Konflikt

»Nicht als vollwertige Bürger akzeptiert«

Renen Schorr, in Ihrem Film »Habodedim« (Die Einzelgänger) geht es um die Diskriminierung russischstämmiger Juden in Israel. Warum haben Sie sich dieses Thema ausgesucht?
Die Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion werden von den Einheimischen nach wie vor nicht als vollwertige Bürger Israels akzeptiert. Es gab und gibt Vorurteile gegen sie – Stichwörter Mafia, Menschenhandel und solche Dinge. Ich selbst komme aus einer sehr alten israelischen Familie, die seit sechs Generationen hier lebt. Aber ich habe es als meine Aufgabe gesehen, für diese Menschen zu sprechen, die nicht in der Position sind, sich selbst zu Wort zu melden.

Wie die beiden Helden Ihres Films.
Genau. »Habodedim« ist inspiriert von einem wahren Ereignis, einem von russischstämmigen Gefangenen angeführten Aufstand in einem Armeegefängnis 1997. Ich erzähle die Geschichte von zwei jungen jüdischen Männern, die aus Russland nach Israel einwandern und dort ihren Wehrdienst leisten. Weil der eine von ihnen im Dienst sein Gewehr verliert, werden sie vor ein Militärtribunal gestellt, der Unterstützung des Terrorismus für schuldig befunden und ins Gefängnis gesperrt, wo sie Rassismus und Gewalt erfahren.

Wie waren die Reaktionen auf den Film?
Heftig. Die Armee mochte ihn überhaupt nicht. »Habodedim« kritisiert sehr deutlich, wie beim Militär mit Einwanderern aus der ehemaligen UdSSR umgegangen wird. Deshalb hat die Armee jede Kooperation bei den Dreharbeiten verweigert. Andererseits haben wir viel Geld vom staatlichen Filmfonds für die Produktion bekommen.

Sie haben auf Russisch gedreht, nicht in Hebräisch.
Ich wollte, dass der Film ungefiltert und rau, beinahe dokumentarisch wirkt. In den israelischen Kinos wird er deshalb im russischen Originalton mit hebräischen Untertiteln gezeigt.

Sprechen Sie selbst Russisch?
Kein Wort. Aber wenn man in der Lage ist, die Geschichten anderer Menschen zu empfinden und sie mit seiner eigenen zu verknüpfen, kann man die Story auch erzählen, ohne die Sprache des anderen zu beherrschen. Man kann es fühlen, das ist dann wie Musik.

Wie haben Sie die Rollen besetzt?
Ich wollte russischstämmige Darsteller, keine Israelis, die ihren Text auf Russisch auswendig lernen. Also habe ich russische Schauspieler gesucht, aber lange nicht gefunden. Sogar in Moskau war ich. Dann haben wir uns in Israel unter Sportlern, Boxern umgeschaut. Am Ende habe ich mich dann für Adam Ostrovsky entschieden, einen Studenten der Sam-Spiegel-Filmhochschule, deren Direktor ich bin, obwohl Adam nie zuvor vor der Kamera gestanden hatte. Er spielt Bluchin, einen sehr extrovertierten, ja charismatischen Charakter. Sein Freund Glory ist das genaue Gegenteil, ein zurückhaltender, ja schüchterner Typ. Ihn verkörpert Sasha Agrounov. Diese Besetzung war ein großes Risiko, denn Sasha ist Religionsstudent, war nie in der Armee, hat nie eine Uniform getragen oder eine Waffe berührt. Mit diesen Schauspielern zu arbeiten – übrigens die ersten russischstämmigen Hauptdarsteller in einem israelischen Spielfilm –, war definitiv eine der interessantesten Aufgaben. Und witzigerweise hat Agrounov den renommierten Ophir-Filmpreis als bester Darsteller erhalten.

Von siebeneinhalb Millionen Israelis stammen eine Million aus der Ex-UdSSR. Wie wirkt sich das auf die Kultur aus?
Bis zu der großen Einwanderungswelle der 1990er-Jahre hatte die amerikanische Kultur noch großen Einfluss. Inzwischen ist die Bedeutung osteuropäischer Elemente stetig gestiegen. Eines der renommiertesten israelischen Theater, das »Gesher«, hat ein russisches Ensemble, das auf Russisch spielt. Mittlerweile werden die Stücke aber auch ins Hebräische übersetzt und eingesessene israelische Schauspieler stehen auf der Bühne. Und im israelischen Kino gibt es viele junge russische Künstler, die an unsere Filmhochschule gehen und danach im israelischen Film arbeiten. Schauspieler, die in der ehemaligen Sowjetunion geboren sind, bekommen mittlerweile auch Hauptrollen in israelischen Filmen. Unser Film war da ein Vorreiter.

Das Gespräch führte Jörg Ciszewski.

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025

Erinnerung

Stimmen, die bleiben

Die Filmemacherin Loretta Walz hat mit Überlebenden des KZ Ravensbrück gesprochen – um ihre Erzählungen für die Zukunft zu bewahren

von Sören Kittel  07.11.2025

New York

Kanye West bittet Rabbi um Vergebung

Der gefallene Rapstar Kanye West hat sich bei einem umstrittenen Rabbiner für seine antisemitischen Ausfälle entschuldigt

 07.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  07.11.2025

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  07.11.2025

Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Bei einem Konzert des Israel Philharmonic unter Leitung von Lahav Shani kam es in der Pariser Philharmonie zu schweren Zwischenfällen. Doch das Orchester will sich nicht einschüchtern lassen - und bekommt Solidarität von prominenter Seite

von Michael Thaidigsmann  07.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  07.11.2025