Film

Kafka stirbt ein zweites Mal

Franz Kafka (Sabin Tambrea) und Dora Diamant (Henriette Confurius) im Liebesglück Foto: Majestic/ Christian Schulz

Seit fast 100 Jahren ist Franz Kafka tot. Seinen Todestag am 3. Juni 1924 haben sich Georg Maas und Judith Kaufmann zum Anlass genommen, Michael Kumpfmüllers Roman Die Herrlichkeit des Lebens über Kafkas letztes Lebensjahr als Film zu inszenieren. Jene Herrlichkeit erfuhr er wohl in einem Heilbad an der Ostsee. Denn hier lernt der tuberkulosekranke Franz Kafka die vitale polnische Jüdin Dora Diamant kennen und verliebt sich – vielleicht zum ersten, aber ganz sicher zum letzten Mal.

Auf dem Weg zwischen aufblühender Liebe und dem Dahinwelken Kafkas verfolgen wir die Meilensteine der Beziehung: ein erster Kuss zum Abschied, Beischlaf in blauer Nacht, die gemeinsame Wohnung, Kuscheln im Berliner Winter sowie ein Besuch des Freundes Max Brod und ganz viele Liebeshindernisse wie Kafkas Bluthusten, die frigide Vermieterin Kasulke und die mystische Präsenz einer berühmt-berüchtigten Autorität im Leben Kafkas: die seines Vaters. Der taucht zwar nie in Person auf, wohl aber am Telefon – eine permanente Drohung, die dem von Sabin Tambrea in seiner Gebrechlichkeit überzeugend dargestellten Kafka ordentlich zusetzt und ihn klein macht.

Diamants Liebe macht Kafka groß

Diamants Liebe dagegen macht Kafka groß. Forsch wie lieblich, hemdsärmelig und im jüdischen Volksheim anpackend, treibt die von Henriette Confurius etwas bieder gespielte Kommunistin und Schauspielerin den Autor immer weiter aus den Fängen des Vaters. Kafka rückt dabei nicht nur näher an seine Geliebte, sondern auch ans Judentum – an die Schönheit des Schabbats und des Hebräischen.

Gerade Letzteres erscheint als Love Language, mit der die »Ostjüdin«, wie Diamant sich bezeichnet, den vom Judentum entfremdeten Kafka aus dem Bann des Vaters, seinem Wort und Gesetz, kurzum vom Über-Ich befreit. Die ostjüdische Kommunistin, die den neurotischen Kafka mit Zitaten aus der Tora und Charleston-Tanz am Ostseestrand vom Vater löst – eine Perspektive, die vielleicht historisch nicht adäquat oder kulturell richtig ist, aber zumindest einen Einfall darstellt. Denn an solchen mangelt es dem Film.

Filme über das Leben von Kafka gibt es kaum, und das aus gutem Grund.

»Können Sie toter Mann?«, fragt Dora Franz, als beide in der Ostsee baden wollen. Franz kann toter Mann. Doch anstatt den toten Mann in Kafka zu inszenieren – das Schwinden des Vaters in der Liebe oder das Schwinden des Autors im Text –, begeht der Film einen oftmals begangenen Fehler in der Rezeption Kafkas. Er will Leben und Werk verschmelzen.

Biografie als Schlüssel zum Werk

Seine Biografie soll als Schlüssel zum Werk dienen, frei nach dem Motto: Wer leidet, der schreibt, oder durch den Film hinzugefügt: Wer liebt, der schreibt noch besser. Der Film illustriert das mit Beispielen. Auf die Begegnung mit Dora folgt Die Verwandlung, auf den zugigen Winter am Berliner Kachelofen Der Hungerkünstler, und der penetranten Vermieterin Kasulke scheint Die kleine Frau gewidmet zu sein.

Kafka-Verfilmungen wie Orson Wellesʼ Der Prozess oder Klassenverhältnisse von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet gibt es viele, und sie sind gut, wenn sie mit Kafka verfremden. Filme über das Leben von Kafka gibt es kaum, und das aus gutem Grund. Denn sie verfremden Kafkas literarische Texte zu biografischen.

Was aber Kafka auch 100 Jahre nach seinem Tod noch so bedeutungsvoll macht, sind dichte Bilder, die aus seinen Texten erstehen, ohne dass sie auf den Autor und sein Leben zurückprojizieren. Was Die Herrlichkeit des Lebens versucht, fällt eher in die Kategorie »der Autor privat«: Ein Film über Kafka, aber ohne Kafka.

Man fabuliert nicht, sondern zitiert Kafkas Texte nur. Der Film verdichtet nicht, er dichtet nur biografische Bedeutung an. Er bringt nicht Kafka nach 100 Jahren zurück zum Leben, er lässt ihn ein zweites Mal sterben.

Ab 14. März im Kino

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