Verschwörungstheorien

Im Spannungsfeld von Fakt und Fiktion

Eine Tasche mit der Aufschrift »Fake News« ist im Zusammenhang mit der Mondlandung der US-Amerikaner in der Ausstellung zu sehen. Foto: dpa

Ob Gift aus der Impfstoff-Spritze, die Lüge des Klimawandels oder die satirische Bielefeld-Verschwörung: Der Glaube an konspirative Theorien ist so populär wie nie. Und auch Fake News haben in Zeiten von Social Media Hochkonjunktur.

Das LWL-Landesmuseum für Klosterkultur Dalheim bei Paderborn taucht in seiner neuesten Ausstellung Verschwörungstheorien – früher und heute ein in die Geschichte der Verschwörungstheorien der vergangenen neun Jahrhunderte und zeigt deren Wirkung auf.

exponate In einer geheimnisvoll blau-violett gestalteten Ausstellungsarchitektur wandelt der Besucher durch lange Gänge des ehemaligen Chorherren-Stiftes. Eingerahmt von fließender, bedruckter Gaze werden rund 250 Exponate von internationalen Leihgebern mit gedämpftem Licht in Szene gesetzt.

»Verschwörungstheorien sind ein immer wiederkehrendes Phänomen«, sagt Museumsdirektor Ingo Grabowsky.

Vom Mittelalter bis zur Gegenwart zeigt sich im Spannungsfeld von Fakt und Fiktion ganz deutlich: »Verschwörungstheorien sind ein immer wiederkehrendes Phänomen«, sagt Museumsdirektor Ingo Grabowsky. Ziel der Ausstellung sei es, für das Thema zu sensibilisieren und zu zeigen, wie Verschwörungstheorien entstehen, funktionieren und wie man sie entlarven könne.

experten So ein emotionales Thema bietet Zündstoff: Bereits im Vorfeld der Sonderschau, die mit einer Million Euro zu Buche schlägt, hatte es einige kritische E-Mails und auch Unmut in Social-Media-Beiträgen gegeben. Das Museumsteam habe daraufhin ein Krisenszenario entwickelt, erzählt Grabowsky.

»Wir haben die Ausstellung und ihre Fakten unzählige Male von Experten prüfen lassen«, betont der Direktor und Geschäftsführer der Stiftung Kloster Dalheim. So erwartet die Besucher – Grabowsky rechnet mit 70.000 – eine sehr sorgfältig recherchierte Schau. Die Auswahl der Ausstellungsstücke reicht von alten Handschriften, Orden, Gemälden und Karikaturen bis hin zu Filmen.

Die Ausstellung zeigt, dass unsichere Zeiten die Popularität von Verschwörungstheorien begünstigen.

Die Ausstellung zeigt, dass unsichere Zeiten die Popularität von Verschwörungstheorien begünstigen. Über die Jahrhunderte suchten die Menschen nach Schuldigen für Krisen, Kriege und Katastrophen: Im Mittelalter galten Hexen und Juden als religiöse Minderheit als »Agenten des Teufels«, die angeblich christliche Kinder ermordeten, Hostien schändeten und Brunnen vergifteten.

Ordensgemeinschaften wie den Templern und später den Jesuiten ging es nicht besser – sie wurden der Ketzerei, Sodomie, Brandstiftung und Planung von Königsmorden verdächtigt und verfolgt.

REVOLUTION Die Freimauer und Illuminaten dienten ebenso wie die Templer als Fläche für Projektionen. Ihnen wurde im 18. Jahrhundert nachgesagt, mit einer »Weltverschwörung« die Französische Revolution herbeigeführt zu haben.

Als eine der wirkungsvollsten und nachhaltigsten konspirativen Theorien gelten die Protokolle der Weisen von Zion, die Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet wurden. 1903 erstmals gedruckt, skizziert der fiktive Text einen »jüdischen Weltherrschaftsplan«. In der Ausstellung im Klostermuseum Dalheim ist er nun zum ersten Mal in einem deutschen Museum ausgestellt.

Insbesondere Juden hatten über die Jahrhunderte immer wieder damit zu kämpfen, dass ihnen Verschwörungen unterstellt wurden.

sündenbock Insbesondere Juden hatten über die Jahrhunderte immer wieder damit zu kämpfen, dass ihnen Verschwörungen unterstellt wurden: Traten Krankheiten auf, so hatten sie angeblich die Brunnen vergiftet. Man warf ihnen vor, Hostien zu schänden, um so den Leib Christi erneut zu töten. »Hier traten oft wirtschaftliche Interessen im Vordergrund«, so der Historiker Grabowsky. Schließlich standen viele Zeitgenossen bei den oftmals wohlhabenden Juden in der Kreide. Und in gesellschaftlich unruhigen Zeiten war und ist es üblich, einen Sündenbock zu finden.

Beispiele für Verschwörungstheorien gibt es auch aus der jüngsten Vergangenheit: etwa die Mondlandung 1969. Von dem italienischen Schriftsteller und Philosophen Umberto Eco stammt das Bonmot, auch er könne nicht belegen, dass die Amerikaner die ersten auf dem Mond gewesen seien. Aber dass die Russen nicht versucht hätten, das Gegenteil zu behaupten, könne wiederum eine Art Beweis »ex negativo« für den Erfolg der US-Raumfahrt sein. In Dalheim kann jeder Besucher sich selbst ein Bild machen: In der Ausstellung steht alles bereit für ein Selfie auf dem Mond.

Eines der »interessantesten und schauderhaftesten Exponate«, wie Grabowsky es nennt, ist einer der verkohlten Aufzugmotoren aus dem zerstörten World Trade Center. Welche Verschwörungstheorien sich um den Terroranschlag vom 11. September 2001 ranken, etwa die Beteiligung des amerikanischen und israelischen Geheimdienstes – auch das wird in der Ausstellung erklärt. Und sie greift auf, wie solche Theorien überhaupt zustande kommen.

Auch in demokratischen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts haben die kruden Theorien nichts von ihrer Faszination verloren.

nationalsozialismus Dass Verschwörungstheorien besonders in totalitären Systemen wie im Nationalsozialismus und in der ehemaligen Sowjetunion unter dem Diktator Josef Stalin aufblühten, überrascht nicht. Aber auch in demokratischen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts haben sie nichts von ihrer Faszination verloren.

So existieren nach wie vor Theorien, dass die Mondlandung der US-Amerikaner im Jahr 1969 lediglich im Studio gefilmt wurde oder dass die Anschläge auf das World Trade Center von der US-Regierung und deren Auslandsgeheimdienst CIA inszeniert wurden. Die Schau schlägt die Brücke zum Heute, indem sie unter anderen auf die Chemtrail-Bewegung aufmerksam macht, die in den Kondensstreifen am Himmel Vergiftungen der Bevölkerung vermutet.

Filmbeiträge und Bücher beschäftigen sich in der Ausstellung außerdem mit den sogenannten Reichsbürgern, die die Bundesrepublik Deutschland als Staat und deren Grundgesetz nicht anerkennen. Museumsdirektor Grabowsky warnt davor, die krude Thesen von rechtsextremen Bewegungen wie dieser als absurd und lächerlich abzutun: »Wir halten sie im Gegenteil für brandgefährlich, zeigt es doch, wie das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Eliten verloren gegangen ist.«

Stiftung Kloster Dalheim, LWL-Landesmuseum für Klosterkultur, Am Kloster 9, Lichtenau, bis 22. März 2020, geöffnet Di bis So von 10 bis 18 Uhr

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