Provenienzforschung

Kein Interesse an fairem Ausgleich

Container der Familie Wolff, Dannenberg 1938 Foto: Stadtarchiv Dannenberg (Elbe)

Im Nachkriegsdeutschland hat es offensichtlich keinen angemessenen Ausgleich für jüdische Umzugsgüter gegeben, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden.

Es habe kein Interesse an einem fairen Ausgleich gegeben, kritisierte am Donnerstag in Bremen die Provenienzforscherin Susanne Kiel vom Deutschen Schifffahrtsmuseum bei einem internationalen Symposium zum Umgang mit dem Umzugsgut jüdischer Emigrantinnen und Emigranten in europäischen Häfen. Sie habe in diesem Zusammenhang »ein heißes Schamgefühl«.

übersee Als mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939 das Auslaufen deutscher ziviler Schiffe nach Übersee unmöglich wurde und in der Folge bereits in die Hafenstädte transportierte Güter nicht mehr verschifft werden konnten, blieben auch die Umzugsgüter jüdischer Auswandererinnen und Auswanderer in den Schuppen der Häfen und der Speditionen liegen. In Bremen begannen die Gestapo und später die Oberfinanzdirektion, die Güter zu beschlagnahmen und öffentlich zu versteigern. Sie seien als »Nichtarier-Auswanderergut« bezeichnet worden, sagte Kiel.

In den Rückerstattungsverfahren hat die Oberfinanzdirektion die Werte heruntergespielt.

In den Rückerstattungsverfahren habe die Oberfinanzdirektion die Werte heruntergespielt, »auch Jahre und Jahrzehnte nach Ende des Krieges«, berichtete die Wissenschaftlerin am Beispiel Bremen.

aufbewahrungsfrist Überdies seien im Laufe der Jahre ganze Aktenbestände vernichtet worden, weil Aufbewahrungsfristen abgelaufen seien. Dadurch sei der Informationsfluss zum Verbleib der Güter versandet. Den betroffenen Familien aber »haben wir auch heute noch Rechenschaft abzulegen, was mit ihrem Besitz geschehen ist«, betonte Kiel.

In zwei vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten und am Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven angesiedelten Projekten werden sämtliche erhaltene Informationen zu diesen Vorgängen in Bremen und Hamburg recherchiert, analysiert und in einer Datenbank sichtbar gemacht. Auch in den Häfen von Triest, Genua, Rotterdam und Antwerpen wurde ähnlich wie in Norddeutschland das Umzugsgut jüdischer Emigranten beschlagnahmt und in öffentlichen Versteigerungen im Sinne der Nazis »verwertet«.

In Hamburg rechnet man insgesamt mit mindestens 3000 geschädigten jüdischen Familien, in Bremen mit 800 bis 1000.

händler Susanne Kiels Bremerhavener Kollegin Kathrin Kleibl schilderte im Verlauf des Symposiums an Beispielen von Kunstwerken aus Hamburger Haushalten das detektivische Geschick, das notwendig ist, um herauszufinden, wem die versteigerten Güter gehören und wohin sie gegangen sind. »Die Erschließung der Käufer erweist sich als sehr schwierig.« Es seien nicht nur Privatpersonen gewesen, sondern auch Händler, Museen und Bibliotheken.

In Hamburg rechne sie insgesamt mit mindestens 3000 geschädigten jüdischen Familien, in Bremen mit 800 bis 1000. »Das ist wirklich ein Fass ohne Boden.« Bremens Senatorin für Wissenschaft und Häfen, Claudia Schilling (SPD), betonte die Bedeutung der Provenienz-Forschungen für die aktuelle Politik. Sie rief dazu auf, »mit Aufklärung und Wissen Rechtsextremismus und Antisemitismus entgegenzutreten«. epd

Meinung

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Fall Samir

Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Nur nicht selbst beteiligen oder Tipps für den Mietwagen in Israel

von Ayala Goldmann  20.04.2024

Frankfurt am Main

Bildungsstätte Anne Frank zeigt Chancen und Risiken von KI

Mit einem neuen Sammelband will sich die Institution gegen Diskriminierung im digitalen Raum stellen

von Greta Hüllmann  19.04.2024