Medien

»Kräftig und gut genährt«

Der 15. Juli 1945 war ein sonniger Sonntag. Etwas zu warm, schon damals. Die amerikanische Militärregierung gibt in Frankfurt am Main bekannt, dass sie bereits 70.000 hohe Funktionäre des gerade besiegten NS-Regimes festgenommen hat. Eine stolze Leistung, aber man musste auch nicht lange suchen, es gab ja mehr als genug von ihnen.

An diesem Tag drückt ein unbekannter Fotograf, fast 3000 Kilometer Luftlinie entfernt in Haifa, auf den Auslöser seiner Kamera: Er knipst sieben Männer, zwei schauen dem Fotografen neugierig bei der Arbeit zu, die anderen blicken entschlossen nach vorn. Einer von ihnen hält eine Fahnenstange in der Hand mit der späteren Nationalflagge Israels, dem blauen Magen David auf weißem Grund. Die Männer, zwei von ihnen in schauriger KZ-Kluft, sind, so sagt es die Bildlegende, Überlebende von Buchenwald, die sich nach Palästina gerettet hatten, um wenig später wieder verhaftet zu werden, dieses Mal von den Briten. So weit, so bekannt, so wenig erfreulich.

Albtraum Nun schenkte dieser Tage ein Redakteur der Frankfurter Rundschau seine ganze Aufmerksamkeit diesem besonderen Foto. Eine schöne Idee zu »70 Jahre Kriegsende«, eine lose Folge von Erinnerungen vom Ende eines Albtraums und dem Beginn einer neuen Zeitrechnung. Aber das Bild erregte das Misstrauen des Kollegen: »Die Männer sehen kräftig und gut genährt aus.« Ertappt, sind ja gar keine Überlebenden!

Nun ist es so, dass die Befreiung Buchenwalds zum Zeitpunkt des Fotos schon drei Monate zurücklag. Vermutlich erwartet der Redakteur, der am liebsten »beim Picknick mit einer schönen Frau« ist, wie er seinen Lesern in einem Selbstporträt anvertraut, dass die Überlebenden für ihn und den Fotografen weiterhungern. Muss schon echt aussehen! Überhaupt, diese »kränkelnden Überlebenden«. Lästig sollen sie »den Aktivisten« gewesen sein, womit vermutlich jene gemeint sind, die verzweifelt um die jüdische Unabhängigkeit kämpften, ein »Ballast im anstehenden Kampf um die Gründung des Staates Israel«. Aber es gab damals bereits andere, die erkannten, »dass die von der Shoah Geretteten ein moralisches Faustpfand sein würden«.

Das ist nicht allzu weit entfernt vom Klassiker des geschulten Antisemiten: Die Juden haben nur Profit geschlagen aus der Schoa. Belege für solche Mutmaßungen führt der Kollege von der Frankfurter Rundschau nicht an. Wie auch? Es seien im Übrigen keine Gedankenspiele, sondern »Fakt«. Und so geraten die stolzen Männer auf dem Foto unter einen üblen Verdacht: keine echten Überlebenden, sondern nur so kostümiert und »tatsächlich Aktive der jüdischen Untergrundorganisationen«. Pfui. Deshalb war es dann nur folgerichtig, dass sie kurz nach dem Fotoshooting verhaftet wurden. Noch so ein »Fakt«.

»Propaganda« Aber der Kollege ist mit den Holocaust-Statisten noch nicht ganz fertig. Er rät seinen Lesern in diesem Zusammenhang, nicht auch noch auf das Drama Exodus hereinzufallen. Buch und Film würden heute angeblich mit gutem Grund nur noch »als übel oberflächliche Propaganda« wahrgenommen. Vermutlich hat die DDR deswegen Exodus auf dem Index gehabt – und nicht, weil der jüdische Staat für die Genossen bis kurz vor dem Mauerfall 1989 nicht existierte.

Dass die Männer auf dem stolzen Bild von den Briten wieder hinter Stacheldraht geschickt wurden, geht für den Autor der Frankfurter Rundschau freilich auch in Ordnung, weil es ein »hehres Anliegen« der Machthaber gewesen sei, Zusammenstöße zwischen Juden und Arabern zu verhindern. Und außerdem lautete der Straftatbestand »illegale Einwanderung«. Und da kennen wir Deutsche uns schließlich bestens aus.

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  01.12.2025 Aktualisiert

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Rache

»Trigger-Thema« für Juden

Ein Filmseminar der Jüdischen Akademie untersuchte das Thema Vergeltung als kulturelle Inszenierung

von Raquel Erdtmann  01.12.2025

Wuppertal

Schmidt-Rottluff-Gemälde bleibt in Von der Heydt-Museum

»Zwei Frauen (Frauen im Grünen)« von Karl Schmidt-Rottluff kann im Von der Heydt Museum in Wuppertal bleiben. Nach Rückgabe an die Erbin erwarb die Stadt das Bild von ihr. Vorausgegangen waren intensive Recherchen zur Herkunft

 01.12.2025

Dorset

»Shakespeare In Love« - Dramatiker Tom Stoppard gestorben

Der jüdische Oscar-Preisträger war ein Meister der intellektuellen Komödie. Er wurde 88 Jahre alt

von Patricia Bartos  01.12.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 30.11.2025 Aktualisiert

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025

Interview

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025