Gespräch

»Religion gab’s auch in Polen«

»Der Zionismus war immer säkular«: Yoram Kaniuk Foto: Flash 90

Herr Kaniuk, vor wenigen Wochen haben Sie ein Gerichtsurteil erstritten, das die Trennung von Staat und Religion in Israel zum ersten Mal in greifbare Nähe rücken lässt. Können Sie in Tel Aviv noch in Ruhe Ihren Morgenspaziergang machen?
Oh ja. Aber da ich jetzt leider zu einer Art Celebrity geworden bin, werde ich zurzeit sehr oft angesprochen. Dann werde ich zum Beispiel gefragt: »Bist du jetzt ein Goi?« »Bist du überhaupt noch Jude?« Aber auch: »Super, was du getan hast!« Und: »Das will ich auch machen!«

Was haben Sie genau gemacht?
Ich wollte einfach sein, was auch mein Enkel ist: Weil er nicht als Jude, Moslem oder Christ geboren wurde, ist er registriert als Israeli »ohne Religion«. Also bin ich zum Innenministerium gegangen und habe darum gebeten, dass sie meinen Status »Religion: jüdisch« ändern in »ohne Religion«. Natürlich haben sie nicht zugestimmt. Stattdessen haben sie mich beschimpft. Naja. Da habe ich sie höflich gebeten, mir die Absage doch bitte schriftlich zu geben. Und dann bin ich mit dieser Absage zum Gericht gegangen. Mit einem Anwalt. Es gab ein Urteil, das mir bestätigt, dass ich dasselbe Recht habe wie mein kleiner Enkel. Das sei eine Frage der Menschenwürde, so das Gericht.

Und jetzt …
… bin ich zu Hause keine Minderheit mehr. Weil wir in unserer Familie nun alle als »ohne Religion« registriert sind.

Aber Jude bleiben Sie?
Damit klar ist: Ja, ich möchte ein Jude sein! Aber eben nicht im religiösen Sinne.

Womit Sie in Israel nicht alleine stehen.
Die meisten Leute in diesem Land möchten, dass es endlich eine deutliche Trennung zwischen Staat und Religion gibt. Die Mehrheit ist nicht religiös. Aber trotzdem gibt es seitens der Religion diesen Zwang. Bislang war derjenige Jude, der gemäß der Volks- und der Religionszugehörigkeit Jude ist. Und um Teil des jüdischen Volks zu werden, musste man den Übertritt zur Religion vollziehen. Ich will das nicht. Warum muss man zur Religion übertreten? Es gibt doch schon seit 3.000 Jahren ein jüdisches Volk!

Wird das von Ihnen erkämpfte Urteil Israel verändern?
Es ist ein historisches Urteil! Übrigens ist es so wunderbar formuliert, dass man fast glauben könnte, die Richter hätten schon Jahrzehnte darauf gewartet, dass endlich jemand ankommt und sein Recht einklagt. Dieses Urteil – das gestehen auch diejenigen ein, die gegen mich sind – steht am Anfang einer großen Veränderung. Es hat mir erlaubt zu sein, was in diesem Staat noch nie jemand offiziell gewesen ist: Ein nichtreligiöser Jude.

Womit Sie eine Lawine losgetreten haben.
Es gibt sehr, sehr viele Leute hier, die ebenfalls mit dem Zusatz »ohne Religion« registriert sein möchten. Das Innenministerium hat diesen Antragstellern allerdings gesagt, dass das Urteil nur für mich alleine gelte. Jetzt hat das Ministerium drei Wochen Zeit, um zu begründen, warum nicht jeder dasselbe Recht wie ich hat. Der Oberste Gerichtshof muss wohl eine Entscheidung fällen. Er muss regeln, wer Jude ist.

Eigentlich stehen Sie in guter zionistischer Tradition. Die meisten Gründer des Staates Israel verstanden sich als Angehörige des jüdischen Volkes, nicht einer jüdischen Religionsgemeinschaft.
Ganz genau! Der Zionismus war von Beginn an säkular. Er brachte das Volk wieder in sein Land. Das Volk, nicht die Religion! Die gab’s ja auch in Polen.

Mit dem Schriftsteller sprach Christian Buckard.

Interview

»Die Zeit der Exzesse ist vorbei«

In ihrem neuen Buch »Glamour« setzt sich die Berliner Autorin Ute Cohen mit Schönheit und Eleganz auseinander. Dabei spielt auch Magie eine Rolle - und der Mut, sich selbst in einer »Zwischenwelt« inszenieren zu wollen

von Stefan Meetschen  17.12.2025 Aktualisiert

Potsdam

Kontroverse um Anne-Frank-Bild mit Kufiya

Ein Porträt von Anne Frank mit Palästinensertuch in einem Potsdamer Museum entfacht Streit. Während Kritiker darin antisemitische Tendenzen sehen, verteidigt das Museum das Bild. Die Hintergründe

von Monika Wendel  17.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  17.12.2025

Nachruf

Albtraum in der Traumfabrik

Eine Familientragödie hat den Hollywood-Riesen und seine Frau aus dem Leben gerissen. An Rob Reiners Filmen voller Menschenliebe wie »Harry und Sally« ist eine ganze Generation mitgewachsen

von Sophie Albers Ben Chamo  17.12.2025

Theater

Die Krise des Schlemihl

»Sabotage« von Yael Ronen ist ein witziger Abend über einen Juden, der sich ständig für den Gaza-Krieg rechtfertigen muss

von Stephen Tree  17.12.2025

Forum

Leserbriefe

Kommentare und Meinungen zu aktuellen Themen der Jüdischen Allgemeinen

 17.12.2025

Zahl der Woche

30 Minuten

Fun Facts und Wissenswertes

 17.12.2025

Musik

Großes Konzert: Xavier Naidoo startete Tournee

Die Synagogen-Gemeinde Köln kritisiert: »Gerade in einer Zeit zunehmender antisemitischer Vorfälle ist es problematisch, Herrn Naidoo eine Bühne zu bieten«

 17.12.2025

"Imanuels Interpreten" (16)

Ethel Lindsey: Queer und funky

Die Französin mit israelischen Wurzeln bringt mit ihrem Debütalbum »Pretty Close« die 70er-Jahre zurück

von Imanuel Marcus  17.12.2025