Berlin

Im Licht des Sonnengottes

Dreimal hat der amerikanisch-jüdische, inzwischen zum Buddhismus übergetretene Komponist Philip Glass (Jahrgang 1937) entscheidende Momente der Menschheits- und Geistesgeschichte zu einer Oper verdichtet: die Entdeckung der Relativitätstheorie durch Albert Einstein (Einstein on the Beach, 1976), Mahatma Gandhis Politik des gewaltlosen Widerstandes (Satyagraha, 1980) und Echnaton (1984) über den Pharao, der im Ägypten des 14. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung kurzzeitig den Monotheismus einführte – im Sinne eines obersten und alleinigen Sonnengottes »Aton«, den er als seinen »himmlischen Vater« bezeichnete und als dessen Stellvertreter auf Erden er sich verstand.

Philip Glass gehört zu den Begründern der »Minimal Music«, die mit ihren eingängigen, sich ständig wiederholenden und verändernden Dreiklangfolgen die Gegenwartsmusik revolutioniert hat – und in seinem Fall auch die Gattung der Oper.

Denn Glass verzichtet auf traditionelle Handlungsführung, schafft vielmehr mit Solo-Arien, Duetten, Chören und Tanzeinlagen Stimmungen und Momente, die bei Echnaton durch kurze Erzählpausen abgelöst werden. Sie vermitteln, was es mit den größtenteils auf Altägyptisch, Altakkadisch und kurz auch Hebräisch gesungenen Gesangstexten auf sich hat (Letzteres bezieht sich auf den Anfang des 104. Psalms, in dem Glass einen Bezug zu einem Aton-Hymnus zu erkennen glaubt).

Aufstieg und Fall eines Pharaos

Zu sehen ist der Aufstieg und Fall eines Pharaos, der mit seinem erhalten gebliebenen Sonnengesang an Aton dichterische Qualitäten bewies, eine kurzzeitige Kunstrevolution, eine Art »ägyptischen Expressionismus«, auslöste und außerdem eine neue Stadt aus dem Wüstenboden stampfen ließ. Mit herrlichen Fresken, die »Sonnenaltäre« mit frischen Lebensmitteln abbilden. Und mit Arbeitergräbern, deren Knochen zeigen, dass die Erbauer unterernährt und überarbeitet zugrunde gingen.

So ist wenig verwunderlich, dass schon Echnatons Sohn – der durch seine unberührte Grabstätte bekannte Tutanchamun – das Land wieder zur alten Vielgötterei zurückgeführt hat, während sein Vater der »damnatio memoriae« anheimfiel, was bedeutet, dass Echnatons Name, wo immer möglich, ausgemeißelt und alle Erinnerungen an ihn tunlichst vernichtet wurden.

Was blieb, waren die verlassenen Ruinen seiner neuen Hauptstadt »Achet-Aton«, dem späteren Amarna (300 Kilometer südlich von Kairo), wo man Anfang des 20. Jahrhunderts bei der vom jüdischen Berliner Kunstmäzen James Simon finanzierten Grabung die berühmte Büste der Nofretete entdeckte, die heute die Hauptattraktion des Ägyptischen Museums in Berlin darstellt.

Der australisch-jüdische Regisseur Barrie Kosky stellt die Musik von Philip Glass in den Mittelpunkt.

Echnaton gehört zu den faszinierendsten Königsfiguren der altägyptischen Geschichte. In Thomas Manns Joseph-Tetralogie ist er der Pharao, dem Joseph die Träume deutet und der Jakob und seine Söhne nach Ägypten einlädt, wobei der Schriftsteller Wert darauf legt, zwischen Echnatons Atonsreligion und der lebendigen jüdischen Gottesauffassung bei allen Parallelen klar zu unterscheiden.

Der australisch-jüdische Regisseur Barrie Kosky, der als Intendant die Komische Oper Berlin weltbekannt gemacht hat, stellt die Musik von Philip Glass in den Mittelpunkt.

Echnatons Ehefrau Nofretete trägt dunkle Abendrobe

»Ägyptisch« ist nur die Strenge, mit der die in heutige schwarze Anzüge gekleideten Darsteller agieren (Kostüme: Klaus Bruns), von denen sich die drei Hauptfiguren abheben: die historisch als wichtige politische Akteurin verbürgte Echnaton-Mutter Teje im eng anliegenden silbernen Abendkleid (die irische Sopranistin Sarah Brady), Echnatons Ehefrau Nofretete in dunkler Abendrobe (die deutsche Mezzosopranistin Susan Zarrabi), und Echnaton selbst in ausladenden Königsroben mit langer Rastazopf-Perücke, hinreißend gesungen vom afroamerikanischen Countertenor John Holiday.

Die Protagonisten werden von einem starken Chor und einer Ballett-Truppe unterstützt, eine einheitlich gekleidete Menschenmenge, die ebenso gut singen wie tanzen kann.

Die Bühne (Bild und Licht: Klaus Grünberg) ist ein leuchtend weißer, abstrakter, zeitlos erscheinender Raum, der vom Licht von Echnatons Sonnengott bestimmt wird – als wechselnde Stimmung oder als bedrohliches Scheinwerfergestell, das durch die sich unvermittelt öffnende Decke dringt und die Darsteller bis zum Bühnenboden platt drückt. Oder als freundlich strahlende Leuchtkugeln, die der Chor während des Liebesduetts des Königspaars hin und her schwenkt.

So entstehen nacheinander verschiedene Tableaus: eine altägyptisch gesungene Begräbniszeremonie für Echnatons königlichen Vater, bei der sich ein heutiger Leichenwagen langsam und feierlich um die eigene Achse dreht; sich immer aggressiver steigernde Dreiklänge, die zur Zerstörung eines Götzentempels führen; der Sturz des Pharaos, der vom wütenden Chor mit Fußtritten an den vorderen Bühnenrand gerollt wird.

In Thomas Manns Tetralogie ist Echnaton der Pharao, dem Joseph die Träume deutet.

Der Amerikaner Jonathan Stockhammer dirigiert so überzeugend, dass man vergisst, was die höllisch schwere Partitur mit ihren abstrakten, auswendig zu lernenden Sprachlauten und immer ähnlichen, aber sich ständig verändernden Klangfiguren den Sängern und Musikern abverlangt.

Doch Echnatons Sturz ist nicht das Ende dieses grandiosen Opernabends. Vielmehr wechselt das Geschehen in einem letzten Bild in die Gegenwart. Während eine Erzählstimme aktuelle Tipps zur Besichtigung der Ruinen der zerfallenen Echnaton-Stadt gibt, singen Teje, die Königsmutter, Echnaton, der Pharao und die Königin Nofretete im Zuschauerraum vom Rang herab, in strahlendes Weiß gekleidet, tröstliche Tonfolgen.

Irdische Macht mag vergänglich sein, Herrscher können fehlgehen und stürzen; unzerstörbar ist und bleibt, auch nach Jahrtausenden, die Idee.

Weitere Vorstellungen finden am 11., 18. und 20. April statt.

Hans-Jürgen Papier

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