Instagram

»Mit Mädchen anders umgehen«

»Das Schönheitsideal hat sich deutlich verlagert«, sagt Maya Götz. Foto: Christian Rudnik

Frau Götz, was gilt heute in den sozialen Netzwerken als schön?
Das Schönheitsideal hat sich deutlich verlagert, und zwar in einer Art und Weise, wie es in den vergangenen 50 oder 60 Jahren nicht mehr geschehen ist. Die normale Vielfalt von Frauen, was Körper, was Nasen, was Haare und was Wangenknochen angeht, die haben wir gar nicht. Um diesem vermeintlichen Ideal zu entsprechen, passen sich die Mädchen an. Bei Instagram basteln sie so lange an ihrem Körper herum, bis sie eben so aussehen wie die anderen.

Warum ist Instagram für Jugendliche so attraktiv?
Es ist eine Form der Kommunikation und ein Mittel, sich in seiner Identität darzustellen. Jugendliche kommunizieren schon als PreTeens zu einem großen Teil über soziale Netzwerke. Sie präsentieren sich, zeigen ihr eigenes Bild, und das ist erst einmal auch eine Form der Selbstbestimmung.

Aber eine bearbeitete Form der Selbstbestimmung.
Instagram hatte von Anfang an Foto-Filter angeboten, die eben nicht nur das Licht besser machen und den Farbton verändern, sondern die auch jeden Pickel retuschieren, jedes Haar, das auch nur ein wenig zur Seite fällt, sofort glätten und auch den Körper verändern können. Deswegen kam es relativ schnell zu einer Vereinheitlichung der Bilder. Daraufhin bekommen sie besonders viele »Likes« und positive Kommentare, was sie dazu bringt, genau solche Bilder immer weiter zu posten.

Der Druck für Mädchen, die mitten in der Pubertät sind, ist also extrem hoch.
Vor der ersten Periode verändert sich der Körper der Mädchen. Der Fettanteil im Körper geht von 19 auf 23 Prozent hoch. Die jungen Mädchen bekommen vielleicht einen kleinen Bauch, hier und da mag etwas herausquellen. Mütter dürfen dann nicht nervös werden und an ihren Töchtern herummäkeln. Diese Bemerkungen müssen wir uns verkneifen. Sagen Sie den Mädchen: Ich liebe dich, so wie du bist, und ich finde dich toll, so wie du bist.

Welche Rolle spielen die Influencerinnen?
Sie sind ganz zentrale Vorbilder, und zwar in diversen Dimensionen: wie man aussieht, wie man sich artikuliert, wie die Bilder bearbeitet werden. Man kann sogar so weit gehen, dass man sieht, wer wem folgt.

Warum schauen sich junge Mädchen Beiträge der Influencerinnen so gerne an?
Die Clips sind geschickt gemacht. Sie sind fast so, als wenn ich skype. Sie sind humorvoll. Jüngere Mädchen haben teilweise das Gefühl, das seien die größeren Schwestern oder die älteren Freundinnen, die man gerne hätte, und die einem sagen, wie das so ist mit dem Frausein.

Welche Auswirkungen hat das aus psychologischer Sicht auf die jungen Mädchen?
In letzter Konsequenz wissen wir das noch nicht, wir forschen gerade daran. Allerdings lassen sich bei Instagram auch Effekte nachweisen, die wir auch schon bei anderen sozialen Medien hatten: In dem Moment, in dem sie sich die Bilder ansehen, haben sie ein Defizit-Gefühl gegenüber ihrem eigenen Körper: Ich bin nicht schön genug. Ich bin zu dick. Das, was komplett wegfällt, sind jegliche breiteren Gefühlspaletten.

Was genau bedeutet das?
Jede Form von Trauer, Zweifel, aber auch Wut. Und eine Aggression, die sich in Wut ausdrückt, ist erst einmal eine, die etwas verändern will. Alles das nehmen sich Mädchen weg. Sie wollen im Prinzip nur noch fröhlich, gut gelaunt und schön sein. Diese Werte hatten bei unserer repräsentativen Befragung eine so hohe Zustimmung. Mädchen gehen mittlerweile davon aus, dass sie nie mies drauf, traurig oder müde sein können. Und das ist auf jeden Fall nicht gesund.

Das klingt nach einem ziemlichen Kraftakt. Sie haben selbst Kinder. Wie halten Sie es mit denen?
Wir haben es so gestaltet, dass die Kinder erst mit zwölf Jahren ihr eigenes Telefon bekommen. Und das ist schon spät. Vorher können sie das der Eltern mitbenutzen. Es ist aber klar, dass das Telefon abends nicht im Schlafzimmer ist. Es gibt bestimmte Zeiten, in denen es ausgeschaltet ist. Man muss gemeinsam Regeln finden, die klarmachen, dass eigentlich eine permanente Überforderung von Aufmerksamkeit und von Kommunikationsangeboten stattfindet.

Wie bleiben junge Mädchen kritisch?
Das ist nicht so einfach, denn diese Welt kommt uns unheimlich zellophan vor. Es werden sämtliche Formen von Individualität abgeschlagen. Wir haben den Mädchen die Individualität schon abgewöhnt, indem wir gesagt haben: Pass dich an das System an und schau genau, was die Lehrerin von dir will, lerne, optimier dich. Wir wollten sie stark machen, aber diese Stärke geht nur in eine Richtung und nicht in die emanzipatorische.

Was also tun?
Wir müssen mit Mädchen anders umgehen. Wir müssen sie dahingehend fördern, dass sie ihre Meinung sagen. Mädchen dürfen auch mal nicht die Besten sein. Das ist natürlich ein Satz, bei dem jede Mutter schluckt, aber das brauchen sie, um genau an der richtigen Stelle zu sagen: Jetzt verändere ich das System. Jetzt entscheide ich mich doch für die leitende Position. Ich traue mir das zu. Und sich nicht permanent anzupassen, um dann das Ideal in der Versorgung des Kindes zu finden.

Mit der Medienwissenschaftlerin und Medienpädagogin sprach Katrin Richter.

Maya Götz leitet das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen des Bayerischen Rundfunks. Die Mutter von drei Kindern forscht dazu, wie Kinder Nachrichten verarbeiten, welche Auswirkungen die sozialen Netzwerke auf Kinder haben, und wie sich Influencerinnen auf Instagram stilisieren. 2019 nahm sie am Seminar der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden, »Jewish Women Empowerment«, teil. Zu ihren Publikationen zählen unter anderem »Fear in Front of the Screen. Children’s Fears, Nightmares, and Thrills from TV«, »Wenn Kinder auf Netflix, Amazon Prime und YouTube Kids ›bingewatchen‹« oder »Von rosa Prinzessinnen über Germany’s Next Topmodel zu Instafame«. Weitere Informationen

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