wissen behauptete, sie habe alle nach dem Krieg wiedergesehen. In Wahrheit wurden mehr als die Hälfte in Konzentrationslagern ermordet.
»Riefenstahl« ist der Täterin besonders dort dicht auf den Fersen, wo es um die Ereignisse in Konskie in Polen geht, wo Riefenstahl als Leiterin eines »Sonderfilmtrupps« 1939 (nicht nur) Augenzeugin eines der ersten Wehrmachtsverbrechen wurde. Sie bestritt dies, aber Fotos, auf denen Riefenstahl mit schreckgeweiteten Augen zu sehen ist, beweisen, dass sie dabei war, als Juden auf dem Marktplatz erschossen wurden. Veiel geht aber noch weiter, indem er einen Zeugen zitiert, der gehört haben will, wie Riefenstahl beim Dreh gerufen habe, dass die »Juden« - Menschen, die sie nicht in der Filmaufnahme haben wollte - »weg« müssten. Möglicherweise, so Veiel, hat sie das Massaker dadurch mit ausgelöst.
Konskie war ein Wendepunkt in Riefenstahls Leben, der aber keine persönliche Einsicht nach sich zog, sondern eher Eskapismus. Auch mit Kriegsende schlug keine »Stunde Null«. Dass in der angeblich »unpolitischen« Künstlerin eine Nationalsozialistin steckte, zeigen die vielen Tonaufnahmen im Nachlass. Die positive Resonanz auf Selbstverleugnung, fadenscheinige Mythenbildung und die (in Telefonaten) von Riefenstahl offen geäußerten rechtsextremen Ansichten verstören besonders.
Viel Gegenwart in historischer Doku
Warum so ein Film hier und heute? Deutschland rückt nach rechts. Bei genauer Betrachtung steckt viel Gegenwart in »Riefenstahl«. Die Rede von Rudolf Heß aus »Triumph des Willens«, dass Hitler »der Garant des Friedens« sei, wäre ohne den russischen Krieg womöglich nicht im Film. Riefenstahls Expeditionen zu den Nuba im Sudan ab 1962 werden im Kontext des Postkolonialismus behandelt. In den ausgewählten Szenen sieht man eine Fotografin mit Herrenmenschen-Attitüde. Sie schlägt Nuba-Männer mit einem Stock und wirft Kindern Bonbons zu; alles musste nach ihrer Pfeife tanzen, damit Riefenstahl die Bilder eines unberührten »Naturvolks« in den Kasten bekam.