Medizintechnik

Mit den Augen tasten

Überträgt Informationen direkt auf die Hornhaut: Zalevskys Linse Foto: PR

Blinden das Sehen zu ermöglichen, gehört zu den großen Menschheitsträumen. Der Graue Star wird etwa schon seit sehr langer Zeit operativ zu heilen versucht. In einer rund 4000 Jahre alten Gesetzessammlung aus dem antiken Babylon ist das Honorar festgelegt, das ein Arzt erhielt, der mit einem Messer »das Auge öffnete« und, ganz wichtig, heilte: Zehn Silberschekel bekam ein erfolgreicher Operateur. Wie viele Eingriffe scheiterten, ist jedoch nicht überliefert.

Erblindete mithilfe moderner Technik wieder sehen zu lassen, ist bislang jedoch noch nicht gelungen. In den vergangenen Jahrzehnten hat es zwar einige technische Lösungen gegeben – dies waren jedoch Implantate, die entweder auf sehr wenige Bildpunkte beschränkt oder deutlich größer als ein normales Auge waren.

Der israelische Physiker Zeev Zalevsky hat nun eine wesentlich praktikablere Lösung vorgestellt: eine spezielle Kontaktlinse, die zusätzlich lediglich eine der handelsüblichen Kameras benötigt, wie sie zum Beispiel in Webcams oder in Smartphones eingesetzt werden – klein genug also, um sie ohne Probleme tragen zu können.

Punkte Zalevsky vergleicht das System mit der Blindenschrift. »Es ähnelt dem Lesen von Braille«, sagt der Wissenschaftler, »allerdings nicht mit den Fingerspitzen, sondern mit den Augen.« Die Hornhaut des Auges ist 600-mal empfindlicher als die Fingerspitzen, und deshalb lassen sich, die nötige Übung vorausgesetzt, mit ihr auch wesentlich kleinere Unterschiede erfühlen als mit den Fingern. »Wir können ein Bild mit sehr viel mehr Punkten kodieren und diese dann zur Stimulation der Augenhornhaut nutzen«, so Zalevsky.

Allerdings kann man eine Kontaktlinse nicht mit einer der üblichen Techniken zur Datenübertragung wie Bluetooth oder gar WLAN ausstatten. Deren Bauteile wären einfach zu groß und brauchten zu viel Strom. Die Datenübertragung wird deshalb über Radio Frequency Identification (RFID) gelöst – dieselbe Technik, die elektronische Etiketten auf größere Entfernungen hin lesbar macht und oft als Diebstahlsicherung eingesetzt wird. Man kennt sie als kleine Einnäher in Kleidungsstücken, die vor dem Tragen abgeschnitten werden sollten, wenn man nicht beim Verlassen des Geschäfts ein Piepsen auslösen möchte.

Pixel Ein gesundes Auge ist in der Lage, etwa ein Megapixel – eine Million Bildpunkte – an visueller Information aufzulösen. Zalevskys Kontaktlinsen sollen immerhin im Bereich von 10.000 Pixeln liegen. Wie groß dieser Unterschied ist, lässt sich so verdeutlichen: Während das natürliche Auge die Bildpunkte eines 1000 mal 1000 Punkte großen Quadrates unterscheiden kann, ist es bei der Braillekontaktlinse nur ein Quadrat mit 100 mal 100 Punkten.

Dennoch soll diese Auflösung ausreichend sein, um Buchstaben auf Papier lesen zu können, die Gesichter von Freunden oder Familienmitgliedern zu erkennen oder verschiedene Läden in einer Straße zu identifizieren. Und: Mit solchen Kontaktlinsen in beiden Augen wäre sogar räumliches »Sehen« möglich – zwar noch lange nicht perfekt, aber eben ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Das neue System existiert als Prototyp und wurde bereits an Tieren getestet. Die Versuchstiere konnten mit dem System so weit sehen, dass sie in der Lage waren, sich ihren Weg durch eine Hindernisstrecke zu bahnen. Bei Menschen hat man das System bisher nur mit den Kontaktlinsen auf Fingerspitzen ausprobiert. Die Testpersonen konnten schon nach wenigen Minuten einfache Bilder wie das einer Tür, eines Fensters oder eines Autos unterscheiden. Zalevsky reichen diese Erfolge aber noch lange nicht aus, er denkt bereits an die Zukunft: »Wenn man eine Infrarotkamera verwendet und deren Signale an die Linsen sendet, sollte man mit ihnen auch im Dunkeln sehen können.«

Wann das Gerät auf den Markt kommt, steht noch nicht genau fest. Zalevsky zufolge könnten, wenn alles wie geplant läuft und die Finanzierung steht, klinische Tests sofort beginnen und das System schon in zwei Jahren erhältlich sein.

Patente Diese Einschätzung klingt realistisch, denn die elektronischen Kontaktlinsen sind nicht die erste revolutionäre Erfindung aus Zalevskys Labor, die funktioniert. Der in der Sowjetunion geborene und 1979 im Alter von acht Jahren mit seinen Eltern nach Israel eingewanderte Wissenschaftler ist seit zehn Jahren Kopf der Abteilung für Opto-Elektronik an der Bar-Ilan-Universität und hat dort auch das Institut für Nanotechnologie und fortschrittliche Materialien mitgegründet.

Er hält mehr als 50 Patente im Bereich der Optik, hat für seine Forschungsergebnisse zahlreiche Preise, wie zum Beispiel den der Internationalen Kommission für Optik, gewonnen, und sein optischer Herzschlagmonitor wurde 2011 als eine der 45 größten israelischen Erfindungen aller Zeiten ausgezeichnet.

Zusammen mit dem Spanier Javier Garcia von der Universität von Valencia entwickelte Zalevsky außerdem das »Opto-Phone«. Dieses kann per Laserstrahl kleinste Bewegungen registrieren und auswerten. Das Gerät kann beispielsweise, wenn man es auf die Brust oder die Pulsadern am Handgelenk richtet, berührungslos Herzschlag und Blutdruck auslesen. Doch das ist nur eine Anwendungsmöglichkeit – auf Wangen oder Hals gerichtet, könnte man mit der Technik Gespräche aus 100 Meter Entfernung abhören. Sogar der Blutzucker lässt sich mit dem System messen, weil sich mit dem Blutzuckerspiegel die Dickflüssigkeit des Blutes ändert und dies Oberflächenveränderungen auf der Haut bewirkt.

Ein weiteres Produkt, auf das Zalevsky das Patent besitzt, kann bereits in jedem Elektronikmarkt gekauft werden: der Kinect-Bewegungssensor der Xbox von Microsoft, dank dem Computerspieler keine Gamepads mehr benötigen, weil die Spielesoftware durch Körperbewegungen und Sprache bedienbar ist.

Camille Pissarro

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