Zentrum für Politische Schönheit

Radikale Eitelkeit

Philipp Ruch im Gespräch mit dem Philosophen Leon Joskowitz

Die Aufregung war groß, und sie scheint fast vergessen. Anfang Dezember 2019 errichtete das Künstlerkollektiv »Zentrum für Politische Schönheit« (ZPS) in Berlin zwischen Bundestag und Kanzleramt eine sogenannte Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus.

Sie sollte vor einer Zusammenarbeit zwischen Konservativen und Rechtsextremen warnen. Ein wesentlicher Bestandteil der Kunstaktion war eine Stele, in der sich angeblich auch Asche und Knochenreste von Schoa-Opfern befanden.

Die Aktion stieß auf heftigen Protest. So kritisierte der Zentralrat der Juden in Deutschland eine mögliche Störung der Totenruhe. Das Künstlerkollektiv entschuldigte sich zügig, die Gedenkstätte ließ sie aber erst Mitte Januar 2020 abbauen. Ebenfalls erst im Januar stellte Philipp Ruch, »künstlerischer Leiter« des ZPS, klar, die Stele habe zu keinem Zeitpunkt Asche von Schoa-Opfern aus Auschwitz enthalten.

SCHWUR »Wir haben die Asche nicht aus Auschwitz«, bekräftigte Ruch auch am vergangenen Dienstag. In Frankfurt kam er zu einem Gespräch mit dem Philosophen Leon Joskowitz zusammen.

Die als »Philosophischer Salon« von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt organisierte Begegnung fand ohne Publikum statt. Die Gemeinde übertrug das etwa 75-minütige Gespräch live im Internet. Joskowitz diskutierte mit Ruch unter anderem über dessen philosophisches, künstlerisches und staatsbürgerliches Selbstverständnis sowie über frühere Aktionen des ZPS.

Zu Beginn erläuterte Philipp Ruch den Begriff, der dem vierköpfigen Künstlerkollektiv seinen Namen gibt: »Ein Akt politischer Schönheit wäre so etwas wie der Kniefall Willy Brandts in Warschau.« Die höchste Form der Kunst sei gute Politik.

Ruch versuchte, sich von einer vermeintlich allgegenwärtigen selbstbezüglichen Kunstproduktion abzugrenzen: »Wir machen radikale politische Kunst.« Als prägende Erfahrung beschrieb er den Geschichtsunterricht in seiner Jugend. Damals sei bei ihm etwas passiert, was viele in Deutschland nicht getan hätten: »Ich habe den Schwur ‚Nie wieder Auschwitz‘ ernst geschworen.«

MONOLOGE Leon Joskowitz zeigte sich seinem Gesprächspartner zwar intellektuell zugeneigt, erwies sich aber auch als skeptischer und kritischer Moderator. Immer wieder hakte er nach, was auch notwendig war. Philipp Ruch ist zwar klug und eloquent, neigt aber auch zur Eitelkeit.

Mehrfach verlor er sich in selbstdarstellerischen Monologen. In Bezug auf die Gedenkstele vor dem Bundestag setzte Joskowitz den Aktionskünstler unter Druck: »Sie haben nicht die deutsche Öffentlichkeit provoziert mit Ihrer Aktion, sondern die Nachkommen der Verstorbenen, der Ermordeten.« Dafür entschuldigte sich Ruch abermals.

Zur Rechtfertigung behauptete er, das ZPS habe während der Recherche für die jüngste Kunstaktion auch Rabbiner konsultiert. Überhaupt versuchte Ruch, seine vermeintlich umfassende Kenntnis des jüdischen Religionsgesetzes unter Beweis zu stellen. Dieses sei Auslegungssache, die Meinungen gingen weit auseinander, es gebe nicht nur die Orthodoxie, sondern auch ein liberales, aufgeklärtes Judentum.

TALKSHOW Gegen Ende des Gesprächs äußerte sich Ruch zum Sinn und Unsinn drastischer Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie (»Auch zu diesem Umgang gibt es Alternativen«) und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft (»ökonomischer Suizid, nicht demokratisch legitimiert«).

Spätestens jetzt fühlte man sich an einschlägige Polit-Talkrunden erinnert und erwischte sich beim lauten Lästern über die Gesprächsteilnehmer. Dass man diesen »Philosophischen Salon« gezwungenermaßen nur am Bildschirm erleben konnte, rückte ihn in eine unvorteilhafte Nähe zum Fernsehen.

Musik

Louis-Lewandowski-Festival hat begonnen

Der Komponist Louis Lewandowski hat im 19. Jahrhundert die jüdische Synagogenmusik reformiert. Daran erinnert bis Sonntag auch dieses Jahr ein kleines Festival

 18.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  18.12.2025

Ausstellung

Pigmente und Weltbilder

Mit »Schwarze Juden, Weiße Juden« stellt das Jüdische Museum Wien rassistische und antirassistische Stereotype gleichermaßen infrage

von Tobias Kühn  18.12.2025

Kulturkolumne

Vom Nova-Festival zum Bondi Beach

Warum ich keine Gewaltszenen auf Instagram teile, sondern Posts von israelischen Künstlern oder Illustratorinnen

von Laura Cazés  18.12.2025

Neuerscheinung

Mit Emre und Marie Chanukka feiern

Ein Pixi-Buch erzählt von einem jüdischen Jungen, der durch religiöse Feiertage Verständnis und Offenheit lernt

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Zahl der Woche

1437

Funfacts & Wissenswertes

 18.12.2025

Revision

Melanie Müller wehrt sich gegen Urteil zu Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was bisher bekannt ist

 18.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  18.12.2025

Los Angeles

Rob und Michele Reiner: Todesursache steht fest

Ihre multiplen Verletzungen seien durch Gewalteinwirkung entstanden, so die Gerichtsmedizin

 18.12.2025