Sprachgeschichte(n)

Pleite, bankrott, kaputt

Brauch am Vorabend des Versöhnungstages: das »kapores shlogn« Foto: Flash 90

Sprachgeschichte(n)

Pleite, bankrott, kaputt

Wie »kapores« vom Sühneopfer an Jom Kippur über die Handelssprache in den Alltagswortschatz überging

von Christoph Gutknecht  07.09.2015 17:04 Uhr

Gott der Gerechte›, rief er, ‹ich bin betrogen worden, ich bin kapores, ich bin pleite um vierzig Taler!› – Sie aber stemmte die Arme in die Seite und fragte: ‹Was bist du? Pleite und kapores bist du um vierzig Taler? Nein. Kapores ist dein Verstand, und pleite ist dein Gehirn.›»

Diesen Dialog im populärsten Fortsetzungsroman des 19. Jahrhunderts, Das Waldröschen (1882–1884), schrieb kein Geringerer als Karl May. Er griff dabei auf die jiddischstämmigen Wörter «pleite» und «kapores» zurück. Der Ausdruck «pleitegehen» ist uns geläufig. Er hat sich semantisch von «flüchten» (jiddisch: «pleto melochnen») zu «bankrott sein» gewandelt: Der «Pleitegeher» war eben auf der Flucht vor den Gläubigern.

Kapara Das heute nur noch selten synonym zu «kaputt» benutzte «kapores» entstammt dem westjiddischen Ausdruck «kapores shlogn», der auf den am Vorabend von Jom Kippur durchgeführten Brauch zielte, Hühner als Sühneopfer um den eigenen Kopf zu schwingen und später zu schlachten. Das hebräische «kapara(h)» stand dabei für «Sühne», «kaparot» für «Versöhnung».

Im Rotwelschen ist das Lexem seit dem 18. Jahrhundert bezeugt: «Capores/capore machen» übersetzten das Duisburger Vocabular (1724) und das Waldheimer Lexikon (1726) als «(er)morden». Die Rotwelsche Grammatik (1755) deutete «Kabbores gehen» als «ums Leben kommen». J. K. von Trains Woerterbuch der Gauner- und Diebsvulgo Jenischen Sprache (1833) erwähnt «kapores» für «leblos, tot», «kapore teken» für «Sühneopfer darbringen» und – durchaus prosaisch – «kapores malochnen» für «vertilgen».

E. W. Germers Schrift Das Studentenkorps Vandalia (1859) aus Leipzig zeigt, dass «kapores sein» (für «kaputt sein») über das Rotwelsche in die Studentensprache gelangte. Noch heute gibt der Duden für «kapores gehen» die Bedeutung «entzwei gehen» an, attestiert ihm aber eine geringe Häufigkeit.

Fluch Auch einschlägige Kreise Österreichs kannten das Wort. In Die gefährlichen Klassen Wiens (1851) stellte R. A. Fröhlich neben das Adverb «kappore» («zertrümmert, umgebracht») und das Nomen «Kappore» («Verderben») den Fluch «Du sellst kappore wern» («Der Teufel soll dich holen!»). Heute hört man es selten, aber R. Sedlaczeks Wörterbuch des Wienerischen (2011) führt «kapores» noch auf – mit den Bedeutungen «zerschlagen, unbrauchbar».

Für viele Literaten war das Wort früher gängige Münze. Im Roman Lalala, Tralala (1782–1784) des Volksdichters Heinrich Ludwig Kramann meinte «kapores gehen» schlicht «zugrunde gehen» – so auch in Jean Pauls Buch Der Jubelsenior (1797): «Aber man hatte sich davon hier und da noch ganz andere Dinge versprochen, die nun klar kapores gehen.»

Wilhelm Busch, dessen latenter Antisemitismus bekannt ist, dichtete in der Bildergeschichte Plisch und Plum (1882), als zwei Hunde Schmulchen Schievelbeiner angreifen: «Und wie schnell er sich auch dreht, / Ach, er fühlt, es ist zu spät; / Unterhalb des Rockelores / Geht sein ganze Sach kapores.»

Ähnlich formulierte der Schriftsteller Joseph von Lauff, für Karl Kraus ein «trivialer Hofdramatiker», in seinem Roman Marie Verwahnen (1902): «‹Perdje, schweigen Sie still›, rief Moses Herzlieb, ‹man geht ja kapores bei die Gespenstergefühle!›» Ungleich drastischer urteilte Magnus Hirschfeld in Berlins Drittes Geschlecht (1904), «dass Prostituierte und Verbrecher sich desselben Jargons bedienen: Fortlaufen heißt ‹türmen›, sterben ‹kapores gehen.›»

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