Nachruf

Mann der Bilder

Als am 11. Dezember im Auditorium der Topographie des Terrors des 100. Geburtstags von Joseph Wulf gedacht werden sollte, traf die traurige Nachricht ein, dass Gerhard Schoenberner, der Gründungsdirektor der Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz, im Alter von 81 Jahren verstorben ist.

Wulf, der große Historiker, der den Mord an den europäischen Juden präzise dokumentierte, und Gerhard Schoenberner, der Chronist und Pionier der visuellen Dokumente des Jahrhundertverbrechens, waren Seismografen, die nicht nur Fußnoten einer belanglosen Geschichtswissenschaft produzierten, sondern das unmenschliche Geschehen im nationalsozialistischen Deutschland im Kontext unserer ach so aufgeklärten Gegenwartsgesellschaft kommunizierten.

Beide waren durch das Vorhaben verbunden, die Wannseevilla, in der der Mord an den europäischen Juden zwischen den beteiligten Ministerien und NS-Terroragenturen koordiniert wurde, zu einem geschichtlichen Lernhaus für eine gewaltfreie Gesellschaft zu machen – Wulf hatte die Wannseevilla als Dokumentationszentrum schon in den 60er-Jahren inhaltlich erfunden, Schoenberner hat die Bildungsstätte konzeptionell und visuell zu Beginn der 90er-Jahre ausformuliert und eingerichtet. Ohne sein über Jahrzehnte währendes Engagement für dieses Bildungszentrum ist dieser Erinnerungsort nicht denkbar.

Engagement Als Anfang der 80er-Jahre neben dem damals gerade rekonstruierten Martin-Gropius-Bau das Prinz-Albrecht-Gelände entdeckt wurde – jener Ort, an dem Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt, die wichtigsten NS-Terroragenturen, ihren reichsweiten Hauptsitz hatten –, war Schoenberner einer derjenigen, die initiativ wurden: Er war Gründungsvorsitzender des Vereins »Aktives Museum«, der als Bürgerinitiative ganz wesentlich das Programm für die heutige Stiftung Topographie des Terrors formulierte und dessen Engagement für die Einrichtung der Stiftung grundlegend war.

Schoenberner gehörte unter der Leitung von Reinhard Rürup zu denjenigen, die die Grundausstellung der Topographie, die von 1997 bis 2010 ein Millionenpublikum erreichte, mitgestaltet hat. Er gehörte bis 2010 den Gremien der Stiftung Topographie des Terrors an und blieb ein kreativer Ideengeber. Noch am 4. Juli – dem 25. Jahrestag der Eröffnung der ersten Ausstellung der Topographie – brachte er als Idee für die zukünftige Programmgestaltung ein, eine Ausstellung über die NS-Besetzung des Balkans zu versuchen.

Argumente Der 1931 geborene Schoenberner war als Gesprächspartner ein liebevolles, immer konstruktives Gegenüber. Er verstand es nicht nur, zuzuhören, sondern war ein intelligenter, kreativer Ratgeber, der für die gute Sache immer die besten Argumente lieferte. Seine Frau Mira, um die er sich immer sorgte, war seine Muse.

Schoenberner ist mit dem Thema der Dokumentation des Mordes an den europäischen Juden schon seit den frühen 60er-Jahren untrennbar verbunden. Wer sich in Deutschland damals mit dem Holocaust befassen wollte, kam an Schoenberners Buch Der Gelbe Stern nicht vorbei. Es war die erste an ein breites Publikum gerichtete, auch mit Bilddokumenten argumentierende Dokumentation der Verfolgung und des Mordes an den europäischen Juden im 20. Jahrhundert. Es wurde in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt, mit unzähligen Neuauflagen bis in die Gegenwart – bei unserem letzten Zusammentreffen vor einigen Wochen hatte er mir freudig berichtet, dass eine von ihm bearbeitete Neuauflage demnächst in Druck ginge.

Pionier Schoenberner war aber auch ein Pionier der deutsch-israelischen Beziehungen, leitete er doch 1973 bis 1979 das damals »Deutsches Kulturzentrum« genannte Goethe-Institut in Tel Aviv. Außerdem war er ein Mann der Bilder. So saß er in unzähligen Jurys von Filmfestivals – sein Name ist mit der Kinemathek und den Berliner Filmfestspielen verbunden, insbesondere, wenn es um das Kommentieren von Filmen ging, die dokumentarisch oder auch in anderen Genres um die Schoa kreisten. 1969 hat er für die ARD die zwölfteilige Sendereihe Film im Dritten Reich fachkundig zusammengestellt.

Ein ganz anderer, aber doch seinem Lebensthema »Dokumentation der Schoa« verbundener Gerhard Schoenberner ist 2011 mit dem Band Fazit: Prosagedichte aufgetreten. In dem Kapitel »Kein Frieden« schreibt er etwa: »Was sie den Wehrlosen antaten / sollen sie erfahren, eins nach dem anderen / ohne Ausnahme, bis sie verrecken ...«.

Martin Walser formulierte in der ZEIT vom 2. Juli 2012: »Mich erinnert die feierliche Festigkeit Schoenberners an Hölderlin. Gibt es noch einen Dichter, dessen Gedichte so deutlich aus der Geschichte stammen?« Und weiter: »Mir ist keine Literatur deutscher Sprache bekannt, sei es Gedicht oder Prosa, die den Gedichten Schoenberners vergleichbar wäre. Vergleichbar in der Härte und Genauigkeit der Mitteilung dessen, was Deutschland im 20. Jahrhundert vollbrachte.«

Der Autor ist geschäftsführender Direktor der Stiftung Topographie des Terrors und Rabbiner der Berliner Synagoge Hüttenweg.

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