Kinderbuch

Mit einer Prise Anarchismus

Alona Frankel Foto: Flash90

Kinderbuch

Mit einer Prise Anarchismus

Alona Frankels hebräischer Bilderbuchklassiker »Sir HaSirim« von 1975 erscheint erstmals auf Deutsch

von Katrin Diehl  16.10.2019 16:52 Uhr

Ihr Zuhause voller Dinge ist nur einen Steinwurf vom Trubel entfernt. Man biegt ab und entfernt sich verblüffend schnell von Tel Avivs Hektik und Hitze. Große Bäume beugen sich über eine leicht ansteigende, ruhige Straße, geben dem Ort stundenweise Schatten, kreischenden Vögeln ein Versteck. Katzen huschen hier und da, führen bis zur Haustür und dürfen selbstverständlich mit hinein zu Alona Frankel.

Frankel umarmt mit allem, was sie hat. Sie ist 82, liebt schwarze, wallende Kleidung und ausgefallenen Schmuck, wie die Kette, die mit ihren Seifenblasenperlen um ihren Hals zu schweben scheint. Frankel erinnert an eine Ballettmeisterin, der Schönheit und Grazie nie abhandenkommen. Doch ab und zu fährt etwas Neckisches in ihre elegante Erscheinung. Dann wird sie spürbar: die Nähe, ja, die Verwandtschaft zum Kind. »Vor Kindern habe ich den größten Respekt«, sagt sie, und dass deren Vertrauen in Erwachsene »niemals, niemals« missbraucht werden dürfe.

Alona Frankel kennt in Israel jedes Kind, jede Mutter, jeder Großvater. Und sollten sie sie nicht kennen, dann kennen sie ihre Bücher. Allen voran Sir HaSirim, in dem es ein kleiner Junge namens Naftali – begleitet von einer liebevollen und geduldigen Mutter – am Ende schafft, sein »Kaki« und »Pipi« in einen weißen Potty zu platzieren.

Alona Frankel kennt in Israel jedes Kind, jede Mutter, jeder Großvater.

Das Buch – es war ihr erstes – stammt aus dem Jahr 1975. Alona Frankel hatte es für Michael, den jüngeren ihrer beiden Söhne, geschrieben, fand es dann auch für andere hilfreich. »Ich habe ja mitbekommen, wie da manche Kinder unter Druck gesetzt wurden, und ich fand das wirklich schrecklich, also habe ich überlegt, wie man das Ganze anders vermitteln kann, auch um die Eltern wieder ein wenig runterzubringen.«

Sir HaSirim wurde in mehr als zehn Sprachen übersetzt, verkaufte sich über vier Millionen Mal und stellte alles, was danach kam, ein wenig in den Schatten. »Ja, ein wenig«, sagt Frankel und zieht aus jeder Ecke ihres Wunderzimmers ein anderes Bilderbuch, kleine Kunstwerke allesamt, die es schaffen, Liebreiz mit ästhetischem Anspruch zu verbinden, Weisheit mit einer Prise Anarchismus und Humor.

Von Alona Frankel gibt es ungefähr 40 Kinderbücher. Viele von ihnen richten sich an die ganz Kleinen, führen ein ins Leben auf originelle und zärtliche Weise, die weniger belehren als stark und frei machen will. »Zuerst waren da immer die Texte«, erklärt Frankel, »und dann nach wenigen Tagen oder Jahren kamen die Bilder hinzu.« Naftali, der kleine Held, taucht immer wieder in Frankels Geschichten auf, trägt schwarze Locken. Es sind wohl die ihrer Söhne, »diese Kringel sind aber auch das, was so auf Papier entsteht beim Telefonieren«, sagt Alona Frankel. In diesem Bücherherbst erscheint ihr Sir HaSirim unter dem Titel Es war einmal ein Töpfchen auf Deutsch. Das ist alles andere als selbstverständlich.

Geboren wurde Alona Frankel 1937 in Krakau. Sie ist zwei Jahre alt, als die Deutschen Polen überfallen. Ein polnischer Handwerker erklärt sich bereit, die Eltern bei sich zu verstecken, nicht aber deren Kind. Die kleine Ilona kommt bei einer hartherzigen, gierigen Bauersfrau unter, wird zu einem »christlichen Mädchen«, das Trost bei den Schweinen, Pferden und Mäusen findet.

Von Alona Frankel gibt es ungefähr 40 Kinderbücher. Viele von ihnen richten sich an die ganz Kleinen.

Es bringt sich selbst das Lesen bei – wenn es entlaust wird, muss es seinen Kopf nach vorne beugen, auf dem Tisch vor sich ein Zeitungsblatt, auf das zwischen verlockende Buchstaben die Läuse fallen. Und das Mädchen beginnt zu malen. Die polnische Bäuerin muss den Eltern als Beweis dafür, dass Ilona noch am Leben ist, ab und zu deren Zeichnungen vorlegen. Ilona überlebt. 1949 geht sie mit ihrer Familie nach Israel, studiert in Tel Aviv am »Avni Institute of Art and Design«, heiratet den Künstler Zygmunt Frankel und bekommt zwei Jungen.

Frankels Überlebensgeschichte lässt sich in Yalda, ihrem ersten Buch für Erwachsene, nachlesen. Wenn man ihre Mädchengeschichte kennt, sieht man all ihre Kinderbücher anders. Erkennt in ihrem »funny room« mit den vielen Dingen einen Platz für alles, was sie als Kind nicht haben konnte. Dass Sir HaSirim jetzt auf Deutsch erscheint, lässt sie nicht zu nahe an sich herankommen.

»Ja, ich habe mit Deutschland meine Probleme, ich werde niemals dorthin reisen. Ich weiß, das Land ist heute ganz anders. Ich kenne den hohen Stand der Kultur dort, die Museen, Theater. Ich ließ meinen Verlag wissen, dass er meine Bücher nicht ins Deutsche bringen sollte. Aber jetzt bin ich so weit. Jetzt kann ich sagen, ja, bringt mein Sir HaSirim für die deutschen Kinder in die deutsche Sprache. Es ist in Ordnung so.«

Alona Frankel: »Es war einmal ein Töpfchen«. Deutsch von Myriam Halberstam. Ariella, Berlin 2019, 24 S., 7,95 €

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  12.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025