Ruhrtriennale

Personalien und Pyrrhussiege

Achille Mbembe Foto: dpa

Jetzt ist es amtlich: Achille Mbembe wird nicht zur Eröffnung der Ruhrtriennale sprechen, das Festival ist abgesagt – und dass Stefanie Carp es auch nicht weiter leiten wird, stand schon längst fest. Ist damit alles in Ordnung? Mitnichten.

Innerhalb von wenigen Tagen haben sich zwei Lager gebildet: Kritiker von Mbembe auf der einen Seite, Kritiker der Kritiker auf der anderen. Es ist schon erstaunlich, wie wenig die problematischen Aussagen Mbembes – etwa in seinem Text »On Palestine« oder im Buch Politik der Feindschaft – im Lager der Verteidiger rezipiert wurden.

Antisemitismus Darin dämonisiert er nicht nur den Staat Israel, der angeblich auf die »materielle und symbolische Auslöschung« der Palästinenser abzielt, sondern betreibt auch klassischen Antijudaismus, beispielsweise mit Verweis auf das Prinzip »Auge um Auge«.

Aus Sicht der Antisemitismusforschung sind solche Aussagen eindeutig Ausdruck von israelbezogenem Antisemitismus – von dem man immer dann spricht, wenn sich Judenhass über die Umwegkommunikation der »Israelkritik« äußert.

Als Koautor eines in der »taz« erschienenen Artikels zum Thema musste ich mir seitens der Verteidiger Kommentare gefallen lassen, die an »Gaslighting« erinnerten, die Strategie, eine Person bewusst am eigenen Verstand zweifeln zu lassen: Mbembe sei missverstanden, alle Vorwürfe konstruiert, die Zitate aus dem Zusammenhang gerissen.

All dies, was Betroffene von Rassismus erleben, was auch Mbembe beschrieben hat – dass ihnen nicht geglaubt, dass ihr Erleben unsichtbar gemacht wird –, scheint plötzlich legitime Strategie. Einfach, weil es einmal den Lieblingstheoretiker erwischt hat.

Peronalpolitik Doch wie sinnvoll ist es, den Fall allein an die Personalie Mbembe, die Personalie Carp zu knüpfen? In Deutschland scheint im Umgang mit Antisemitismus eine Fixierung auf Personen vorzuherrschen, auf Stellen, Funktionen und Bühnen. Eine Auseinandersetzung, die vor allem diskursiv, mit Experten und dem Publikum, zu führen wäre, wird zugunsten brachialer Personalpolitik ausgesetzt.

Hier stehen anscheinend nur zwei Mittel zur Verfügung: zu wenig tun, beschönigen, wegsehen oder sogar fördern (man denke an die lange Liste der Preise und Ehrungen, die Mbembe in den letzten Jahren allein in Deutschland erhielt), oder aber ab einem bestimmten Punkt nach Ausladungen und Entlassungen zu rufen.

Die Zwischentöne kommen abhanden; eine offene Diskussion über die Frage, nicht nur, was Meinungsfreiheit ist, sondern welche Meinungen wir als Gesellschaft aktiv fördern und honorieren wollen, wird unmöglich.

Narrative Generell frage ich mich, ob quasi erzwungene Rücktritte als Errungenschaften im Kampf gegen Antisemitismus betrachtet werden können. Sind sie nicht eher Pyrrhussiege für Juden in Deutschland, weil sie die antisemitische Vorstellung von der Allmacht »der Juden« bedienen? Leider wissen wir, dass vielerorts nur darauf gewartet wird, entsprechende Narrative zu bedienen.

So entstehen dann beim WDR Schlagzeilen wie »Juden werfen Mbembe Antisemitismus vor. Sie fordern Absetzung von Intendantin Carp«. Der Fall wird zu einem Problem »der Juden« gemacht, der antisemitische Topos »Juden gegen Deutsche« gestärkt – und Carp kann leicht als Opfer jüdischer Machenschaften dargestellt werden.

Sensibilisierung Welche Möglichkeiten bleiben uns also? Wir müssen viel stärker informieren und dafür sensibilisieren, wie sich aktueller Antisemitismus über »Israelkritik« manifestiert. Verbote und Kündigungen sind leichter als eine tatsächliche Auseinandersetzung in der Sache.

Aus der postkolonialen Forschung können wir lernen, dass es um die Überprüfung von historisch gewachsenen Denkstrukturen gehen muss, nicht um Personen.

Dazu gehört auch, wie über Israel in den Medien berichtet wird, wie Juden in Schulbüchern dargestellt werden, und nicht zuletzt, wie sich diese Ressentiments in Kulturfestivals oder Museen äußern. Sonst wachsen die problematischen Personalien immer wieder nach.

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025

Bremen

Seyla Benhabib erhält den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken

Die Jury würdigte Benhabib als »herausragende politische und philosophische Intellektuelle«

 15.09.2025

Eurovision

Israel hält nach Boykottaufrufen an ESC-Teilnahme fest

Israel will trotz Boykott-Drohungen mehrerer Länder am Eurovision Song Contest 2026 teilnehmen. Wie andere Länder und Veranstalter reagieren

 15.09.2025

Antisemitismusskandal

Bundespräsident trifft ausgeladenen Dirigenten Shani

Nach dem Eklat um eine Ausladung der Münchner Philharmoniker in Belgien hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den künftigen israelischen Chefdirigenten Lahav Shani ins Schloss Bellevue eingeladen

von Anne Mertens  15.09.2025

Literatur

Ein Funke Hoffnung

Rafael Seligmann hält Deutschland derzeit nicht für den richtigen Ort einer Renaissance jüdischen Lebens. Trotzdem gibt er die Vision nicht auf. Ein Auszug aus dem neuen Buch unseres Autors

von Rafael Seligmann  15.09.2025

Los Angeles

»The Studio« räumt bei den Emmys 13-fach ab

Überraschende Sieger und politische Statements: Ausgerechnet eine jüdische Darstellerin ruft eine israelfeindliche Parole

von Christian Fahrenbach  15.09.2025

Freiburg im Breisgau

»Keine Schonzeit für Juden«: Neues Buch von Rafael Seligmann

Antisemitismus, der 7. Oktober 2023, ein Umzug von Tel Aviv nach München in den 1950er Jahren und ein bewegtes Leben: Der Historiker streift und vertieft in seinem aktuellen Werk viele Themen

von Leticia Witte  15.09.2025

Kino

Für Hermann Göring lernte Russell Crowe Deutsch

Crowe spielt den Nazi-Verbrecher in »Nuremberg«, einem packenden Thriller über die Nürnberger Prozesse

von Manuela Imre  14.09.2025 Aktualisiert

Nach Antisemitismus-Eklat

Lahav Shani wird im Ruhrgebiet begeistert empfangen

Den Auftritt in Essen besuchte auch Belgiens Premier Bart De Wever

 14.09.2025 Aktualisiert