Kulturpolitik

»Liebe Frau Roth …«

Claudia Roth bei der Preisverleihung der Berlinale 2024 Ende Februar Foto: IMAGO/Cathrin Bach

Vom Jüdischen Weltkongress (WJC) kommt harsche Kritik an der Kulturstaatsministerin des Bundes, Claudia Roth (Bündnis90/Die Grünen). Grund dafür ist die Berlinale, das vom Bund mitgeförderte Filmfestival. WJC-Geschäftsführer Maram Stern schrieb Roth jetzt einen Brief, der der Jüdischen Allgemeinen vorliegt und in dem er Missmut über Roths Haltung ausdrückt.

Zuerst hatte »Die Zeit« über den Brief berichtet. Er verstehe nicht, so Maram Stern, wie Roth ihr Amt als Kulturstaatsministerin verstehe. »Glauben Sie, Ihre Aufgabe bestünde darin, großzügig Steuergelder für Filmförderung, Literaturfestivals, Museen und Kunstausstellungen zu verteilen? Nichts gegen Kulturförderung, aber die Verteilung dieser Mittel könnte bequem durch eine nachgeordnete Behörde erfolgen, dafür braucht man keine Spitzenpolitikerin. Eine solche braucht es nur, wenn man nicht nur Kulturförderung, sondern tatsächlich Kulturpolitik betreiben möchte.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Dazu gehöre, sich mit unangenehmen und strittigen Fragen zu beschäftigen, so auch mit der Frage von Antisemitismus im Kulturbetrieb. Eine Antisemitin, so Stern weiter, sei Roth zwar nicht, und er würde sie »bei aller Frustration über ihre Politik« gegen solche Vorwürfe immer in Schutz nehmen. Auch hält er Roth zugute, dass sie durchaus »den Antisemitismus anderer in der Kulturszene für ein gravierendes Problem« ansehe.

Nur eben, schrieb der WJC-Geschäftsführer, nicht für ihr eigenes. Roth habe sich bereits nach der documenta 2022 geweigert, Verantwortung zu übernehmen. Das Gleiche wiederhole sich aktuell bei der Berlinale. »Ganz so, als wären Sie nur eine ganz normale Besucherin des Festivals und nicht die zuständige Ministerin«, schreibt Stern.

Roth hatte an der abschließenden Preisverleihung der Berlinale Ende Februar teilgenommen, bei der von mehreren Künstlern auf der Bühne scharfe Kritik an Israel geübt und dem jüdischen Staat ein »Völkermord« an den Palästinensern vorgeworfen wurde.

In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« hatte Roth dies vergangene Woche ebenfalls als »bitter« und »unerträglich« kommentiert und gesagt, die »missglückte Preisverleihung« habe »die ganze Berlinale überschattet.« Bis dahin sei das renommierte Filmfestival, das auch Fördergelder aus dem Bundeshaushalt erhält, »so weit insgesamt gut« verlaufen, behauptete Roth.

»Ihr Platz ist an der Seite der Juden«

Stern sieht das anders. Die oberste Kulturpolitikerin des Bundes und andere Verantwortliche hätten schon im Vorfeld der Kasseler Kunstschau documenta vor zwei Jahren »zahlreiche Warnungen in den Wind geschlagen«, obwohl jedem hätte »klar sein müssen, dass Antisemitismus im Kulturbetrieb mehr als eine Randerscheinung ist.«

Maram SternFoto: Marco Limberg

Nach dem 7. Oktober, so Maram Stern in seinem Schreiben weiter, sei die Zahl judenfeindlicher Straftaten weltweit explodiert, weltweit fühlten Juden sich bedroht. »Und leider haben wir auch erlebt, dass gerade aus Künstler- und Intellektuellenkreisen die Mörder der Hamas in Schutz genommen und deren Gräueltaten als legitimen Akt des Widerstands verteidigt haben.« Stern weiter: »Und dann sind Sie, Frau Roth, erstaunt, dass auf der Bühne der Berlinale vom israelischen ›Völkermord‹ und vom ›Abschlachten der Palästinenser‹ geschwafelt wird? Lesen Sie eigentlich keine Zeitung?«

Zwar sei es legitim, die israelische Kriegsführung zu hinterfragen. Wer aber von einem »Genozid« rede, sei ist an einer sachlichen Diskussion nicht interessiert, sondern nur an der Verteuflung Israels. »Dafür darf es keine öffentliche und staatlich finanzierte Bühne geben, schon gar nicht in Deutschland«, so der deutsche geschäftsführende Vizepräsident des Weltkongresses.

Er erwarte von ihr, schrieb Stern an Roth, »die volle Rückendeckung der deutschen Politik und keine Halbherzigkeiten.« Seinen Brief schloss er mit den Worten: »Wenn Kunst antisemitisch wird, wenn Künstler sich antisemitisch äußern, dann, Frau Roth, ist Ihr Platz nicht an der Seite der Künstler, sondern an der der Juden.«

Nach der Berlinale hatten auch andere jüdische Organisationen Roth und andere Verantwortliche kritisiert. Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) forderte Kulturschaffende zu einer klaren Linie gegen Antisemitismus und israelfeindliche Positionen auf. Wenn in Berlin Ressentiments gegen Juden und den Staat Israel geschürt würden, sei das nicht akzeptabel.

Der ORD-Vorstand erklärte: »Eines sollte klar sein: Die Verbreitung von Hass auf Juden und Israel ist nicht durch die Freiheit der Kunst gedeckt, sondern eine Straftat. Es ist offensichtlich geworden, dass die Selbstregulierung in der Kunst- und Kulturszene nicht mehr funktioniert und etwa bei Förderrichtlinien im Kulturbereich dringend nachgearbeitet werden muss, um hier klare Grenzen gegen Antisemitismus zu setzen.«

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  12.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025