Wuligers Woche

Schwätzen gegen Antisemitismus

Viele Strategien gegen Antisemitismus verfehlen die Wirklichkeit – und dienen eher dem Wohlbefinden derer, die sie sich ausgedacht haben. Foto: Thinkstock

Wuligers Woche

Schwätzen gegen Antisemitismus

Zu Judenhass hat jeder etwas zu sagen. Aber selten Nützliches

von Michael Wuliger  29.01.2018 16:07 Uhr

Mit dem Antisemitismus ist es wie mit Herpes. Er ist unheilbar. Trotzdem treten ständig Leute auf den Plan, die meinen, ein Mittel dagegen gefunden zu haben. Sie scheitern natürlich. Was andere nicht hindert, prompt das nächste Patentrezept zu präsentieren. »Ejzesgeber« nennt man sie auf Jiddisch: Menschen, die ungefragt Ratschläge erteilen – ob vorigen Sonntagabend in der ARD bei Anne Will oder ein paar Tage davor im Deutschlandfunk.

In dem Radiosender erklärte der Berliner Kommunikationsberater und Vorstand des Vereins »Denkmal für die ermordeten Juden Europas e.V.«, Holger Michel: »Das beste Mittel gegen Antisemitismus ist blühendes jüdisches Leben in Deutschland. (...) Der Kontakt mit unseren jüdischen Mitbürgern aber ist das Mittel, um Antisemitismus gar nicht erst entstehen zu lassen.«

Ponyhof Die »jüdischen Mitbürger« lassen wir hier mal unkommentiert. Zu den fragwürdigen Konnotationen dieses, inzwischen zum Glück aus dem Sprachgebrauch weitgehend verschwundenen, Begriffs ist bereits alles gesagt worden. Davon abgesehen klingt die Idee gut. Sie hat nur einen Nachteil: Sie funktioniert nachweisbar nicht. Das Leben ist nicht nur kein Ponyhof; es ist auch kein sozialpädagogischer Workshop.

»Blühendes jüdisches Leben in Deutschland« gab es schon einmal. Das hat ab 1933 die Deutschen nicht davon abgehalten, ihre jüdischen Nachbarn und Kol­legen zu entrechten, zu verfolgen und schließlich umzubringen. Und in der Gegenwart ist es nicht fehlender Kontakt, der jugendliche Muslime in Berlin und anderswo dazu bringt, jüdische Mitschüler zu mobben und physisch zu bedrohen. Im Gegenteil: Ohne diesen Kontakt wären die gefährdeten jungen Juden wahrscheinlich besser dran.

Die Vorstellung, man müsse sich nur besser kennenlernen und miteinander reden, um Hass und Vorurteile abzubauen beziehungsweise »gar nicht erst entstehen zu lassen«, ist nicht bloß naiv. Sie ist, um mit Karl Kraus zu sprechen, die Krankheit, für deren Therapie sie sich hält. Blinder Optimismus ist ihr Name. Der österreichisch-amerikanische Psychoanalytiker Otto F. Kernberg hat sie als ein Symptom der narzisstischen Persönlichkeitsstörung definiert.

Attacken Diejenigen, die davon befallen sind, schreibt der israelische Autor Sam Vak­nin, »werden hinters Licht geführt durch ihr eigenes dringendes Bedürfnis, daran zu glauben, dass letztendlich das Gute über das Böse siegt, Gesundheit über Krankheit und Ordnung über Chaos. Das Leben schiene ihnen sonst sinnlos, ungerecht und willkürlich.«

Das beschreibt auch manche Strategien gegen Antisemitismus. Sie verfehlen zwar die Wirklichkeit. Doch das ist auch nicht ihr Zweck. Primär dienen sie dem Wohlbefinden derer, die sie sich ausgedacht haben. Die real Betroffenen haben derweil andere Probleme. Juden können sich nicht den Luxus leisten, darüber zu räsonieren, wie Antisemitismus theoretisch abgebaut oder verhindert werden könnte.

Die jüdische Gemeinschaft stellt sich in Deutschland aktuell vor allem eine Frage: Wie schützen wir uns hier und jetzt vor publizistischen, verbalen und auch physischen Attacken? Die Antwort kennen vielleicht Security-Experten. Kommunikationsberater wissen es bestimmt nicht.

Basel

Mann wollte Juden während des ESC angreifen

Kurz vor dem »Eurovision Song Contest« in der Schweiz wurde ein 25-Jähriger wegen konkreter Gewaltdrohungen festgenommen und ausgewiesen

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Berlin

Umstrittene 88: Der schwierige Umgang mit rechten Codes

Im Berliner Fußball sorgt die Debatte um die Rückennummer 88 und dem Hitler-Bezug für Kontroversen. Warum das Verbot erneut scheiterte und wie der Fußball insgesamt mit rechtsextremen Codes umgeht

von David Langenbein, Gerald Fritsche, Jana Glose  16.12.2025

Wien

ESC 2026: ORF will israelfeindliche Proteste nicht ausblenden

Die Debatte und der Boykott einzelner Länder wegen der Teilnahme Israels haben den ESC 2026 bisher überschattet. Auch beim Event im Mai selbst drohen Proteste. Wie geht der ORF damit um?

 16.12.2025

Washington D.C.

Trump sorgt mit Angriffen auf ermordeten Rob Reiner für Empörung

Der jüdische Regisseur sei an einem »Trump-Verblendungssyndrom« gestorben, schreibt der Präsident. Dafür erntet er seltene Kritik aus den eigenen Reihen

 16.12.2025

Nachruf

Filmproduzent mit Werten

Respektvoll, geduldig, präzise: eine Würdigung des sechsfachen Oscar-Preisträgers Arthur Cohn

von Pierre Rothschild  15.12.2025

Meinung

Xavier Naidoos antisemitische Aussagen? Haken dran!

Der Mannheimer Sänger füllt wieder Konzertsäle. Seine Verschwörungserzählungen über Juden und holocaustrelativierenden Thesen scheinen kaum noch jemanden zu stören

von Ralf Fischer  15.12.2025

Los Angeles

Bestürzung über Tod von Rob Reiner und Ehefrau Michele

Der jüdische Regisseur und seine Frau wurden tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Polizei behandelt den Fall als mögliches Tötungsdelikt

 15.12.2025

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  14.12.2025