Sehen!

»Kleider machen Leute«

Szene aus der Uraufführung nach 112 Jahren Foto: Bernd Schönberger / Staatstheater Cottbus

Es ist total ungerecht und doch typisch für das Schicksal jüdischer Komponisten im 20. Jahrhundert: Eine melodisch und rhythmisch überwältigende Oper geriet über 100 Jahre in Vergessenheit, eben weil der Tonschöpfer jüdisch war. Doch ist es ein Glück, dass ausgerechnet Stephan Märki, Intendant des Staatstheaters Cottbus, mit seinem Team Alexander Zemlin­skys Kleider machen Leute in der Fassung von 1913 jetzt uraufgeführt hat. Zemlin­skys Lebensthemen, die Ausgrenzung als Jude und die Sehnsucht nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit, sind eingewoben in Märkis poetische, melancholische und doch unterhaltsame Regiearbeit.

Aufgewachsen auf der Wiener »Mazzeinsel« im 2. Bezirk, gehörte Zemlinsky, früh von Brahms gefördert, um die Jahrhundertwende zu den bedeutendsten Komponisten Wiens. Arnold Schönberg hat seinen Lehrer Zemlinsky verehrt. Doch dem fehlte jedes Talent zur Selbstvermarktung, und die Zeitläufte verhinderten jenen Erfolg, der seiner Kunst angemessen gewesen wäre. Er starb vereinsamt 1942 im New Yorker Exil. Sieben Opern hat Zemlinsky komponiert, Kleider machen Leute ist so genial wie bewegend.

Die Wut der Dorfbewohner entlädt sich wie ein Pogrom

Gottfried Kellers gleichnamige Novelle erzählt von dem armen Schneider Strapinski, der eine Reise unternimmt und von den Bewohnern des nächsten Dorfes wegen seiner feinen Kleidung für einen polnischen Grafen gehalten wird. Gleich zu Beginn besingt Strapinski seinen schönen dunklen Mantel und den hohen Pelzhut, vielleicht als Assoziation zum orthodoxen Habitus. Strapinski ist wie Zemlinsky der Suchende mit Künstlerseele und findet in der Amtsratstochter Nettchen Erfüllung.

Die Wut der Dorfbewohner, nachdem sie ihren eigenen Irrtum erkannt hatten, entlädt sich wie ein Pogrom. Nettchen rettet Strapinski im Schneesturm: »Kann ich schon keine Frau Gräfin sein, so werd ich Frau Meisterin.« Die Einflüsse von Mahler, Wagner, Debussy, Strauss und Dvoř̌ák ergeben unter der musikalischen Leitung von Alexander Merzin ein zärtlich romantisches Klangbild mit kleinen Widerhaken der Moderne. Das Ensemble präsentiert Märkis Einfühlungsgabe in die Träume und Nöte der Einzelgänger brillant und überzeugend.

Bis 13. Juli im Staatstheater Cottbus

Aufgegabelt

Plätzchen mit Halva

Rezepte und Leckeres

 05.12.2025

Kulturkolumne

Bestseller sind Zeitverschwendung

Meine Lektüre-Empfehlung: Lesen Sie lieber Thomas Mann als Florian Illies!

von Ayala Goldmann  05.12.2025

TV-Tipp

»Eigentlich besitzen sie eine Katzenfarm« - Arte-Doku blickt zurück auf das Filmschaffen von Joel und Ethan Coen

Die Coen-Brüder haben das US-Kino geprägt und mit vielen Stars zusammengearbeitet. Eine Dokumentation versucht nun, das Geheimnis ihres Erfolges zu entschlüsseln - und stößt vor allem auf interessante Frauen

von Manfred Riepe  05.12.2025

Köln

Andrea Kiewel fürchtete in Israel um ihr Leben

Während des Krieges zwischen dem Iran und Israel saß Andrea Kiewel in Tel Aviv fest und verpasste ihr 25. Jubiläum beim »ZDF-Fernsehgarten«. Nun sprach sie darüber, wie sie diese Zeit erlebte

 05.12.2025

Genf

Entscheidung gefällt: Israel bleibt im Eurovision Song Contest

Eine Mehrheit der 56 Mitgliedsländer in der European Broadcasting Union stellte sich am Donnerstag gegen den Ausschluss Israels. Nun wollen Länder wie Irland, Spanien und die Niederlande den Musikwettbewerb boykottieren

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann wird heute mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt. Bislang schwieg sie zur scharfen Kritik an ihrer Arbeit. Doch jetzt antwortete die ARD-Journalistin ihren Kritikern

 04.12.2025

Antisemitismus

Schlechtes Zeugnis für deutsche Schulen

Rapper Ben Salomo schreibt über seine Erfahrungen mit judenfeindlichen Einstellungen im Bildungsbereich

von Eva M. Grünewald  04.12.2025

Literatur

Königin Esther beim Mossad

John Irvings neuer Roman dreht sich um eine Jüdin mit komplexer Geschichte

von Alexander Kluy  04.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter, Imanuel Marcus  04.12.2025