Trauer

Ruth Klüger ist tot

Ruth Klüger sel. A. (1931–2020) Foto: ullstein

Trauer

Ruth Klüger ist tot

Die österreichisch-amerikanische Autorin und Holocaust-Überlebende starb im Alter von 88 Jahren nach langer Krankheit

von Matthias Röder  07.10.2020 12:15 Uhr

In ihrer Festrede im Deutschen Bundestag verneigte sich Ruth Klüger 2016 vor der damals herrschenden Willkommenskultur gegenüber den Flüchtlingen. »Dieses Land, das vor 80 Jahren für die schlimmsten Verbrechen des Jahrhunderts verantwortlich war, hat heute den Beifall der Welt gewonnen dank seiner geöffneten Grenzen und der Großzügigkeit, mit der Sie syrische und andere Flüchtlinge aufgenommen haben und noch aufnehmen«, zollte die Autorin, Literaturwissenschaftlerin und Holocaust-Überlebende den Deutschen ihren Respekt.

Die für ihr erst spät entstandenes Werk mehrfach ausgezeichnete jüdisch-amerikanische Schriftstellerin und wortgewaltige Mahnerin gegen das Vergessen war eine Frau mit großer Ausstrahlung. Im Alter von 88 Jahren ist Klüger nach Angaben des Wiener Zsolnay Verlags in ihrem Heimatort Irvine im US-Bundesstaat Kalifornien in der Nacht zum Dienstag gestorben.

deportation »Was sie in ihrem Leben erfahren hat, wie sie mit diesen Erfahrungen umgegangen ist und was sie daraus gemacht hat, das ist außerordentlich«, sagte Zsolnay-Verlagsleiter Herbert Ohrlinger. Klüger wurde am 1931 als Tochter eines jüdischen Frauenarztes in Wien geboren. Im September 1942 deportierten sie die Nazis mit ihrer Mutter ins KZ Theresienstadt, dann nach Auschwitz-Birkenau und nach Christianstadt.

Die Gefangenschaft in Theresienstadt und Auschwitz-Birkenau hat sie nach eigenen Worten auch durch die Liebe zur Lyrik überlebt.

Die Gefangenschaft hat sie nach eigenen Worten auch durch die Liebe zur Lyrik überlebt. Als damals zwölfjähriges Kind dichtete sie im Vernichtungslager Auschwitz: »Fressen unsere Leichen Raben? / Müssen wir vernichtet sein? /Sag, wo werd ich einst begraben? / Herr, ich will nur Freiheit haben / und der Heimat Sonnenschein.« Auf einem Todesmarsch gelang ihr mit ihrer Mutter die Flucht.

Nach ihrer Emigration in die USA studierte Klüger Bibliothekswissenschaften und Germanistik, wurde Hochschullehrerin und Literaturkritikerin. Ihre Arbeiten reichen vom Barock bis zur Gegenwart, von Lessing über Kleist und Heine bis zur zeitgenössischen Frauenliteratur. Klüger war langjährige Herausgeberin der Fachzeitschrift für amerikanische Germanistik »German Quarterly«.

gastprofessur 1988 erhielt sie eine Gastprofessur an der Universität Göttingen. Bei einem Verkehrsunfall wurde sie lebensgefährlich verletzt. Dieser Einschnitt bedeutete den Start einer späten literarischen Karriere. Ihre Autobiografie weiter leben. Eine Jugend (1992) wurde zum großen Erfolg und in zehn Sprachen übersetzt. Darin schildert sie auf präzise und unsentimentale Art die Schrecken der Nationalsozialismus und ihren Überlebenswillen in den Lagern.

Ihre Haltung zur Schreckensherrschaft im deutschen Namen war eindeutig. »Wir Überlebende sind nicht zuständig für Verzeihung«, sagte Klüger.

Ihre Haltung zur Schreckensherrschaft im deutschen Namen war eindeutig. »Wir Überlebende sind nicht zuständig für Verzeihung«, sagte Klüger einmal der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Und: »Ich halte Ressentiment für ein angebrachtes Gefühl für Unrecht, das nicht wiedergutzumachen ist.«

Zu den bekanntesten weiteren Werken Klügers zählen Frauen lesen anders (1996), Katastrophen. Über deutsche Literatur (1997) und Was Frauen schreiben (2010). Unter dem Titel Zerreißproben (2013) versammelte sie ihre seit 1944 entstandenen Gedichte. Zuletzt erschien 2018 im Zsolnay Verlag Gegenwind. Gedichte und Interpretationen.

auszeichnungen Klüger lebte abwechselnd in Irvine im US-Bundesstaat Kalifornien und im deutschen Göttingen. Zu ihren Auszeichnungen zählen der Österreichische Staatspreis für Literaturkritik (1997), die Ehrendoktorwürde der Universität Göttingen (2003), der Roswitha-Preis (2006) und der Theodor-Kramer-Preis (2011).

Ab und zu fuhr sei sie mit Freunden nach Las Vegas gefahren, um zu spielen, sagt Ohrlinger. Klüger habe geplant, à la Dostojewski einen Spieler-Roman zu schreiben. »Es ist so schade, dass sie ihn nicht mehr beenden konnte«, so der Verlagsleiter.

Vortrag

Über die antizionistische Dominanz in der Nahostforschung

Der amerikanische Historiker Jeffrey Herf hat im Rahmen der Herbstakademie des Tikvah-Instituts über die Situation der Universitäten nach dem 7. Oktober 2023 referiert. Eine Dokumentation seines Vortrags

 07.12.2025

Glosse

Die außerirdische Logik der Eurovision

Was würden wohl Aliens über die absurden Vorgänge rund um die Teilnahme des jüdischen Staates an dem Musikwettbewerb denken? Ein Gedankenexperiment

von Imanuel Marcus  07.12.2025

Los Angeles

Schaffer »visionärer Architektur«: Trauer um Frank Gehry

Der jüdische Architekt war einer der berühmtesten weltweit und schuf ikonische Gebäude unter anderem in Los Angeles, Düsseldorf und Weil am Rhein. Nach dem Tod von Frank Gehry nehmen Bewunderer Abschied

 07.12.2025

Aufgegabelt

Plätzchen mit Halva

Rezepte und Leckeres

 05.12.2025

Kulturkolumne

Bestseller sind Zeitverschwendung

Meine Lektüre-Empfehlung: Lesen Sie lieber Thomas Mann als Florian Illies!

von Ayala Goldmann  05.12.2025

TV-Tipp

»Eigentlich besitzen sie eine Katzenfarm« - Arte-Doku blickt zurück auf das Filmschaffen von Joel und Ethan Coen

Die Coen-Brüder haben das US-Kino geprägt und mit vielen Stars zusammengearbeitet. Eine Dokumentation versucht nun, das Geheimnis ihres Erfolges zu entschlüsseln - und stößt vor allem auf interessante Frauen

von Manfred Riepe  05.12.2025

Köln

Andrea Kiewel fürchtete in Israel um ihr Leben

Während des Krieges zwischen dem Iran und Israel saß Andrea Kiewel in Tel Aviv fest und verpasste ihr 25. Jubiläum beim »ZDF-Fernsehgarten«. Nun sprach sie darüber, wie sie diese Zeit erlebte

 05.12.2025

Genf

Entscheidung gefällt: Israel bleibt im Eurovision Song Contest

Eine Mehrheit der 56 Mitgliedsländer in der European Broadcasting Union stellte sich am Donnerstag gegen den Ausschluss Israels. Nun wollen Länder wie Irland, Spanien und die Niederlande den Musikwettbewerb boykottieren

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann schwieg bislang zur scharfen Kritik. Doch jetzt reagiert die ARD-Journalistin auf die Vorwürfe

 04.12.2025