Alice Salomon

Pionierin der sozialen Arbeit

Alice Salomon, Gründerin der ersten Sozialen Frauenschule in Berlin Foto: picture alliance / IMAGNO/Austrian Archives (S)

Alice Salomon

Pionierin der sozialen Arbeit

Vor 150 Jahren wurde die Sozialreformerin und prominente Vertreterin der Frauenrechtsbewegung geboren

 19.04.2022 11:48 Uhr

Die Großnichte von Alice Salomon, die heute mit fast 90 Jahren in England lebt, erzählte kürzlich in einem Interview eine Begebenheit, die ihr für die begabte »Tante Ly« – so wurde sie in der Familie genannt – typisch erscheint.

»Meine Mutter sah Alice einmal auf dem Dachgarten ihrer Schule arbeiten, mit ihr zwei Sekretärinnen – eine zu ihrer Linken und eine zu ihrer Rechten. Sie diktierte zeitgleich zwei Bücher, der einen auf Deutsch und der anderen auf Englisch«, so Eva Jacobs im aktuellen Magazin »Alice« der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) in Berlin. Die Namensgeberin und Gründerin der heutigen Hochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik wurde am 19. April 1872 geboren.

motto Intelligent, gebildet, meinungsstark, tatkräftig und vor allem sozial sehr engagiert – trotz ihres eigenen wohlhabenden Hintergrundes: So war Alice Salomon. Entsprechend stellte sie ihr Leben unter das Motto: »To make the world a better place to live in«.

In ihren Lebenserinnerungen beschreibt Salomon ihre Jugend als Zeit des nutzlosen Daseins.

Geboren wurde Salomon 1872 in Berlin in eine bildungsbürgerliche jüdische Familie. Zusammen mit ihrer älteren Schwester besuchte sie eine christliche Schule in der Nachbarschaft und konvertierte 1914 zum Protestantismus – was ihr aber ihre Ausweisung in der Nazizeit nicht ersparte.

In ihren Lebenserinnerungen beschreibt Salomon ihre Jugend als Zeit des nutzlosen Daseins, die aufgezwungene Untätigkeit als Verurteilung zum stillen Aushalten, zum »Pflanzendasein«. Wie vielen Mädchen aus begüterten Familien war es ihr nicht erlaubt, eine Ausbildung zu absolvieren, obwohl sie gerne Lehrerin geworden wäre.

studium Aus dem langweiligen Dahinvegetieren will sie ausbrechen. Alice Salomon selbst sagte später, dass ihr Leben erst anfing, als sie 21 Jahre alt war. Damals wird sie Mitglied der Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit, die erste Vorläufer ihrer späteren Schule sind. Bald darauf tritt sie dem Bund Deutscher Frauenverein bei, wird stellvertretende Vorsitzende. Obwohl sie kein Abitur hat, darf sie in Berlin Geschichte, Philosophie und Nationalökonomie studieren. 1906 promoviert sie.

Durch Salomons Kontakte mit der Armut verändert sich ihr Leben radikal.

Nebenbei sammelt Salomon erste Erfahrungen in praktischer sozialer Arbeit, hilft etwa in einem Mädchenhort, in dem die Kinder von verwitweten oder »eheverlassenen« Frauen untergebracht sind. Hinzu kommen Hausbesuche bei Menschen, die einen Unterstützungsantrag bei einer Wohlfahrtskommission gestellt haben. Durch diese ersten Kontakte mit der Armut verändert sich ihr Leben radikal.

ungerechtigkeit »Ich rebellierte gegen die Ungerechtigkeit und die Ungleichheit der Chancen. Ich wollte zu Hause die Bilder von den Wänden nehmen, die Teppiche vom Fußboden, ich wollte die einfachste Kleidung tragen und kein Geld dafür ausgeben«, schreibt sie über diese Erfahrungen.

Ihre eigene Geisteshaltung im Umgang mit Menschen beschreibt sie 1926 so: »Setzt einen Menschen in die Lage, ganz er selbst zu sein – und sein Erfolg ist so gut wie sicher.« Dazu passt, was ehemalige Schülerinnen der von ihr 1908 gegründeten Sozialen Frauenschule sagen: Die Schule sei »offen« gewesen, habe das eigenständige Denken und das Vertreten der eigenen Meinung gefördert, heißt es im Hochschulmagazin »Alice«.

1925 eröffnete sie die »Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit« und wurde deren Präsidentin. 1932 zu ihrem 60. Geburtstag erhielt sie vom Preußischen Staatsministerium die Silberne Staatsmedaille, die Berliner Universität verlieh ihr die Ehrendoktorwürde. Diese staatliche Wertschätzung fand durch die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 ein abruptes Ende.

1937 wurde die inzwischen 65-Jährige nach Verhören durch die Gestapo zur Emigration nach New York gezwungen.

1937 wurde die inzwischen 65-Jährige, kurz nachdem sie von einer Vortragsreise aus den USA zurückgekehrt war, nach Verhören durch die Gestapo zur Emigration nach New York gezwungen. An ihren beruflichen Erfolg konnte sie dort nicht mehr anknüpfen. Nur wenige Menschen kamen zu ihrer Beerdigung 1948.

In einem Abschiedsbrief kurz vor ihrer Emigration schrieb Salomon an ihre Freundinnen: »Ich gehe in ein Leben des Kampfes um Brot – aber guten Mutes in froher Zuversicht –, völlig ungebrochen in geistiger und sittlicher Kraft, in meinem Wertgefühl, das nicht von außen beeinträchtigt werden kann. Das eine, wozu meine Kraft nicht reicht, ist zum persönlichen Abschiednehmen.«

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

 30.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025