»Faschismus. Eine Warnung«

Mit Bush gegen Trump

Von 1997 bis 2001 Außenministerin der USA: Madeleine Albright Foto: Getty Images

Madeleine Albrights Gewährsmann heißt Primo Levi. Die frühere amerikanische Außenministerin, 1937 als Marie Jana Korbelová geborene Tochter von Prager Juden, die in beinahe letzter Minute den Nazis entkommen konnten, hat ihrem neuen Buch Faschismus. Eine Warnung dieses Zitat vorangestellt: »Jedes Zeitalter hat seinen eigenen Faschismus.«

Der Auschwitz-Überlebende Levi wusste, wovon er sprach: Mussolinis Faschismus besaß zwar nicht den eliminatorischen Antisemitismus des deutschen Nationalsozialismus, war jedoch Vor-, späterhin dann Mitläufer des Hitler-Regimes und hatte bereits frühzeitig Italiens ohnehin fragile Demokratie effektiv zerstört.

packend Auf diesen Prozesscharakter faschistischer Bewegungen kommt Madeleine Albright immer wieder zu sprechen – analytisch als Politikwissenschaftlerin, reportagehaft-packend mit der Erfahrung einer ehemaligen Spitzenpolitikerin der Clinton-Administration. Auch deshalb unterscheidet sich ihr Buch, das diese Woche erschienen ist, fundamental von den üblichen Alterswerken Elder States(wo)men und ist komplett frei von plaudernder Nähkästchen-Eitelkeit, vor allem jedoch jenseits jener folgenlos humanistischen Anklage-Rhetorik, die sich wortmächtig an den »neuen Populisten« abarbeitet.

Gerade diesen unpräzisen Sammelbegriff nämlich verwirft Albright und weist darauf hin, dass jede politische Bewegung, die – ob nun links, rechts, liberal, konservativ oder grün-alternativ – auf ein bestimmtes Gesellschaftsmodell fokussiert, in der Rhetorik zuspitzen muss und damit automatisch partiell »populistisch« wird. Daran sei, solange der politische Wettbewerbscharakter gewahrt bleibe, jedoch noch nichts Schlechtes – ebenso wenig wie an der Präsenz »starker Führer«, denn »wer will schon schwache?«.

Hinzu komme ein weiterer Wahrnehmungsfehler in der gängigen Beschreibung, so Albright: »Die Medien verweisen oft auf Wladimir Putin als einen Bannerträger des weltweiten Populismus, obwohl sein innerer Zirkel mehrheitlich aus ehemaligen KGB-Agenten besteht und ihn nichts mehr ärgert als ein Demonstrant mit Megafon.«

Institutionen Der Knackpunkt sei hingegen das Staats- und Institutionenverständnis, wel­ches wiederum auf das Menschenbild führender Politiker schließen lasse. Die Männerriege, die Albright in den konzisen Kurz-Essays ihres Buches beschreibt, möge sich in unterschiedlicher Nähe zu einem rabiat illiberalen Faschismus befinden.

Schon jetzt jedoch mache sie keinen Hehl aus ihrem Wahn, die Quasi-Inkarnation »ihres« jeweiligen Volkes zu sein und deshalb institutionelle Checks-and-Balances-Mechanismen bekämpfen zu müssen: Kim Jong-un (»wahrscheinlich der einzige richtige Faschist unter ihnen«), Recep Tayyip Erdogan, Venezuelas Machthaber Nicolás Maduro als Nachfolger des Comandante Chávez ebenso wie Viktor Orbán mit seinem pseudo-christlichen, essentialistischen Staatsverständnis, das wie selbstverständlich »den Juden George Soros« als identitätsstiftendes Feindbild benötigt.

Freilich geht es bei einigen vorläufig auch ohne Antisemitismus, etwa bei Putin oder Trump. »Was eine Bewegung faschistisch macht, ist nicht die Ideologie, sondern die Bereitschaft, alles zu tun, was nötig ist – einschließlich Gewaltanwendung und der Missachtung der Rechte anderer –, um sich durchzusetzen und Gehorsam zu verschaffen.«

Gesetze Madeleine Albright weist darauf hin, dass – entgegen manch linker Interpretation – dies weniger mit fehlgeleitetem Patriotismus oder übersteigertem Nationalgefühl zu tun habe, als vielmehr mit einem genuinen Hass auf das Einhegende von Gesetzeswerken, welche die Bürger- und Menschenrechte schützen.

Mit Blick auf Donald Trump schreibt sie: »Es ist befremdlich, dass jemand wie dieser Präsident, der sich stets für den Allerbesten hält, blind zu sein scheint gegenüber dem, was das Wichtigste an Amerika ist – und der so ungern für die Prinzipien eintritt, mit denen die Vereinigten Staaten enger verbunden sind als jedes andere Land.«

In der Tat macht es schaudern, was die versierte China-Kennerin Albright aus der dortigen Parteipresse (und den offiziellen Verlautbarungen aus Kambodscha und den Philippinen) zitiert – wahre Lobeshymnen auf Trumps Verachtung der Medien und des Rechtsstaats.

Verteidigung Dennoch dürfte sich selbst hier das einverständige Kopfnicken linker Leser in Grenzen halten, hält doch die Institutionen-Verteidigerin Madeleine Albright denkbar wenig von mäandernden Klagen über »das« Establishment oder »den« Kapitalismus. Ihr vermeintliches Minimalprogramm, das in der tapferen Verteidigung parlamentarischer, justizialer und medialer Unabhängigkeit besteht, klingt jedenfalls bei Weitem praktikabler als so manches globalisierungskritische Klagelied.

Ihr Kronzeuge, wie man gerade nicht der Versuchung nachgibt, die Bevölkerungsmehrheit gegen Minderheiten auszuspielen, ist dabei George W. Bush und dessen Reaktion auf den 11. September. »Bush versuchte nicht einmal, auf Kosten amerikanischer Muslime billigen Applaus zu erheischen; er verbreitete auch keine Lügen über sie und schwieg auch nicht, wenn manche von ihnen Hassverbrechen zum Opfer fielen. Das Beispiel, das er angesichts des schlimmsten Angriffs auf amerikanischen Boden seit Pearl Harbor setzte, ist aller Erinnerung wert.«

Es kommt nicht oft vor, dass ein Erinnerungsbuch gleichzeitig als politische Handlungsanweisung taugt, dass noble Gesinnung nicht der Selbstbeweihräucherung dient, sondern liberale Energie freisetzt. Genau das aber ist Madeleine Albright mit ihrem auf strenge Weise ermutigendem Buch gelungen. Ihre Warnung vor den diversen Facetten des Faschismus ist eine einzige flammende, im besten Sinne leidenschaftliche Verteidigung der Demokratie, ein einziges, sich nicht bange machen lassendes »No pasarán – Sie kommen nicht durch!«.

Madeleine Albright: »Faschismus. Eine Warnung«. Aus dem Englischen von Bernhard Jenricke und Thomas Wollermann. Dumont, Köln 2018, 319 S., 24 €

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