Interview

»Lebendige Orte«

Herr Tauber, im Juli 2021 wurden die Monumente der alten jüdischen Gemeinden Worms, Mainz und Speyer zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Sie selbst sind seit Februar Geschäftsführer des SchUM-Vereins. Was sind Ihre vordringlichen Ziele?
Der Managementplan, den wir für die Bewerbung eingereicht hatten, definiert klar, was auf uns zukommt. Mit an erster Stelle steht ein Monitoring, um den Zustand der Denkmäler zu erfassen. Dabei geht es auch um den Effekt der steigenden Besucherzahlen, die der Welterbestatus mit sich bringt.

Hat zuvor kein solches Monitoring stattgefunden?
Doch, das hat es gegeben. Es ist ja überaus erfreulich, dass alle Monumente in Deutschland nach höchsten Standards des Denkmalschutzes geschützt sind. Das Welterbe-Monitoring geht allerdings noch ein Stück weiter, weil es hier unter anderem auch um den Umgebungsschutz der Monumente geht – die sogenannten Pufferzonen. Es geht zum Beispiel darum, die Sichtachsen auf die Denkmäler freizuhalten. Keine großen Bauten dürfen die visuelle Integrität eines Monuments verstellen. Hinzu kommt der direkte Schutz des Denkmals, das natürlich keinen Schaden nehmen darf.

Kommt man hinsichtlich der Pufferzonen nicht mitunter in Konflikt mit der Stadtentwicklung?
Genau um solche Konflikte zu vermeiden, werden Pufferzonen bereits frühzeitig, nämlich bei Antragstellung, definiert. Der Umgang mit diesen Zonen darf nicht an Personen gebunden sein. Es geht um langfristigen, strukturellen Schutz.

Zum Beispiel Mainz: Der Friedhof liegt direkt an einer viel befahrenen Straße, man findet nur schwer einen Zugang. Was soll dort geschehen?
Das ist eines der Projekte, die wirklich vordringlich sind. In Mainz soll ein Besucherzentrum entstehen, von dem die UNESCO bereits durch den Managementplan in Kenntnis gesetzt wurde. Die Stadt Mainz will einen Pavillon in direkter Nähe zum Friedhof errichten, weil die Situation anders ist als zum Beispiel hier in Worms: Hier gibt es das Raschi-Haus, mit dem wir den Besuchern vermitteln können, was SchUM bedeutet. In Speyer gibt es das Museum SchPIRA, das diese Funktion übernimmt. Ein solcher Vermittlungsort fehlt in Mainz.

Welche Herausforderungen stellen sich bei der Planung?
Es geht nicht zuletzt um Barrierefreiheit, die in den Monumenten selbst oft nicht gegeben ist – auch wenn wir dies anstreben. Aber eine Mikwe kann nicht barrierefrei sein; ein Besucherzentrum schon. Hier kann einem möglichst breit gefächerten Publikum das Wissen über die Stätten vermittelt werden. In Mainz geht es darüber hinaus um eine würdevollere Einfriedung des Friedhofsareals.

Was ist in Worms vorgesehen?
Worms ist ganz konkret in den Planungen für ein Besucherzentrum. Es gibt verschiedene Orte in der Stadt, die von einer städtischen Projektgruppe analysiert werden. Da geht es unter anderem auch um Belange des Baurechts. Ziel ist es, auch hier ein Besucherzentrum möglichst in direkter Nähe zu den Stätten zu platzieren. In Worms haben wir aber zwei Orte, die wir vermitteln wollen, den Friedhof Heiliger Sand und den Synagogenbezirk.

Da es in direkter Nachbarschaft zur Synagoge das Raschi-Haus gibt: Käme der Heilige Sand eher für ein Besucherzentrum infrage?
Das könnte passieren, es ist auf jeden Fall eine der Möglichkeiten. Aber es gibt noch keine Präferenz. In Speyer könnte das Besucherzentrum direkt am Judenhof umgesetzt werden; ein solches Zentrum sollte ja sehr niederschwellig und schnell Informationen vermitteln, anders als vielleicht ein musealer Ort. Doch wenn man es zusammenfassen und womöglich hierarchisch gliedern kann, dann wäre auch diese Lösung denkbar.

Werden sich die Besucherzentren voneinander unterscheiden?
Das ist die Hauptaufgabe für dieses Jahr, dass wir das stättenübergreifende Narrativ so entwickeln, dass klar ist, wo was stattfindet, wo was an welchem Ort erzählt wird: Was ist die übergreifende Erzählung von SchUM, und was ist klar ortsgebunden? Wir wollen einerseits den Zusammenhang erhellen, aber nicht an jedem Ort das Gleiche erzählen.

Es gibt bereits die SchUM-App. Wird sie sich auch verändern?
Sie wird sich in den kommenden Jahren bestimmt verändern können; gerade ist ja erst der Mainzer Teil eingepflegt worden. Auch die App ist ein niederschwelliges Angebot, das sich zum Beispiel bereits vom heimischen Sofa aus, aber auch bei einem Spaziergang durch die Stadt nutzen lässt.

Denken Sie auch über SchUM hinaus? In Köln entsteht das Jüdische Museum, das die archäologische Zone mit altem jüdischen Viertel einbezieht.
Es gibt vielfältige Möglichkeiten der Vernetzung. Gerade auch mit Welterbestätten, die zeitgleich mit uns ausgezeichnet wurden, intensivieren wir die Kontakte. Die Vernetzung fand aber auch schon in den vergangenen Jahren statt, gerade auch auf wissenschaftlicher Ebene. Das ist auch mein Anliegen: Ich möchte das Welterbe SchUM gerne in die Universitäten hineintragen, sodass es zu einer intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit kommt. Gerade auch im Hinblick auf die aktuelle politische Situation wäre das wichtig.

Hilft der Welterbestatus? Ist er mit Geld verbunden?
Geld ist damit leider nicht direkt verbunden, es ist in erster Linie eine Auszeichnung, und damit geht einher, dass wir die Verantwortung, die wir bereits in den vergangenen Jahren für die Stätten wahrgenommen haben, weiter ausbauen. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit für die Städte, diesen Titel des Welterbes touristisch zu nutzen; in Speyer gab es unmittelbar nach der Anerkennung durch die UNESCO nahezu eine Verdoppelung der Besucherzahlen. In Mainz war der Friedhof lange geschlossen – hier gab es seit der Auszeichnung zahlreiche Führungen, die auf großes Interesse stoßen.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen dem SchUM-Verein, den Städten und den jüdischen Gemeinden?
Der Verein wurde von verschiedenen Akteuren gegründet, dem Land Rheinland-Pfalz, den Städten Speyer, Worms und Mainz, der Jüdischen Gemeinde Mainz, der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz. Der Vorstand fällt die übergreifenden Entscheidungen, die für das Welterbe wichtig sind; auf der Arbeitsebene geht es zum einen um Denkmalpflege, zum anderen um die Belange der jüdischen Gemeinden – es handelt sich ja um lebendige Orte, die Synagoge in Worms und die beiden Friedhöfe werden genutzt, da gibt es wichtige religiöse Erfordernisse.

Sie haben Kunstgeschichte studiert und im Bereich der Denkmalpflege gearbeitet. Was ist die Besonderheit des jüdischen Erbes in Deutschland?
Während meiner Studienzeit führte mich eine der ersten Exkursionen in den Wormser Dom, aber auch hierher zur Synagoge und zur Mikwe – das ist ein Bogen zu meiner jetzigen Tätigkeit, den ich schön finde. Grundsätzlich ist es aber so, dass sich die Studierenden der Kunstwissenschaft aufgrund der Geschichte des Fachs schwerpunktmäßig mit den christlichen Bauten beschäftigen. Deshalb ist dieses Welterbe ein wahnsinnig wichtiges Signal nicht nur an das große Publikum, sondern auch an alle, die sich mit Kulturgeschichte auseinandersetzen.

Was heißt das für die Zukunft?
Mit diesem Erbe sollten wir uns in den kommenden Jahren sehr viel mehr noch als in der Vergangenheit beschäftigen. Viele hatten dieses Erbe bei Weitem nicht so auf dem Schirm, wie es angemessen gewesen wäre.

Mit dem Geschäftsführer des Vereins SchUM-Städte e.V. sprach Frank Olbert.

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