Polemik

No Sports!

Wir brauchen keine gegnerische Mannschaft – wir haben auch so schon Feinde genug! Foto: Illustration: Marco Limberg

Wir Juden sind nicht wirklich für unser sportliches Interesse bekannt. Es gibt natürlich Ausnahmen, amerikanische Geschichten rund um Baseball spieler und ähnliche Leute. Aber das sind die Ausnahmen, die die Regel bestätigen.

Warum ist das so? Die Antwort ist relativ simpel. Wir haben auch so schon Probleme genug. Wozu ein Wettrennen um Medaillen, wenn wir eh oft genug um unser Leben rennen mussten? Wer braucht eine gegnerische Mannschaft, wenn er schon so viele Feinde im richtigen Leben hat? Überleben ist die Siegerprämie, die uns interessiert, nicht irgendein Pokal oder ein Eintrag ins Gojness-Buch der Weltrekorde.

geist Der Mensch besteht aus Körper und Seele. Athletik ist primär eine physische Angelegenheit. Wir Juden treiben lieber geistigen Sport. Statt zu versuchen, hundert Meter eine halbe Sekunde schneller als bisher jeder andere zu laufen, haben wir uns aufs Denken, Lernen, Rezitieren verlegt. Der Körper, wissen wir, wird irgendwann unweigerlich schwach und schwabbelig, bevor er stirbt und verwest. Die Seele aber kommt weiter in die nächste Runde.

Warum also Kraft darauf verschwenden, den Körper über Hürden oder Hochsprunglatten zu zwingen, wenn es genügend Anstrengung kostet, die Seele voranzubringen (oder sie doch wenigstens daran zu hindern, zurückzufallen). Die Last der Sünden, die wir jedes Jahr mit uns herumschleppen, wiegt mehr als die Eisen der Gewichtheber. Die Ziele, die wir uns an Rosch Haschana setzen, sind schwerer zu erreichen als das Zentrum der Scheibe beim Bogenschießen. Wir stoßen Diskussionen an, nicht Eisenkugeln. Wir ringen mit unserem Gewissen statt mit schwitzenden Gegnern auf der Matte. Der Sinai ist unser Berg, nicht der Olymp. Wir zünden Kerzen, keine Fackel. Ein gutes Herz ist für uns wichtiger als gut trainierte Muskeln.

körperkult Sport ist im Grunde »Chukkat ha Goi«, eine nichtjüdische Sitte, von der wir uns, so lehren es unsere Weisen, fernhalten sollen. Das gilt für Olympia besonders. Im antiken Hellas traten die Teilnehmer nackt an. Die alten Griechen beten den vollkommenen Körper an. Die wenigsten Juden haben einen vollkommenen Körper. Dafür mögen wir unsere gehackte Leber zu sehr, unseren Kugel und Tscholent, unseren Kuchen, Kidduschwein und Wodka. Wir füttern unseren Körper, statt ihn auszuhungern oder ihn mit ebenso end- wie sinnlosen Übungen zu quälen. Ständig im Kreis zu rennen, ohne irgendwo anzukommen, ist nicht unser Ding. Ebenso wenig, 42,195 Kilometer ohne Kaffeepause durch die Stadt zu hetzen. Wozu gibt es Busse?

Aber alle vier Jahre überkommt der Geist des olympischen Wettbewerbs die Welt. Das Medienfieber steigt. Welche Stadt wird diesmal die Ehre haben, sich in eine jahrelange Baustelle mit Lärm, Dreck und Staus zu verwandeln, nur, um nach ein paar Wochen Olympia mit leeren Kassen und jeder Menge völlig überflüssiger Gebäude dazustehen? Von nationalistischen Exzessen, Dopingskandalen und Sponsorenschmiergeldern nicht zu reden. Und das alles »im wahren Geist der Sportlichkeit, für den Ruhm des Sports und die Ehre unserer Mannschaft«, wie es im olympischen Eid heißt, den man im Talmud, Traktat »Schewuot« (Eide) vergeblich sucht. Da bleibt man als Jude lieber mit einem guten Buch daheim.

stiefkinder Zumal sich zusätzlich ein paar harte Fragen stellen: Warum sollen Juden bei internationalen Wettbewerben für Nationen antreten, die sie hinterher vielleicht nicht einmal mehr im Land haben oder am Leben lassen möchten? Aus Erfahrung sollte man klüger werden. Und selbst jetzt, wo wir unseren eigenen Staat haben und von gleich zu gleich mit anderen Nationen sportlich konkurrieren, laufen unsere Sportler bei Olympia Gefahr, als Geiseln genommen und ermordet zu werden. Was die anderen Teilnehmer der Spiele offenbar nicht sonderlich stört, jedenfalls nicht so sehr, dass sie mal eine Minute still stehen könnten. In der »olympischen Familie« sind wir bestenfalls Stiefkinder.

gojim naches Vergesst Olympia! Pflegen wir lieber unsere eigenen Sportarten. Wer steht in der Synagoge als Erster auf, wenn beim Barchu zum Gebet gerufen wird? Wer schafft’s am raschsten durch das stille Amidah und setzt sich triumphierend als Erster wieder auf seinen Platz? Wer kann am schnellsten Dawnen?

Und wem das als Wettbewerb nicht ehrgeizig genug ist, kann sich in der Gemeindepolitik engagieren, wo es härter zugeht als in den meisten Kampfsportarten und keine Regeln gelten.

Sport? Bäh! Gojim Naches!

Der Autor ist Landesrabbiner von Schleswig-Holstein.

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