Cannes

Premiere unter Palmen

Es geht wieder los: hundertprozentige Auslastung in den Kinosälen und prominente Gäste auf dem roten Teppich Foto: imago images/PanoramiC

Zum 74. Mal finden in diesem Jahr die Internationalen Filmfestspiele von Cannes statt, doch noch nie standen das Festival und seine Besucher vor so vielen Ungewissheiten. Eigentlich will man an der Croisette die Veranstaltung vom 6. bis 17. Juli wie gewohnt durchziehen, mit mehr Filmen denn je, hundertprozentiger Auslastung in den Kinosälen und prominenten Gästen auf dem roten Teppich.

Doch nicht alle der Filmschaffenden und Journalisten, die nun statt im Mai mitten in der Hochsaison in die enge Mittelmeerstadt reisen, sind geimpft, und ob die Teststrategie und die Sicherheitsmaßnahmen des Festivals greifen – und welche Auswirkungen sie auf den organisatorischen Ablauf haben werden –, bleibt abzuwarten.

programm Fest steht vor Beginn der Filmfestspiele immerhin zweierlei. Das Programm, zumal im Wettbewerb um die Goldene Palme, liest sich auf dem Papier ungemein spannend. Und das israelische Kino, das bereits seit ein paar Jahren einen guten Lauf hat bei den großen Festivals, ist dieses Mal so prominent vertreten wie noch nie.

Israelische Filme sind diesmal in Cannes so prominent vertreten wie noch nie.

Den prominentesten Startplatz hat dabei Nadav Lapid inne. Keine zweieinhalb Jahre ist es her, dass der Regisseur aus Tel Aviv mit Synonymes den Goldenen Bären der Berlinale gewann. Nun ist er endgültig in der obersten Liga des Weltkinos angekommen und mit seinem neuen Film Ha’Berech – Ahed’s Knee (an dessen Produktion auch die Berliner Firma Komplizen Film von Maren Ade beteiligt ist) im Wettbewerb vertreten.

Im Zentrum der Geschichte steht ein Regisseur Mitte 40 (gespielt von Avshalom Pollak), der zur Präsentation eines seiner Filme in einem Wüstendorf ankommt und dort einer Mitarbeiterin des Kulturministeriums begegnet. Gleich bei zwei Kämpfen, so verspricht es die Ankündigung auf der Website des Festivals, steht Lapids Pro­tagonist dabei auf verlorenem Posten: in politischer Hinsicht – und mit Blick auf den Tod der eigenen Mutter.

comeback In einem Special Screening außer Konkurrenz läuft obendrein noch ein zweiter neuer Film von Lapid: Sein Kurzfilm The Star erzählt von einer Frau, die mitten in der Hochphase der gegenwärtigen Pandemie nichts dringender wünscht, als ihren Lieblingsstar zu küssen. Die Hauptrollen spielen dabei Lapids Lebensgefährtin Naama Preis und sein Synonymes-Hauptdarsteller Tom Mercier (der kürzlich auch in der Serie We Are Who We Are zu sehen war).

Für die wichtigste Nebenreihe »Un Certain Regard« wurde Let There Be Morning ausgewählt, der neue Film von Eran Kolirin. Schon der vorangegangene Film des aus Holon stammenden Regisseurs, das Drama Me’Ever Laharim Vehagvaot – Beyond the Mountains and Hills, hatte in dieser Sektion vor fünf Jahren Premiere gefeiert. Doch sein bekanntestes Werk ist bis heute die Tragikomödie Die Band von nebenan, sein Debüt aus dem Jahr 2007. Kolirins neuer Film handelt von einem Familienvater, der für die Hochzeit seines Bruders in das palästinensische Dorf seiner Jugend zurückkehrt, das unvermittelt von Soldaten abgeriegelt wird.

Mit noch mehr Spannung dürfte der neue Animationsfilm von Ari Folman erwartet werden, der in Cannes außer Konkurrenz gezeigt wird. Where Is Anne Frank? folgt der imaginären Freundin Kitty, der Anne Frank ab 1944 ihre Tagebucheinträge gewidmet hatte. Gemeinsam mit David Polonsky hatte Folman, der auch schon seine beiden Filme Waltz With Bashir und Der Kongress an der Croisette präsentierte, 2017 das Tagebuch der Anne Frank als Graphic Novel veröffentlicht. Im Herbst dieses Jahres folgt nun in deutscher Übersetzung auch Kittys Tagebuch: Wo ist Anne Frank?.

special screenings In der Reihe der sogenannten Special Screenings ist darüber hinaus die zweiteilige Dokumentararbeit Cahiers Noirs zu sehen, mit der Shlomi Elkabetz nach Cannes zurückkehrt. Zuletzt war er 2014 mit Get – Der Prozess der Viviane Amsalem beim Festival vertreten, einer gemeinsamen Regiearbeit mit seiner Schwester, Hauptdarstellerin und langjährigen Kollegin Ronit Elkabetz. Nach deren Krebstod im Jahr 2016 setzt der schwule Filmemacher ihr mit seinem neuen Werk nun ein Denkmal.

Auch Babi Yar. Context läuft als Special Screening, ein neuer Dokumentarfilm des ukrainischen Regisseurs Sergei Loznitsa. Ausschließlich mit Archivaufnahmen arbeitend, rekonstruiert der preisgekrönte Filmemacher hier die Ereignisse, die zum Massenmord an 33.771 Juden im von den Deutschen besetzten Kiew im September 1941 führten.

»Wie so viele Holocaust-Verbrechen gibt es auch von der Tragödie von Babi Jar praktisch keine visuellen Darstellungen, weil die Nazis bei ihren Massenhinrichtungen keine Kameras zuließen«, sagt Loznitsa auf seiner Website. »Doch es ist möglich, mittels Archivmaterial aus der Zeit der deutschen Besatzung der Ukraine den historischen Kontext herzustellen. Mein Ziel ist es, das Publikum mitten in die Atmosphäre jener Zeit zu versetzen.«

frauen Was das israelische Kino angeht, ist in Cannes darüber hinaus auch der Nachwuchs vertreten – und der ist weiblich. In der Reihe »Cinéfondation«, die ausschließlich Filmstudentinnen gewidmet ist, präsentiert Mya Kaplan von der Tel Aviv University ihren 25-minütigen Film Habikur – Night Visit. Und in der von Kritikern kuratierten »Semaine de la Critique« läuft der Kurzfilm Ma Shelo Nishbar von Elinor Nechemya, die aktuell auch ihren ersten Spielfilm vorbereitet.

Der Regisseur des Erfolgsfilms »Die Band von nebenan« meldet sich in Cannes zurück.

Jüdisches Filmschaffen kommt aber auch bei den 74. Internationalen Filmfestspielen von Cannes nicht nur aus Israel. Neue Filme der Franzosen Mathieu Amalric und Samuel Benchetrit feiern ebenso Weltpremiere wie Todd Haynes’ Dokumentarfilm The Velvet Underground über Lou Reed und seine gleichnamige Band. Charlotte Gainsbourg widmet sich in ihrem ersten selbst inszenierten Film Jane By Charlotte ihrer eigenen Mutter Jane Birkin.

Gleich im Eröffnungsfilm Annette von Leos Carax gibt es neben Adam Driver und Marion Cotillard auch ein Wiedersehen mit Simon Helberg alias Howard Wolowitz aus The Big Bang Theory. Und für Glamour bei den allabendlichen Premieren sorgt nicht zuletzt die Wettbewerbs-Jury, zu der neben dem Vorsitzenden Spike Lee in diesem Jahr auch Maggie Gyllenhaal (Crazy Heart) und Mélanie Laurent (Inglourious Basterds) gehören.

Internationale Filmfestspiele von Cannes: 6. bis 17. Juli

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