Literatur

Liebes Glück

Literatin von Rang: Teofila Reich-Ranicki Foto: imago

Literatur

Liebes Glück

Die Frau an seiner Seite: Teofila Reich-Ranicki zum 90. Geburtstag

von Philipp Peyman Engel  14.03.2010 00:00 Uhr

Vor genau elf Jahren, am 12. März 1999, sitzt die an diesem Tag 79 Jahre alt gewordene Teofila Reich-Ranicki im Wohnzimmer ihrer Frankfurter Wohnung und liest Gedichte des polnischen Lyrikers Julian Tuwim. Ihr Mann Marcel sitzt ihr gegenüber und tut nichts anderes als das, womit er einen Großteil seines Lebens verbracht hat: Er liest einen deutschen Roman. Doch er ist unkonzentriert, legt das Buch beiseite, betritt den Balkon, beobachtet den Sonnenuntergang und ist, im Gegensatz zu seinem sonstigen Desinteresse an der Natur, von diesem Schauspiel regelrecht gerührt. Zurück im Wohnzimmer bei seiner Frau, die immer noch liest, lässt er Stationen ihres gemeinsamen Lebens Revue passieren. Er fragt sich, ob sie sich durch das Lesen, das ihnen beiden stets eine Zuflucht war, an ihre Jugend zu erinnern versucht.

traum Dann kommen dem 1920 in Wloclawek an der Weichsel geborenem Literaturkritiker die Worte von Gottfried von Straßburg in den Sinn: »Wen nie die Liebe leiden ließ, / dem schenkte Liebe niemals Glück.« Dass es diese Verse sind, die ihre
Ehe am besten zu beschreiben vermag, davon ist er überzeugt. Gab es doch nicht wenige Situationen, in denen seine Frau viel gelitten hat, und ebenso, wenn auch weit weniger, Situationen unter denen er zu leiden hatte. Gleichwohl weiß er, dass dies alles nichts an ihrer innigen Beziehung geändert haben. Nach
wie vor gilt für ihr an Erfahrungen ganz und gar nicht armes Leben der Ausspruch von Hugo von Hofmannsthal: »Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, daß wir zwei beieinander sind.«

Marcel Reich-Ranicki beendete mit dieser Szene das letzte Kapitel seiner Autobiografie Mein Leben, in der eine größere Leserschaft zum ersten Mal auch vom Lebensweg seiner ruhigen, die Öffentlichkeit meidenden Frau Teofila erfährt. Ein treffenderes Zitat als das des österreichischen Dichters von Hofmannsthal hätte er für den Schluss seines Lebensberichts kaum auswählen können.

»Geh sofort dahin, der Langnas hat doch eine Tochter, ihrer muss man sich jetzt annehmen«, trug Helene Reich ihrem damals 19-jährigen Sohn Marcel auf, nachdem Teofilas Vater Pawel den Terror der Nazis nicht länger ertragen konnte und sich erhängt hatte. »Ich habe diesen Satz, diese Ermahnung – Kümmere dich um das Mädchen! – nie vergessen. Ich höre ihn noch heute«, erinnert sich Marcel Reich-Ranicki. Seit diesem Tag, es war der 21. Januar 1940, sind die beiden ein Paar.

lebensträume Welche Bedeutung die Kunst in ihrem Leben immer schon bedeutete, belegen auf eindrucksvolle Weise Teofilas Bücher »Es war der letzte Augenblick« und »Wir sitzen alle im gleichen Zug«, die zwischen 1942 und 1943 entstanden sind und ein grafisches Dokument geplatzter Lebensträume sowie verstörender Erfahrungen einer jungen Frau darstellen. Um ihren Mann im Warschauer Ghetto eine Freude zu machen und Hoffnung zu schenken, hatte sie zudem Erich Kästners Gedichtband »Lyrische Hausapotheke« von Hand abgeschrieben, mit Zeichnungen versehen und später ebenfalls aus dem Ghetto retten können. Es ist nicht zuletzt auch dieses noch heute aufgelegte Werk, dass von der bis heute andauernden Liebe zu ihrem Mann Marcel zeugt.

Wer das Glück hat, die beiden einmal zusammen zu erleben, dem prägt sich das Bild von einem Ehepaar ein, das einander zärtlich und frei von jeder Gereiztheit begegnet. Man darf wohl davon ausgehen, dass sich Marcel Reich-Ranicki auch am vergangenen Freitag ganz besonders lieb um seine Frau gekümmert hat. Und das erst recht, weil Teofila, genannt Tosia, an diesem Tag 90 Jahre alt geworden ist.

Fernsehen

Luftraum in Israel gesperrt: »Fernsehgarten« ohne Kiewel

Die Moderatorin lebt in Tel Aviv - doch zu ihrer Jubiläumssendung konnte sie nicht anreisen

 15.06.2025

Leo Baeck Institut

»Die Wissenschaft ist keine Oase«

Michael Brenner über das vor 70 Jahren gegründete Archiv der Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums, freie Forschung und bedrohte Demokratie

von Ayala Goldmann  15.06.2025

Kunst

Öffnet die Herzen!

Die Israelin Bracha Lichtenberg Ettinger fordert mit einer intensiven Einzelschau in Düsseldorf die Besucher heraus

von Eugen El  15.06.2025

Interview

Susan Sideropoulos über Styling-Shows und Schabbat

GZSZ-Star Susan Sideropoulos hat im ZDF die neue Makeover-Show »That’s My Style«. Nur wenige wissen jedoch, wie engagiert die Enkelin jüdischer NS-Opfer gesellschaftspolitisch ist

von Jan Freitag  13.06.2025

Aufgegabelt

Pastrami-Sandwich

Rezepte und Leckeres

 12.06.2025

Streaming

Doppelte Portion Zucker

Mit »Kugel« ist den Machern der Kultserie »Shtisel« ein vielschichtiges Prequel gelungen

von Nicole Dreyfus  12.06.2025

TV-Tipp

Das Schweigen hinter dem Schweinderl

»Robert Lembke - Wer bin ich« ist ein kluger Film über Verdrängung, Volksbildung und das Schweigen einer TV-Legende über die eigene Vergangenheit. Nur Günther Jauch stört ein wenig

von Steffen Grimberg  12.06.2025

Kulturkolumne

Annemarie, Napoleon und ich

Gute Bücher wachsen mit, hat mein Großvater immer gesagt. Warum »Desirée« von Annemarie Selinko uns alle überleben wird

von Sophie Albers Ben Chamo  12.06.2025

Aufgegabelt

Himbeer-Sorbet mit Zaatar

Rezepte und Leckeres

 12.06.2025