Literatur

Liebe mit Deadline

Wurde in Israel viel diskutiert, weil das Buch laut Erziehungsministerium die »separate Identität« bedrohe: Dorit Rabinyans neuer Roman Foto: Kiepenheuer & Witsch

Literatur

Liebe mit Deadline

Dorit Rabinyans umstrittener Roman »Gader Haya« über eine israelisch-arabische Beziehung erscheint auf Deutsch

von Ayala Goldmann  08.08.2016 22:18 Uhr

Es ist leichter, über die politische Kontroverse um den dritten Roman der israelischen Schriftstellerin Dorit Rabinyan zu schreiben als über das Buch selbst. Unter dem hebräischen Titel Gader Haya (»Ein lebender Zaun«) erschien 2014 in Israel die Geschichte einer »Liebe mit Deadline« zwischen einer Israelin und einem Palästinenser, die sich in New York abspielt. Auf Englisch wurde das Buch als Borderlife bekannt. Am heutigen Donnerstag erscheint es nun in einer Übersetzung von Helene Seidler bei Kiepenheuer & Witsch als Wir sehen uns am Meer.

Der Roman erzählt eine simple Story, deren Ende von Anfang an feststeht: Die israelische Übersetzerin Liat und der palästinensische Künstler Chilmi beginnen im New Yorker Winter 2002 eine leidenschaftliche Affäre, die bis zum 20. Mai dauern wird – bis Liats Visum abläuft und sie wieder nach Israel reist, während Chilmi ins Westjordanland zurückkehrt. Die patriotische Liat hält die Affäre geheim und wechselt in der New Yorker U-Bahn sogar den Waggon, wenn sie mit Chilmi Bekannten aus Israel begegnet – voller Angst, ihre Eltern könnten von der Affäre mit dem arabischen Mann erfahren.

dramatisch Zurück in der Heimat kommt es nur zu einer Reihe von Telefonaten, aber nie zu einem Treffen. In der deutschen Ausgabe ist das Buch einem Hasan Hourani (1973–2003) gewidmet; Rabinyan selbst unterhielt, wie sie in Interviews sagte, in New York eine kurze Beziehung zu einem Palästinenser. Die Romanfigur Chilmi ertrinkt zum Schluss am Strand von Jaffo – dramatischer Schlusspunkt einer aussichtslosen Beziehung. Der deutsche Titel Wir treffen uns am Meer muss Illusion bleiben.

Gader Haya ist Rabinyans dritter Roman nach einer längeren Pause: Ihre ersten Romane Die Mandelbaumgasse und Unsere Hochzeiten waren 1999 und 2000 auf Deutsch erschienen. Ein erfolgreiches Comeback: Gader Haya wurde unter anderem von Amos Oz hochgelobt und in Israel mit dem renommierten Bernstein-Preis ausgezeichnet. Dennoch überzeugt Rabinyans emotionale, aber auch blumige und adjektivlastige Sprache nicht durchgehend; manche Stellen wirken aufgesetzt.

Doch an anderen Stellen sind Sensibilität und Authentizität zu spüren, die den Leser dafür entschädigen. Klar wird: Auch in einem »neutralen Territorium« können politische und persönliche Begrenztheiten nur teilweise aufgehoben werden. Dann aber umso intensiver, etwa, wenn Chilmi die kranke Liat im eisigen New York hingebungsvoll pflegt.

Kontroverse Eigentlich alles harmlos. Dennoch hat der Roman im vergangenen Winter das israelische Erziehungsministerium auf den Plan gerufen: Das Werk wurde trotz einer anderslautenden Empfehlung eines internen Expertenkomitees nicht in eine Lektüreliste für säkulare Oberschulen aufgenommen. Die Ministerialbeamtin Dalia Fenig berief sich darauf, der Roman ermutige zu Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden, welche die »separate Identität« bedrohten, und fördere die Assimilation. Daher sei er für Schüler ungeeignet.

Außerdem befand Erziehungsminister Naftali Bennett, das Buch würdige israelische Soldaten herab. Die Kritik bezog sich offenbar auf eine Passage, in der Chilmi davon berichtet, wie er als 15-Jähriger während der ersten Intifada wegen propalästinensischer Graffitis in einem israelischen Gefängnis landete, Zeuge von Kollektivstrafen wurde und von Soldaten gezwungen wurde, hebräische Lieder zu singen. Na und, möchte man sagen: War das nicht alles längst bekannt?

Dorit Rabinyan hat der Skandal nicht geschadet. Die Kontroverse um die Schulbuchlektüre war eine optimale Werbung für ihren Roman, nach der Entscheidung des Erziehungsministeriums mussten zusätzliche Auflagen gedruckt werden. Der interne Streit im Ministerium ging unterdessen weiter: Zwei Mitglieder der Kommission, die Rabinyans Werk ursprünglich für Oberschulen empfohlen hatten, legten im Juli aus Protest ihr Amt nieder.

Eine der beiden Pädagoginnen, Sigal Naor-Perelman, sagte, die Abwertung von Rabinyans Buch durch die politische Ebene im Ministerium sei »Rassismus um seiner selbst willen«. Das Ministerium teilte daraufhin mit, man bedauere den Rückzug der langjährigen Mitarbeiterinnen und werde in Kürze neue Kommissionsmitglieder ernennen.

Dorit Rabinyan: »Wir sehen uns am Meer«. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016, 384 S., 19,99 €

Forum

Leserbriefe

Kommentare und Meinungen zu aktuellen Themen der Jüdischen Allgemeinen

 28.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  25.12.2025

ANU-Museum Tel Aviv

Jüdische Kultobjekte unterm Hammer

Stan Lees Autogramm, Herzls Foto, das Programm von Bernsteins erstem Israel-Konzert und viele andere Originale werden in diesen Tagen versteigert

von Sabine Brandes  25.12.2025

Menschenrechte

Die andere Geschichte Russlands

»Wir möchten, dass Menschen Zugang zu unseren Dokumenten bekommen«, sagt Irina Scherbakowa über das Archiv der von Moskau verbotenen Organisation Memorial

 25.12.2025

Rezension

Großer Stilist und streitbarer Linker

Hermann L. Gremliza gehört zu den Publizisten, die Irrtümer einräumen konnten. Seine gesammelten Schriften sind höchst lesenswert

von Martin Krauß  25.12.2025

Glastonbury-Skandal

Keine Anklage gegen Bob-Vylan-Musiker

Es lägen »unzureichende« Beweise für eine »realistische Aussicht auf eine Verurteilung« vor, so die Polizei

 24.12.2025

Israel

Pe’er Tasi führt die Song-Jahrescharts an

Zum Jahresende wurde die Liste der meistgespielten Songs 2025 veröffentlicht. Eyal Golan ist wieder der meistgespielte Interpret

 23.12.2025

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025