Literatur

Rasante Karriere

Beim Bachmann-Wettbewerb wurde ihr Text ausgezeichnet. Jetzt arbeitet Dana Vowinckel an ihrem ersten Roman

von Sophie Albers Ben Chamo  13.08.2021 10:51 Uhr

Lebt in Berlin-Kreuzberg: die Schriftstellerin Dana Vowinckel (25) Foto: Catharina Tews

Beim Bachmann-Wettbewerb wurde ihr Text ausgezeichnet. Jetzt arbeitet Dana Vowinckel an ihrem ersten Roman

von Sophie Albers Ben Chamo  13.08.2021 10:51 Uhr

Man könnte mit dem Ärger anfangen. Aber das hier ist ein Grund zum Feiern, also gibt es den ein bisschen später. Etwas Geduld, bitte. Die 25 Jahre junge Dana Vowinckel hat vor wenigen Wochen mit ihrem wunderbaren Text »Gewässer im Ziplock« beim Bachmann-Wettbewerb den zweiten Preis gewonnen, den Deutschlandfunk-Preis. Gleichzeitig aufgeregt und in sich ruhend las sie der Jury des wichtigsten literarischen Wettbewerbs im deutschsprachigen Raum und dessen Fernsehpublikum ihre Geschichte vor.

Vom Blick einer jüdischen Gemeinde auf ihren Kantor, diesen rätselhaften Mann, der gerade noch mit dem Rücken zu seinen Mitbetern stand und nun in großer Runde beim Kiddusch sitzt; von dessen Tochter, einem wild-pubertierenden Mädchen, das den Sommer bei den Großeltern in den USA verbringt, wo das Jüdischsein anders als in der deutschen Heimat so selbstverständlich ist; vom Flug nach Israel, wo nicht nur die Mutter wartet.

In ruhigem Rhythmus wechseln die Perspektiven, genießt der Kantor das Gebet, verkriecht sich das Mädchen im Liebeskummer, starrt es am Abflug-Gate auf die Mazzaballs im Ziplockbeutel …

Vowinckels Heldin starrt am Flughafen auf die Mazzaballs im Ziplockbeutel.

In Zeiten wie diesen sind die Autoren natürlich nur zugeschaltet. Vowinckel saß daheim in Berlin und konnte nach der Lesung mit Freunden im Hinterhof feiern, dank niedriger Pandemie-Zahlen.

CHAMPAGNER Sie dachte, das Wichtigste sei geschafft. »Zuerst habe ich vor versammelter Mannschaft eine halbe Stunde lang geheult vor Erleichterung. Dann gab es Champagner«, sagt sie lachend im Zoom-Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Mit einem Preis habe sie nicht gerechnet, aber den gab es am nächsten Tag. Da waren schon fast alle wieder weg.

Gerade ist sie in Basel, »ich muss in den kommenden Wochen ganz viel schreiben. Hier kenne ich kaum jemanden, der mich ablenken könnte«. Denn natürlich wollen nun alle diesen Roman lesen, der noch gar nicht fertig ist.

Aber keine Sorge, Vowinckel ist schnell. Für Buchbranchenverhältnisse sogar Speedy-Gonzales-schnell. Ganze drei veröffentlichte Texte hat sie gebraucht, um mit dem vierten nach Klagenfurt eingeladen zu werden: einen Studierenden-Blog, einen Essay namens »Rega« über das Wesen des Augenblicks und einen Text über einen ziemlich wütenden Spaziergang durch das jüdische Berlin.

Die Liebe zur Sprache sei immer da gewesen, sagt Vowinckel: »Durchs Lesen. Zweisprachig aufzuwachsen, hat geholfen. Und ich denke, dass es für Kinder sprachlich sehr spannend ist, viel Zeit in Synagogen zu verbringen. Da sind sie umgeben von einer Sprache, die sie oft nicht oder nur teilweise verstehen. Ich kann kein Iwrit, ich kann ein bisschen Hebräisch lesen. Mein Vater ist Literaturwissenschaftler. Also: Es kommt nicht von irgendwo«, sagt die junge Frau mit fester Stimme, so fest wie ihre Meinung zum Thema Identität, das ein fester Baustein ihrer Texte ist.

GIUR Vowinckel ist in Berlin geboren. Der Vater ist Amerikaner und Jude, die Mutter Deutsche und Protestantin. »Ich komme aus einer Familie, wo meine Großeltern und Urgroßeltern väterlicherseits amerikanische Juden sind und meine Urgroßeltern mütterlicherseits Nazis. Das sind komplexe Gegebenheiten, die zu diesen Identitäten führen, die es immer häufiger gibt in Deutschland.«

Der Juror Klaus Kastberger bemängelte, der Text beinhalte »zu viel Orthodoxie«.

Dana Vowinckel meint Menschen, die sich als jüdisch verstehen, die jüdische Väter oder Partnerinnen beziehungsweise Partner haben, »ohne, dass sie übertreten, und eben deren Nachkommen. Dem kann man sich in einem literarischen Schaffen auch stellen«, sagt die Literaturstudentin, die sich der eigenen Identität im Alter von zehn Jahren vergewissert hat, indem sie Giur machte.

Es gehe ihr um Selbstverständlichkeit, sagt Vowinckel. »Dass es völlig selbstverständlich ist, dass auch diese Geschichten geschrieben werden. Und dass ich mich am wenigsten verstelle, wenn ich schreiben kann, worum es mir geht. Jeder sitzt bei sich am Tisch und regt sich über irgendetwas auf. Auch ich. Und man findet unterschiedliche Arten, damit umzugehen. Ich schreibe es auf.«

Womit wir beim Ärger wären. Die Bachmann-Juryrunde war Vowinckels Text erstaunlich einstimmig wohlgesinnt. Bis der Germanist und Literaturkritiker Klaus Kastberger an der Reihe war, der nach anfänglichem Lob bemängelte, dass die Autorin mit der Darstellung von Orthodoxie einer Mode folge, für die Strea­mingerfolge wie Unorthodox und Shtisel stünden.

Aber die Orthodoxie sei auch ein »Kerkersytem«. Der Text beschäftige sich nicht radikal genug mit dem Ausbrechen aus diesem Kerker. Es sei ihm »zu viel Orthodoxie, zu viel Propaganda dieser anderen Welt, zu wenig Widerstand dagegen« … Orthodoxie? Kerker? Propaganda? Mode? Was soll man da noch sagen?
Vowinckel sagt Folgendes: »Ich hatte überhaupt keine Lust auf einen persönlichen Angriff oder eine Antisemitismus-Debatte. Das kennt man doch, wenn es wieder durch die Feuilletons geht. Aber es bringt uns als Juden ja nirgendwo hin.«

Die Autorin sagt: »Ich habe keine Lust auf eine Antisemitismus-Debatte.«


Es sei ihr sehr wichtig zu sagen: »Das war nicht in Ordnung, was Klaus Kastberger gesagt hat. Er hat den Text nicht fehlinterpretiert, sondern nicht richtig gelesen. Diese Differenzierung ist sehr wichtig. Es wäre viel zu einfach zu sagen, der ist Antisemit oder hat schlimme Stereotype. Das war einfach symptomatisch dafür, was mit Juden in Deutschland gemacht wird seit dieser Unorthodox-Serie und den Reaktionen darauf. Die Leute stürzen sich darauf und denken, sie wären bessere Menschen, weil sie alle Atheisten sind.«

SUPERMÄRKTE In einer herzhaften Replik auf ihrer Website schreibt sie: »Wir nehmen ja auch die sonntags geschlossenen Supermärkte in Deutschland nicht als Symptom eines Lebens in einer fundamentalistisch-christlichen Dystopie à la Handmaid’s Tale wahr.«

Und? Hat der Preis nun einen bitteren Nachgeschmack? »Nein. Ich habe den zweiten Platz gewonnen! Ich habe plötzlich Geld auf dem Konto. Ich bin total glücklich, dass ich diesen Roman schreiben kann!«, sagt Vowinckel – mit ganz viel Selbstverständlichkeit.

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