Interview

»Künstlerisches Handeln kann politisch wirkmächtig sein«

Der Regisseur Tobias Herzberg Foto: ©T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Herr Herzberg, heute beginnt in Berlin das dreitägige Festival jüdischer Gegenwartskünste »Transitions«, das von »Dagesh. Jüdische Kunst im Kontext« organisiert wird. Knüpfen Sie damit an das »Festival Jüdischer Literaturen« von 2019 an, das damals vom Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) veranstaltet wurde?
Ja, aber inzwischen hat sich Dagesh weiterentwickelt hin zu einem eigenständigen Programm der Leo Baeck Foundation, und wir haben auch das Konzept erweitert um wichtige pädagogische Elemente, beim Festival finden beispielsweise auch Workshops für Jugendliche und Kulturvermittler*nnen statt.

Angekündigt sind Künstler, Schriftsteller, Theatermacher. Sie sind Dramaturg und kuratieren zusammen mit Sasha Marianna Salzmann und Jo Frank einen Abend unter dem Motto »Literatur als politische Praxis«…
Ja, wir wollen unsere kuratorische Verantwortung erweitern und eine Art literarischen Staffellauf veranstalten. Dazu haben wir Künstler*innen eingeladen und sie gebeten, weitere Personen vorzuschlagen, die mit einem literarischen Videogruß anwesend sein werden. Als wir das Festival geplant haben, wussten wir noch nicht, ob es in Präsenz stattfinden kann. Deshalb haben wir das Festival – abgesehen von der Ausstellung, die Daniel Laufer kuratiert hat - von vornherein hybrid geplant. Wir werden Publikum am Holzmarkt haben und außerdem können sich Zuschauer*innen per YouTube zuschalten.

Worum geht es bei der Ausstellung?
Um jüdische Positionen und Erfahrungen an unterschiedlichsten Orten der Welt, um brennende Fragen unserer Gegenwart, aber auch um klassisch jüdische Themen wie Erinnerung, Familiengeschichte, Auseinandersetzung mit Schoa, Religion und Kultur.

Sie verwenden für den Abend am Donnerstag den Begriff »Wehrhafte Literatur«. Das klingt sehr politisiert. Was meinen Sie damit?
Das Motto lautet »Literatur als politische Praxis«. Wir haben bewusst kein Kriterium wie Identität gewählt, sondern wir wollten jüdische und nichtjüdische Autor*innen einladen, die ihr Schreiben als politische Praxis und ihr eigenes künstlerisches Handeln als wirkmächtig im politischen Kontext verstehen. Also nicht »Ich horche in mich und schreibe für mich«. Sondern deren Ziel ist, hineinzuwirken in die Gesellschaft. »Wehrhafte Literatur« bezieht sich auch auf den Begriff einer »Wehrhaften Demokratie«, die es versteht, sich gegen Angriffe, gegen ihre Feinde zu wehren. Das darf für die Kunst natürlich nicht zu einem reinen Reagieren werden, dass man sich nur noch über Angriffe und Infragestellung durch andere definiert.

Welche Angriffe meinen Sie?
Ich meine eine immer schärfer werdende politische Rhetorik, die Minderheiten und jüdisches Leben in Deutschland gefährdet. Ich meine die Rechtsextremen in unseren Parlamenten. Ich meine physische Angriffe mit antisemitischem und rassistischem Hintergrund, die wir seit Jahren erleben, nicht erst seit den Anschlägen von Halle und Hanau. Unsere These ist, dass künstlerisches Handeln diese Themen aufgreifen und somit politisch wirkmächtig sein kann.

Verurteilen Sie Schriftsteller, die sich nicht als politisch verstehen und ihr Schreiben als Selbstzweck oder als Methode der Lebensbewältigung sehen, ohne Anspruch, die Gesellschaft zu verändern?
Nein, überhaupt nicht. Jeder künstlerische Ausdruck und jedes künstlerische Selbstverständnis ist für mich legitim. Wir wollten für unser Festival einen künstlerischen Rahmen setzen, aber natürlich können die Künstler*innen ihn auch überschreiten. Ich bin mir sicher, dass einige derjenigen, die wir eingeladen haben, mit dem Schlagwort »Wehrhafte Literatur« gar nicht einverstanden sind. Zu diesem Thema hatten wir im Team viele produktive Debatten. Das ist auch etwas typisch Jüdisches, wie ich finde: Wir sind uns nicht in allem einig. Und das ist doch ein Sprungbrett für eine lebhafte Auseinandersetzung.

Das Interview führte Ayala Goldmann.

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  18.11.2025

Literatur

John Irvings »Königin Esther«: Mythos oder Mensch?

Eigentlich wollte er keine langen Romane mehr schreiben. Jetzt kehrt er zurück mit einem Werk über jüdische Identität und Antisemitismus

von Taylan Gökalp  18.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  17.11.2025

TV-Tipp

»Unser jüdischer James Bond«

Die Arte-Doku »Der Jahrhundert-Spion« erzählt die schillernde Lebensgeschichte des Ex-CIA-Agenten Peter Sichel, der seinerzeit den Ausbruch des Kalten Kriegs beschleunigte

von Manfred Riepe  17.11.2025

Miss-Universe-Show

Miss Israel erhält Todesdrohungen nach angeblichem Seitenblick

Auch prominente Israelis sind immer öfter mit Judenhass konfrontiert. Diesmal trifft es Melanie Shiraz in Thailand

 17.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  17.11.2025

Jubiläum

Weltliteratur aus dem Exil: Vor 125 Jahren wurde Anna Seghers geboren

Ihre Romane über den Nationalsozialismus machten Anna Seghers weltberühmt. In ihrer westdeutschen Heimat galt die Schriftstellerin aus Mainz jedoch lange Zeit fast als Unperson, denn nach 1945 hatte sie sich bewusst für den Osten entschieden

von Karsten Packeiser  17.11.2025

Aufgegabelt

Noahs Eintopf

Rezepte und Leckeres

 16.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025