Sprachgeschichte(n)

Reden wir Tacheles

Name als Programm: das Berliner Künstlerzentrum Tacheles Foto: Marco Limberg

Seit Ende der 80er-Jahre hat der Jiddismus »Tacheles« Hochkonjunktur bei Journalisten. Die Augsburger Allgemeine berichtete kürzlich: »Jetzt spricht die Rating-Agentur Moody’s wieder Tacheles«, die österreichische Kronenzeitung charakterisierte ein Übersetzungsprojekt mit den Worten »In der Volxbibel wird Tacheles geredet«, und die schweizerische NZZ am Sonntag titelte: »USA reden Tacheles mit Israel«.

Die Popularität des Wortes ist relativ neu. Früher war die Wendung, wie Hans P. Althaus in seinem Buch Chuzpe, Schmus und Tacheles (2004) schreibt, in nichtjüdischen Kreisen kaum bekannt. Noch 1941 fügte der Bearbeiter im Frankfurter Wörterbuch dem Eintrag »Mer wolle von Dachles redde« erläuternd hinzu: »Wir wollen den Gesprächsgegenstand wechseln, wir wollen von etwas anderem, Erfreulicherem, Vernünftigerem reden.«

vernunft »Tacheles« steht für Klartext reden, in dem Sinne, den auch der Duden umschreibt: unverhüllt, ohne falsche Rücksichtnahme seine Meinung sagen. Der für seine Sticheleien bekannte Karl Kraus kontrastierte »Tachles«, das er mit Vernünftigem gleichsetzte, gern mit »Schmonzes« (Unsinn), wie 1934 in seiner » Fackel« mit den parodistischen Zeilen: »Der Schmonzes sind genug gewechselt,/lasst mich auch endlich Tachles sehn.«

Bei Kraus, erst recht in der heutigen Standardsprache, wird damit ein neuer semantischer Akzent gesetzt. Denn im Jiddischen benutzte man das vom hebräischen Wort »tachlît« (Vollendung, Äußerstes) abgeleitete »tachlis«, wenn man auf den Zweck oder eine zweckmäßige Handlung abhob. So etwa in Sprüchen wie »Da länger sitzen ist kein Tachlis« oder »Wer kein Tachlis hat, der drischt leeres Stroh«. Auch in Salomon H. Mosenthals Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben (1878) heißt es über eine heiratsfähige Tochter: »Folgt mir, Reb Tobiah, und seht zu, dass Ihr das Kind in die Stadt bringt. Was hat sie hier für ein Tachlis? (praktischen Zweck).«

geschäft Die heutige Bedeutung findet sich jedoch auch schon zur selben Zeit. Abraham Tendlau zitiert in seinen Jüdischen Sprichwörtern und Redensarten (1860) den Einwurf eines Landwirts, den dieser, »ein seiner Meinung nach eitles Gespräch unterbrechend«, vorgebracht hatte: »Lass uns von Tachlis reden – was gilt der Wagen Mischt (Mist).« »Tachlis!« für »Komm endlich auf den Punkt!« war der Ordnungsruf bei fruchtlosen Debatten. »Schmus tachlis« hieß schlicht »Red’ Zweckmäßiges«, will sagen, »Red’ vom Geschäft«.

Ähnlich standen »Mach tachlis!« für »Beeil dich« oder »Komm zur Sache«, und »das hat keinen tachlis« für »das hat weder Hand noch Fuß«. Und da im Hebräischen und Jiddischen die Silbe »bal« als erstes Element einer Wortverbindung oft eine Person anzeigt, die mit dem Inhalt des zweiten Elements verbunden ist – wie bei »balkiss« (Kapitalist), »balmischpet« (Querulant) oder »baltowe« (Wohltäter) –, galt der »baltachlis« als praktischer, entschlossener Mensch.

TV-Kritik

Politisierende Ermittlungen

In »Schattenmord: Unter Feinden« muss eine arabisch-stämmige Polizistin den Mord an einem jüdischen Juristen aufklären

von Marco Krefting  02.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  01.12.2025 Aktualisiert

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Rache

»Trigger-Thema« für Juden

Ein Filmseminar der Jüdischen Akademie untersuchte das Thema Vergeltung als kulturelle Inszenierung

von Raquel Erdtmann  01.12.2025

Wuppertal

Schmidt-Rottluff-Gemälde bleibt in Von der Heydt-Museum

»Zwei Frauen (Frauen im Grünen)« von Karl Schmidt-Rottluff kann im Von der Heydt Museum in Wuppertal bleiben. Nach Rückgabe an die Erbin erwarb die Stadt das Bild von ihr. Vorausgegangen waren intensive Recherchen zur Herkunft

 01.12.2025

Dorset

»Shakespeare In Love« - Dramatiker Tom Stoppard gestorben

Der jüdische Oscar-Preisträger war ein Meister der intellektuellen Komödie. Er wurde 88 Jahre alt

von Patricia Bartos  01.12.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 30.11.2025 Aktualisiert

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025