Gesundheit

Neue Hoffnung bei Depression

Ketamin ist ein bekanntes Anästhetikum. Foto: IMAGO/imagebroker

Gesundheit

Neue Hoffnung bei Depression

Eine israelisch-deutsche Studie erklärt den Wirkmechanismus des bereits zugelassenen Medikaments Ketamin

von Sabine Brandes  19.06.2022 08:39 Uhr

Eigentlich ist Ketamin ein bekanntes Anästhetikum. 2017 stellte »Time Magazine« es jedoch als »neue Hoffnung bei Depressionen« vor. Bereits zwei Jahre später kam das erste Antidepressivum auf Ketaminbasis als Nasenspray heraus. Dennoch schränkt die US-Behörde für die Zulassung von Arznei- und Lebensmitteln, FDA, die Verwendung des Sprays bis heute ein. Eine neue deutsch-israelische Studie will das ändern.

Momentan wird es vor allem depressiven Patienten verabreicht, denen andere Therapien nicht geholfen haben. Einer der Gründe ist, dass der Wirkmechanismus unzureichend verstanden wird – was zu Bedenken hinsichtlich der Sicherheit führt. Die Forschung aus Israel erläutert zum ersten Mal exakt, wie Ketamin wirkt. Sie wurde am Weizmann-Institut für Wissenschaften in Rechovot und am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München in Zusammenarbeit mit dem Münchener Helmholtz Zentrum durchgeführt und ist in »Neuron« veröffentlicht.

Prozac Seit der Zulassung von Prozac 1987, dem berühmtesten Antidepressivum, gab es keine größeren Durchbrüche mehr bei der Behandlung von Depressionen. Doch die bestehenden Medikamente bringen bei rund einem Drittel der Patienten keine Linderung. Selbst wenn es eine Wirkung gibt, dauert es oft vier bis acht Wochen, bis sie einsetzt.

Das ist der Grund für die große Hoffnung auf Ketamin-basierte Therapien: Mit ihnen fühlten sich die Betroffenen innerhalb von Stunden besser, heißt es aus dem Weizmann-Institut. Darüber hinaus hält die antidepressive Wirkung noch Tage an, nachdem das Medikament aus dem Körper ausgeschieden ist. Offensichtlich ist es nicht das Ketamin selbst, sondern die Reaktion auf Ketamin, die die gewünschte Wirkung hervorruft. Bislang war die Art dieser Reaktion allerdings unklar.

Die bestehenden Medikamente bringen bei rund einem Drittel der Patienten keine Linderung.

Wissenschaftler in früheren Studien hätten den Wirkungsmechanismus versucht zu klären, indem sie seinen Einfluss auf die Genexpression in Gehirngeweben untersuchten, aber nicht in einzelnen Gehirnzellen. Jüngste technologische Fortschritte machen es nunmehr möglich, die Genexpression mit einer einzelnen Zelle zu bewerten, heißt es aus Rechovot.

Neuronen Diese Technologien wurden in der Studie eingesetzt, die von Alon Chen, dem Präsidenten des Weizmann-Instituts, geleitet wurde. Die Forscher des Teams von Juan Pablo Lopez kartierten schließlich die Genexpression in Tausenden einzelnen Neuronen im Gehirn von Mäusen, denen eine Dosis Ketamin verabreicht worden war. Da Ketamin jedoch noch lange wirkt, nachdem es den Körper verlassen hat, konnte seine Wirkung nicht durch die bloße Blockierung von Glutamatrezeptoren auf den Oberflächen von Neuronen erklärt werden. »Wir wollten den molekularen Fluss aufklären, der durch Ketamin ausgelöst wird und zu seiner anhaltenden antidepressiven Wirkung führt«, erklärt Lopez.

In einer Reihe aufwendiger Experimente auf molekularer und zellulärer Ebene bestätigten die Wissenschaftler schließlich ihre wichtige Erkenntnis: »Ketamin übt seine anhaltende antidepressive Wirkung aus, indem es Kaliumkanäle in einem bestimmten Subtyp von Neuronen verstärkt.«

Die Forscher testeten dann die Wirkung von Ketamin in Kombination mit dem Epilepsie-Medikament Retigabin, von dem bekannt ist, dass es diese Kaliumkanäle im Gehirn aktiviert. Wurden die Medikamente zudem zusammen verabreicht, verstärkte es »die antidepressive Wirkung von Ketamin signifikant«.

FDA Darüber hinaus zeige Ketamin auch in kleineren Dosen als üblich Wirkung, weiß Lopez. »Das kann die unerwünschten Nebenwirkungen reduzieren.« Da beide Medikamente bereits von der FDA zugelassen sind, sei der Weg nunmehr offen, ihre kombinierte Wirkung demnächst am Menschen zu testen.

Nach Angaben der Weltgesundheits­organisation sind weltweit fast 300 Millionen Menschen von Depressionen betroffen. Trotz jahrzehntelanger Forschung liegt vieles über die neuronalen Mechanismen, die Depressionen zugrunde liegen, und die Möglichkeiten, diese mit Medikamenten zu manipulieren, noch im Unklaren. Professor Chen ist überzeugt: »Ein fundiertes Wissen darüber, wie Antidepressiva wirken, wird zu einem besseren Verständnis von Depressionen führen und helfen, Behandlungen zu verbessern.«

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Glosse

Das kleine Glück

Was unsere Autorin Andrea Kiewel mit den Produkten der Berliner Bäckerei »Zeit für Brot« in Tel Aviv vereint

von Andrea Kiewel  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Ab jetzt nur noch mit Print-Abo oder Es gibt viele Gründe, auf 2026 anzustoßen

von Katrin Richter  20.12.2025