Premiere

»Mehr als die Todesfuge«

Ben Becker und Giora Feidman über ihr Paul-Celan-Programm »Zweistimmig«

von Jonathan Scheiner  12.08.2013 20:54 Uhr

»Celan den Leuten nahebringen«: Giora Feidman und Ben Becker Foto: Jüdische Kulturtage / F. Broede und A. Meister

Ben Becker und Giora Feidman über ihr Paul-Celan-Programm »Zweistimmig«

von Jonathan Scheiner  12.08.2013 20:54 Uhr

Herr Becker, Herr Feidman, bei den Jüdischen Kulturtagen Berlin werden Sie am 22. August Ihr Paul-Celan-Programm »Zweistimmig« präsentieren, bevor Sie damit auf Deutschlandtournee gehen. Wie ist die Idee zu dem Programm entstanden?
Ben Becker: Wir haben uns kennengelernt bei dem Kinofilm »Comedian Harmonists«. 1997, glaube ich, war das. Dann haben wir zusammen mehrere Konzerte gemacht, bei denen es um Rilke ging. Ich habe Rilke-Gedichte gelesen, und er hat seine Musik gespielt. Allerdings haben wir zu keinem Zeitpunkt gemeinsam auf der Bühne gestanden.
Giora Feidman: Ich habe Ben schon vor längerer Zeit gesagt, dass wir mal etwas Gemeinsames machen müssen. Aber er ist ständig ausgebucht, und auch ich bin ständig ausgebucht, und so hat es eben seine Zeit gebraucht. Ich glaube, »Zweistimmig« ist letztlich das Resultat des Satzes »Wir müssen mal etwas Gemeinsames machen.«
Ben Becker: Er sagt, wir müssen mal was zusammen machen. Ich sage, ja, müssen wir mal was machen. Aber wann? Irgendwann kam ich schließlich auf Celan. Und es war sofort klar: Celan mit Giora! Das geht, das fand ich spannend, weil Giora, wenn man so will, ein Zeitzeuge ist. Und so habe ich ihm vorgeschlagen: Was hältst du von Celan? Und Giora hat sofort gesagt: Ja, machen wir!

Herr Becker, welche Gedichte Celans haben Sie ausgesucht?
Ben Becker: Die Auswahl war viel Arbeit. Die »Todesfuge« ist offensichtlich, das ist ja auch Pflichtlektüre in der Schule gewesen. Ich habe dieses Büchlein »Mohn und Gedächtnis« von 1952 in die Finger gekriegt und habe anfangs recht wenig verstanden. Und da hat mich natürlich auch mein Nicht-Verstehen interessiert. Warum gilt Celan als einer der größten Lyriker des letzten Jahrhunderts, und ich verstehe ihn nicht? So habe ich angefangen, verstehen zu wollen, und bin damit Celan so nahegekommen, wie man ihm nur nahekommen kann.

Wie haben Sie sich dieser schwer verständlichen Lyrik angenähert?
Ben Becker: Celan hat ja selbst gesagt: Lesen Sie nur immer wieder, lesen Sie und Sie werden verstehen. Es ist ja kein theoretischer Vortrag, den ich da halten will, sondern ich will den Leuten den Dichter Celan näherbringen. Deswegen gehören zum Programm auch Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann und mit Celans Frau. Die Frage war, wie geht man damit um? Folgt man nur chronologisch der Zeittafel? Anfangs habe ich mich daran entlanggehangelt, aber habe das dann – auch im Celanschen Sinne – umgeschmissen und gesagt: Der Abend wird eine Collage.

Herr Feidman, welche Musik haben Sie zu den Gedichten ausgewählt?
Giora Feidman: Die Musik ist adaptiert und nicht eigens für das Programm komponiert. Ich habe das Repertoire besorgt, und Ben hat entschieden, was wir spielen. Ich bin keine Person, die eine starke Verbindung zu Song- oder Gedichttiteln hat. Ich schere mich nicht um Titel, weil Musik viel mehr ist als nur Titel. Musik ist Musik. Aber wenn Sie mich schon so genau fragen, welche Titel wir spielen, dann kann ich Ihnen wenigstens unser erstes Lied nennen. Es heißt »Malchei Israel«. Es ist ein Vergnügen, damit zu beginnen, weil das Lied sehr beliebt ist am Schabbat. In Israel geht nichts am Schabbat ohne dieses Lied.

Wie kombinieren Sie beim Auftritt Text und Musik?
Ben Becker: Manchmal machen wir es so, dass ich lese, und danach spielt Giora. Oder ich lese, und Giora spielt dazu begleitend. Das Problem ist bei einem Gedicht wie der »Todesfuge«, wo es mit der Stimmung nach unten geht, wo es einen trifft, wo es wehtut: Dann fängt Giora wieder an, spielt und lässt die Sonne aufgehen.

Besteht nicht die Gefahr, ein so beklemmendes Gedicht wie die »Todesfuge« damit zu banalisieren?
Ben Becker: Klar habe ich mich gefragt, wie ich das lese. Doch die »Todesfuge« bedarf keiner weiteren Interpretation. Wegen dieser unumstößlichen Härte, die da drin ist. Wie ein glatter Schnitt – das ist die »Todesfuge«! Das geht mir auch nahe. Trotzdem kann ich das nicht weinend dahinstellen. Das wäre schrecklich, wenn man das trauernd auf die Bühne bringt.

Aber rein professionell ist Ihr Verhältnis zur »Todesfuge« nicht, oder?
Ben Becker: Die »Todesfuge« ist eine Zustandsbeschreibung. Ich bin froh, dass ich diesen Zustand nicht erlebt habe. Meine jüdische Großmutter Claire Schlichting hat den erlebt. Die ist gerade noch so durch die Tür gekommen.

Die Premiere von »Zweistimmig« findet am Donnerstag, den 22. August, um 20 Uhr in der Synagoge Rykestraße in Berlin statt. www.juedische-kulturtage.org

Tourdaten unter: www.giorafeidman-online.com/de/termine

CD: Giora Feidman & Ben Becker: »Zweistimmig«. Random House, 65 min, 19,99 €

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