Unterm Strich

JüdInnen mit großem I

Es war auf einem wissenschaftlichen Kongress. Ein Forschungsinstitut namens »gfs.bern« wurde erwähnt. Es betreibt empirische Sozialforschung, laut Eigenwerbung »auf verständliche Art«. Dazu zählt auch eine im Auftrag unter anderem des American Jewish Committee durchgeführte Studie: »Einstellungen der SchweizerInnen gegenüber Jüdinnen und Juden und dem Holocaust«.

splitting Der Titel enthält, was Linguisten »Splitting« nennen. Gemeint ist die »explizite Beidnennung der Geschlechter« als Alternative zum herkömmlichen »generischen Maskulinum«. Letzteres verwendet, wer zum Beispiel von »den Lesern« der Jüdischen Allgemeinen spricht. Das kann sich auf Leser ausschließlich männlichen Geschlechts ebenso wie auf weibliche und männliche Personen beziehen. Der Fachjargon nennt das »zweifaches Referenzpotenzial«. Entscheidend ist, dass die Geschlechtszugehörigkeit in diesem Kontext keine Rolle spielt – »Leser« also nicht als »männlichkeitsanzeigendes« Lexem verstanden wird. Ganz wie es im allgemeinen Sprachgebrauch üblich ist. Wenn von den Lesern der Jüdischen Allgemeinen die Rede ist, wissen die weiblichen unter ihnen, dass sie selbstverständlich mit angesprochen sind. Der Titel der Berner Studie hätte also auch problemlos lauten können »Einstellungen der Schweizer gegenüber Juden«, ohne damit weibliche Eidgenossen oder Töchter Israels auszugrenzen. Stattdessen war mal von »Juden und Jüdinnen« die Rede, dann wieder hieß es »Jüdinnen und Juden« oder »Jüdinnen und/oder Juden«, an anderer Stelle »Juden/Jüdinnen«. Hundertfach fanden sich diese Lesarten (aussprechen konnte man einige gar nicht.)

absurd Die absurdeste Variante hätte ich fast vergessen: »JüdInnen« mit großem Binnen-I. Sollten hier männliche Personen miterfasst sein, müssten es »Jüden« sein. Von denen las man zuletzt im 19. Jahrhundert, zum Beispiel in Fritz Reuters Ut mine Stromtid: »Und wissen Sie was Neues, meine Herrn, hab’ ich gesagt – der Herr Notorius und der Herr Pömüffelskopp und ich sünd drei Jüden.«

Henryk M. Broder hat 2008 in einem Artikel der Weltwoche diese Schreibweise, die vor rund 20 Jahren von der Berliner taz aus der Schweiz, von der dortigen linken Wochenzeitung WOZ importiert wurde, als das »große I der Idiotie« tituliert. In dem Artikel machte Broder auch auf eine weitere Absurdität des politisch korrekten Splittings aufmerksam. Bei offiziellen Feierlichkeiten zur Erinnerung an den Holocaust, war ihm aufgefallen, sei »routinemäßig von ›Juden und Jüdinnen‹ die Rede, damit niemand auf die Idee kommt, es seien nur männliche Juden in den Tod geschickt worden. Die sprachlichen Verrenkungen finden dort eine Grenze, wo es um ein sozial verwerfliches Verhalten geht. Spekulanten und Verbrecher bleiben exklusiv männlich, ebenso Antisemiten und Kinderschänder.«

Christoph Gutknecht ist emeritierter Professor für Englische Linguistik an der Universität Hamburg. Sein jüngstes Buch, »Von Treppenwitz bis Sauregurkenzeit. Die verrücktesten Wörter im Deutschen«, ist im C.H. Beck Verlag, München erschienen.

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  14.12.2025

Nachruf

Trauer um Hollywood-Legende Arthur Cohn

Arthur Cohn war immer auf der Suche nach künstlerischer Perfektion. Der Schweizer Filmproduzent gehörte zu den erfolgreichsten der Welt, wie seine Oscar-Ausbeute zeigt

von Christiane Oelrich  12.12.2025

Computerspiel

Lenny Kravitz wird James-Bond-Bösewicht

Als fieser Schurke will der Musiker im kommenden Jahr dem Agenten 007 das Leben schwer machen – allerdings nicht auf der Kinoleinwand

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

Aufgegabelt

Latkes aus Dillgürkchen

Rezepte und Leckeres

 12.12.2025

Kulturkolumne

Lieber Chanukka als Weihnachtsstress?

Warum Juden es auch nicht besser haben – was sich spätestens an Pessach zeigen wird

von Maria Ossowski  12.12.2025

Kommerz

Geld oder Schokolade?

Der Brauch, an den Feiertagen um Münzen zu spielen, hat wenig mit den Makkabäern oder dem traditionellen Chanukkagelt zu tun. Der Ursprung liegt woanders

von Ayala Goldmann  12.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Singend durch Paris oder Warum unser Chanukka-Song der beste ist

von Nicole Dreyfus  12.12.2025