Tu be Aw

Liebe ist Punk

»Offenen Auges heiraten, ohne unrealistische Vorstellungen, ohne romantische Verklärung«: Marina Weisband Foto: imago

Wenn wir ein paar Jahre glücklich mit unserem Partner zusammen sind, stehen wir 25- bis 35-Jährigen vor einer schweren Entscheidung: Folgen wir unseren Eltern nach und vermählen uns? Auch auf die Gefahr hin, als altmodisch und konservativ betrachtet zu werden? Welchen Nutzen bringt uns das überhaupt heute noch, und warum halten wir dieses Relikt aus alten Zeiten überhaupt am Leben?

Die Hochzeit hat ihre Relevanz verloren, sagt man. Sie ist ein reiner Verwaltungsakt geworden. Ja, früher hatte der Tag der Eheschließung noch diese große, alles verändernde Bedeutung. Er war der Beginn eines gemeinsamen Lebens. Mann und Frau konnten erst ab diesem Tag wirklich zusammen sein. Sie gründeten einen Haushalt, eine Familie, wie sie es vor der Hochzeit nicht gedurft hätten. Endlich erfüllte sich ihr Schmachten und Verlangen nacheinander, aber auch nach einem erwachsenen Leben. Darin lag die Magie.

Unterhose Heute lebt ein Paar, wenn es heiratet, meist schon Jahre zusammen, sodass sich nach der Hochzeit das Leben kaum ändert. Beide kennen sich bereits. Sie haben den anderen nicht nur in Ausgehkleidung gesehen, sondern auch in Unterhose vor dem Fernseher. Sie haben gegenseitig ihre Socken aufgesammelt, ihre Launen ertragen, gekocht, gestritten, das Alltäglichste und Hässlichste am anderen erlebt.

Und an diesem Hochzeitstag sagen sie, dass sie trotzdem entschieden haben, den Rest ihres Lebens miteinander verbringen zu wollen. Offenen Auges, ohne unrealistische Vorstellungen, ohne romantische Verklärung. Das ist ein Wunder. Das ist eine weit größere Entscheidung als die Entscheidung, mit einem Menschen, in den man gerade frisch verliebt ist, zusammen sein zu wollen. Die Hochzeit hat heute an
Bedeutung gewonnen.

heilig Denn in welchen Umständen leben wir heutzutage? Alles ändert sich ständig. Wir ziehen von Stadt zu Stadt und wechseln mehrmals in unserem Leben den Beruf. Wir haben in verschiedenen Phasen verschiedene Bedürfnisse und wurden dazu erzogen, diese Bedürfnisse auch zu respektieren und zu befriedigen. Kaum jemand weiß, was in fünf Jahren sein wird. Sich unter diesen Umständen zu schwören, dass man – komme was wolle – das Leben stets an der Seite eines anderen Menschen verbringen will, das ist Wahnsinn! Es ist Wahnsinn, der sich jeder Vernunft widersetzt, jeder Erfahrung, jedem berechnenden Plan. »Wir wissen nicht, was wir in 20 Jahren beruflich machen oder wo wir wohnen. Aber wir wissen, dass wir nebeneinander aufwachen wollen.«

Gerade weil es so ein Wahnsinn ist, ist der Bund der Ehe im Judentum heilig. Gerade weil es so ein Wahnsinn ist, muss Gott an dieser Stelle im Spiel sein. Nun beklagen Stimmen aus dem religiösen und konservativen Lager, das »Leitbild der Ehe« werde geschwächt durch die Anerkennung vielfältiger Lebensgemeinschaften. Ich finde diesen Gedankengang absolut paradox. Wenn zwei erwachsene, mündige Menschen sich versprechen, immer füreinander da zu sein und zu sorgen, auch wenn der Rest der Welt es nicht täte, dann ist das etwas Wunderschönes.

Völlig egal, welche Geschlechter sie dabei haben, ob sie monogam leben oder ob sie sonstigen Vorstellungen entsprechen, die irgendjemand sich in seinem Kopf macht.

Versprechen Die Stärke und »Heiligkeit« einer Entscheidung misst sich an ihrer Freiwilligkeit. Das ist für mich der wichtigste Punkt. Ein Paar, das von den Eltern zur Heirat gezwungen wird, vollzieht nicht das Wunder, sich füreinander zu entscheiden. Daran kann nichts Heiliges sein. Darum dürfen wir es also einerseits keinem Paar vorwerfen, das sich entscheidet, einfach unverheiratet zusammenzuleben und glücklich zu sein. Andererseits dürfen wir es auch niemandem verwehren, einander ein lebenslanges Versprechen zu geben.

Wir dürfen die Ehe niemandem aufnötigen, denn ihre eigentliche Bedeutung erlangt sie erst, wenn sie eine bewusste, mutige Entscheidung ist. Wir dürfen die Ehe auch niemandem verwehren oder sie abfällig als altmodisch bezeichnen. Es ist nichts Altmodisches oder Konservatives daran, zu sagen: »Ich pfeife auf eure klugen Vorbehalte und auf Vorsicht und darauf, dass das, was ich tue, unlogisch ist. Ich liebe.« Liebe ist eigentlich Punk.

Die Autorin (25) ist Politikerin der Piratenpartei und hat im Juni ihren Lebensgefährten Marcus Rosenfeld geheiratet.

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025