Sprachgeschichte(n)

Red’ keinen Stuss

Wer Stuss redet, produziert verbale Luftblasen. Foto: Fotolia

Wer Blödsinn daherredet, dessen Worte qualifizieren wir ab – als Gefasel oder Geschwafel, Gewäsch oder Humbug, kalten Kaffee oder Kokolores, Mumpitz oder Pipifax, Quatsch oder Schnickschnack.

Doch es gibt einen weiteren Ausdruck, den wir Dummschwätzern gern entgegenschleudern: »Red’ keinen Stuss!« Er entstammt dem westjiddischen »schtus«, hergeleitet aus dem hebräischen »schtut« für »Irrsinn, Narrheit«, und taucht zu Beginn des 18. Jahrhunderts zunächst in westlich-niederdeutschen, mitteldeutschen und rheinfränkischen Mundarten auf. Die semantische Skala reicht von »Spaß«, »Albernheit«, »dummer Streich«, »Scherz«, »Rappel«, »fixe Idee« bis zu »Unsinn« und »Fehlurteil«, so E. Naschér im Buch des jüdischen Jargons 1910.

In J. A. Schmellers Bayerisches Wörterbuch (1836) steht Stuss für Zank und Streit, eine Variante, die man auch in Amerika findet. Leo Rosten zitiert in seinem Standardwerk Jiddisch von 2002 beispielsweise die Äußerung: »She made such a stus that they had to go to court.« Und im ostfriesischen Niederdeutsch, so ein Eintrag im Doornkaat-Koolmannschen Wörterbuch von 1884, steht »Stuss« für einen »stupiden, ungehobelten Menschen«.

schmock achtzehn Als »Unsinn« ist der Ausdruck über rotwelsche und studentische Sprecher, teils sogar schriftsprachlich vermittelt, in andere Regionalvarietäten gelangt. Christian W. Kindleben beschrieb »Stusse« im Hallenser Studentenlexikon (1781) als »Torheiten«. Im Straßburger Idiom tauchen in Johann G. D. Arnolds Lustspiel Der Pfingstmontag (1816) »gelehrde stüsse« auf, in den »hinterlassenen Papieren eines französischen Offiziers«, die Johann K. Friederich 1848 als Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten publizierte, heißt es an einer Stelle: »Auweih geschrien, Herr Baron, was mache Se vor än dumme Stuss!«

»Stuss« war ein Kommunikationswort, das, so das Grimm’sche Wörterbuch, »teilweise wohl auf unmittelbarer Kenntnis jüdischer Kreise oder rabbinischen Schrifttums beruhte«. Besonders in Berlin war es beliebt. Das in Revolutionszeiten etablierte Lokalblatt Berliner Krakehler wartete 1848 mit der Erkenntnis auf: »Der stusz, der is grausz!« In den Scherzen in jüdischer Mundart, die 1860 ein gewisser Pseudonymus »Schmock Achtzehn« unter dem Titel Heißt’n Stuss! publizierte, liest man: »Geh, Du Schmockleben, was redst Du für Stuss!«

salomo Aber auch in gebildeten Kreisen fand das Wort Eingang. Eduard Dedekind schrieb 1860 an den Philosophen Feuerbach: »Wo in der Welt, sage mir, kannst du einen ›solideren Stuss‹ wiederfinden als hier im glücklichen Amerika?« Selbst die Tora blieb vom Stuss nicht verschont. Abraham Tendlau erklärte in den Jüdischen Sprichwörtern und Redensarten (1860) die Lebensmaxime Frankfurter Juden »Unrecht ist mir lieber als Stuss« mit Bezug auf die Sprüche Salomos (18,2), wo es heißt: »Dem Unrecht gegenüber kann man sich verteidigen; aber der Narr ist von seiner Narrheit nicht abzubringen.«

Heute ist Stuss längst in die Standardsprache eingegangen, wie die Lektüre von Zeitungen beweist. Die Welt beurteilte eine Musiksendung als »Einheitsbrei statt unterhaltsamem Stuss«, der Berliner Tagesspiegel schrieb von »Lifestyle-Stuss«. Und jugendsprachliche Internetblogs belegen auch den kreativen Gebrauch durch die junge Generation beim Verb (»Wenn Lehrer stussen«) und Adjektiv (»Bisse bestusst oder wat?«).

Berlin

»Berlin verneigt sich«

Zwei Monate nach ihrem Tod wird die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer in Berlin gewürdigt. Der Bundespräsident mahnt vor Politikern und Weggefährten, das Erbe der Jahrhundertfrau weiterzutragen

von Alexander Riedel  09.07.2025 Aktualisiert

Zahl der Woche

4275 Personen

Fun Facts und Wissenswertes

 09.07.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Studieren in Wien, Mampfen im neunten Bezirk

von Margalit Edelstein  09.07.2025

Psychologie

Modell für die Traumaforschung

Die Hebräische Universität veranstaltet eine Konferenz zu seelischer Gesundheit in Kriegszeiten

von Sabine Brandes  09.07.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 10. Juli bis zum 18. Juli

 09.07.2025

Musikbranche

»Schmähungen allein verbrauchen sich schnell«

Marek Lieberberg gehört zu den größten Konzertveranstaltern Europas. Der 79-Jährige über den Judenhass auf internationalen Musikfestivals, die 1968er und Roger Waters

von Sophie Albers Ben Chamo  09.07.2025

Berliner Philharmonie

Gedenkfeier für Margot Friedländer am Mittwoch

Erwartet werden zu dem Gedenken langjährige Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter, Freundinnen und Freunde Friedländers sowie Preisträgerinnen und Preisträger des nach ihr benannten Preises

 08.07.2025

Berlin

Die Tänzerin ist Raubkunst

Heinrich Stahl musste die Statue während der NS-Zeit unter Zwang verkaufen. 1978 geriet sie an das Georg Kolbe Museum. Jetzt erheben Erben Vorwürfe gegen die Direktorin

von Ayala Goldmann  08.07.2025

Andrea Kiewel

»Sollen die Israelis sich abschlachten lassen?«

Die »Fernsehgarten«-Moderatorin äußert sich im »Zeit«-Magazin erneut deutlich politisch zu ihrer Wahlheimat

 08.07.2025