Event

Mehr Juden ins Kino!

Das Motto des Jüdischen Filmfestivals Berlin & Potsdam lautet dieses Jahr »Mehr Juden ins Kino«. Ein ebenso provokantes wie hoffnungsvolles Statement, auf einem Plakat des israelischen Künstlers Daniel Josefsohn in gelber Schrift auf schwarzem Hintergrund festgehalten.

Eröffnet wird das Festival – es ist das inzwischen 18. – am 4. Juni im Potsdamer Hans-Otto-Theater mit der Weltpremiere der Dokumentation Max Raabe in Israel. Der Film begleitet den deutschen Entertainer bei seiner ersten Tour durch den jüdischen Staat 2010. Raabe bezeichnet diese Konzerte als die wichtigsten Auslandsauftritte seiner Karriere. Er ehrt in seinem Bühnenprogramm jüdisch-deutsche Unterhaltungsmusiker, die verfolgt, verjagt und ermordet wurden. Berührend sind die Szenen, in denen Raabe auf Deutsch singt und im Publikum alte Jeckes sitzen, die noch die Originalversionen der Lieder kennen.

Deutsches spielt überhaupt eine wichtige Rolle unter den insgesamt 29 gezeigten Produktionen, von denen viele hier ihre Premiere haben. Festivalleiterin Nicola Galliner: »Wir haben eine große Zahl von deutschen Filmen und deutschne Koproduktionen – insgesamt zehn Filme. Das macht noch einmal deutlich, dass wir ein deutsches Filmfestival sind, das sich auf Jüdisches spezialisiert hat.«

porträts Eine deutsch-jüdische Biografie beschreibt der Israeli Duki Dror in Mendelsohn’s Incessant Visions. Die Dokumentation über den Architekten Erich Mendelsohn zeigt natürlich seine Bauklassiker, wie den Einsteinturm in Potsdam und das Universum-Kino am Berliner Kurfürstendamm, wo heute die Schaubühne ihren Spielort hat. Der Zuschauer lernt aber auch das Privatleben des Architekten kennen, vor allem seine große Liebe Louise. Mitten im Ersten Weltkrieg heiratete Erich Mendelsohn die junge Cellistin. Dror zeigt ihre Beziehung als permanente Konfrontation zweier selbstbewusster Künstler. Louise war eine emanzipierte Frau, die jahrelang eine leidenschaftliche Affäre mit dem Dichter und Kommunisten Ernst Toller auslebte.

Aufwühlend auch Frans Weisz’ filmische Collage über die Berliner Malerin Charlotte Salomon, die im Alter von nur 26 Jahren in Auschwitz ermordet wurde. Der Film Life? or Theatre? des Niederländers erinnert an Salomons bewegtes Leben zwischen Berlin und Südfrankreich. Nicht nur politische Verwerfungen zehrten am Lebens- und Überlebenswillen dieser hochsensiblen jungen Künstlerin. Auch private Probleme, ausgelöst durch ihre stark depressive Mutter und Großmutter, ließen Charlotte Salomon immer wieder verzweifeln.

Der Amerikaner Andrew Shea erzählt in Portrait of Wally ein Stück Kunstgeschichte: 1912 porträtierte Egon Schiele seine damalige Geliebte Walburga Neuziel. Das Gemälde löste zwischen 1998 und 2010 einen Rechtsstreit über Raubkunst aus.

Zwei Berliner jüdische Künstlerinnen heute porträtieren Katinka Zeuner und Benjamin Laser in Jalda und Anna – Erste Generation danach. Die Konzeptkünstlerin Anna Adam und die Sängerin Jalda Rebling sind Töchter von Schoa-Überlebenden. Die beiden Frauen leben zusammen in Prenzlauer Berg.

spielfilme Auf dem Programm steht natürlich mehr als nur Deutsches und Dokumentationen. Aus Frankreich kommt die wunderbar durchgeknallte Komödie Let my people go von Mikael Buch. Es geht um einen jungen schwulen Juden, der sein Glück als Postbote in Finnland gefunden hat, aber wegen einer riesigen Geldsumme nach Paris zurück zu seiner sehr anstrengenden Familie muss. Allein der Umstand, dass die Pedro-Almodovar-Muse Carmen Maura hier die jiddische Mamme spielt, garantiert turbulente Unterhaltung.

Im zweiten französischen Spielfilm Le fils de l’autre von Lorraine Levy geht es ebenfalls um Identitäten und Selbstverständnis. Ein junger Israeli und ein Araber finden heraus, dass sie als Babys vertauscht worden sind. Der Jude ist nun Palästinenser und darf nicht einmal mehr ohne Weiteres in die Synagoge. Vor allem die Väter kommen mit dieser schockierenden Wahrheit nicht klar. Wie dieser Film es schafft, eine Versöhnungsgeschichte zu erzählen, ohne sentimental zu werden, ist großes, emotionales Kino. Einen verwandten Plot hat Joel Fendelmans David. Ein elfjähriger arabischstämmiger Junge in Brooklyn wird für jüdisch gehalten. Der Sohn eines Imams nimmt die Rolle an, ist mit diesem Doppelleben aber bald überfordert.

Natürlich ist auch Israel beim Festival vertreten. Joseph Cedar stellt persönlich seinen neuen Oscar-nominierten Film Footnote vor. Nach dem Kriegsfilm Beaufort 2007 hat der israelische Regisseur diesmal einen Familienkonflikt ironisch aufgearbeitet. Cedars neuer Film ist Drama und absurde Komödie zugleich. Hier bekämpfen sich zwei Professoren für Talmudstudien, die auch Vater und Sohn sind.

»Mehr Juden ins Kino«: Das Motto des Festivals in die Wirklichkeit umzusetzen, dürfte kein Problem sein, wenn man Natalia Grinberg glaubt. In ihrer kurzweiligen Doku Jew.de.ru hat sie Passanten in einer deutschen Fußgängerzone gefragt, wie viele Juden wohl in Deutschland leben. Die Antworten schwankten zwischen einer und vierzig Millionen

18. Jüdisches Filmfestival Berlin & Potsdam, 4. bis 17. Juni

www.jffb.de

Sehen!

»Pee-Wee privat«

Der Schauspieler Paul Reubens ist weniger bekannt als seine Kunstfigur »Pee-wee Herman« – eine zweiteilige Doku erinnert nun an beide

von Patrick Heidmann  11.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  11.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Marbach am Neckar

Schillerrede: Soziologin Illouz vergleicht Trump mit »König Lear«

Statt Selbstbeweihräucherung empfiehlt die Soziologin Eva Illouz in der Schillerrede 2025 den Zweifel und das Zuhören - nur das helfe aus der eigenen Echokammer heraus

 10.11.2025