Fran Lebowitz

Ich meckere, also bin ich

New Yorker Original: die Autorin Fran Lebowitz Foto: © 2020 Netflix, Inc.

Wenn Fran Lebowitz ein Wochentag wäre, dann wäre sie bestimmt ein Montag. So ein verregneter, grummeliger Montag, der sich selbst am liebsten wieder die Bettdecke über den Kopf ziehen würde. Aber so wie Montage auch oftmals noch besser werden können, so verwandelt Fran Lebowitz ihren Frust – glücklicherweise für uns – in ihren einmaligen Humor, sodass gleich alle etwas davon haben. Geteiltes Leid ist immerhin halbes Leid.

Modell Nun können viele dieses Leid teilen, denn bei Netflix ist seit vergangener Woche Pretend It’s a City zu sehen. Eine siebenteilige Doku, in der kein Geringerer als Martin Scorsese Fran Lebowitz interviewt. Die beiden haben sich für die Doku unter anderem im »The Players«, einem traditionellen Gentlemen’s Club in Manhattan, getroffen und waren für ihre Interviews im Queens Museum, in dem Lebowitz, der Wahl-New-Yorkerin, die Stadt zu Füßen liegt.

Das Duo Scorsese und Lebowitz hatte sich schon einmal zu einer ähnlichen Begegnung zusammengefunden, nämlich in Scorseses Public Speaking (2010), der sich – genauso wie Pretend It’s a City jetzt – ganz und gar der Frau Fran Lebowitz widmet. Auch damals meckerte sich Lebowitz durch New York, und heute, elf Jahre später, tut sie es wieder. In sieben Kapiteln denkt sie laut über Themen wie Haushalt, Kultur, Sport und Gesundheit und – ihr Dauerbrenner – den Straßenverkehr nach. Mal davon abgesehen, dass Lebowitz nach eigener Aussage zu allem eine Meinung hat: Mit dem öffentlichen Nahverkehr im Big Apple verbindet sie eine besondere Liebe.

L-Train Die Anekdote über die Wiederinbetriebnahme des L-Trains, dessen Service einmal für mehrere Stunden wegen eines üblen Geruchs unterbrochen war, kommentiert sie lakonisch: Natürlich sei der Gestank nach fünf Stunden verschwunden, es waren ja auch keine Passagiere mehr in der U-Bahn. Lebowitz könnte die Social Media Accounts der Berliner Verkehrsbetriebe übernehmen, die Schnodderigkeit dazu hätte sie.

War Frances Ann Lebowitz, die 1950 in Morristown in New Jersey zur Welt kam, wohl als Kind auch schon so? Ihre Mutter, erzählt sie in einer Episode, habe sie immer punkt halb acht abends ins Bett geschickt, weil sie vom Geplapper ihrer Tochter die Nase voll gehabt haben soll. Dieser Effekt stellt sich in Pretend It’s a City zuweilen auch immer mal wieder ein. Denn es gibt eben nur eine bestimmte Menge an »Uhm, so, you know«, die am Stück zu ertragen ist.

Aufhellenderweise ist die Doku von vielen Clips über das New York, wie es früher und noch früher einmal gewesen sein muss, unterbrochen. Zudem gibt es Ausschnitte aus Talkshows, in denen sich Lebowitz mit dem Schauspieler Alec Baldwin oder dem Regisseur Spike Lee unterhält, und Szenen, in denen die heute 70-Jährige einfach nur so durch New York läuft – in ihrem sehr eigenen Look: in der Mitte gescheiteltes halb langes Haar, Sonnenbrille, langer schwarzer Mantel, eine weiße Hemdbluse, ein etwas zu großes Jackett, Jeans und klobige Cowboystiefel. Nicht zu vergessen: die ockerfarbenen Handschuhe in der Brusttasche.

Fran-Look Dieser Fran-Look hat sich in den vergangenen Jahren fast nicht geändert. Als junge Frau in New York, die für das »Interview«-Magazin von Andy Warhol Kolumnen schrieb und mit den Essaysammlungen Metropolitan Life und Social Studies zwei Bücher veröffentlichte – später kam mit Mr. Chas and Lisa Sue Meet the Pandas noch ein Kinderbuch dazu, denn Kinder kann sie gerade noch so aushalten –, trug sie die Hemdblusen-Jeans-Kombi manchmal auch mit einem Pullover, der sie zum Beispiel auf dem Cover des »Outside«-Magazins ein wenig wie Oscar Wilde aussehen lässt. Die Kunst jedenfalls, Menschen zu beobachten und ihnen ihr seltsames Benehmen vor Augen zu führen, die hat Lebowitz mit Wilde – wie die Liebe zum Lesen – gemein.

In der letzten Episode von Pretend It’s a City geht es um die Leseleidenschaft von Lebowitz. Über 10.000 Bücher soll sie besitzen, weshalb sie so schwer ein Apartment findet, denn sie kann sich von keinem der Bücher trennen. Außerdem findet sie es grausam, abscheulich wäre untertrieben, dass am Times Square – den sie hasst, aber zu dem es sie trotzdem immer wieder hinzieht, denn irgendwie muss sie sich ja aufregen – Bücher verkauft werden. Wer tut so etwas den Büchern an?

Taxi Ganz gleich aber, ob Lebowitz über Touristen, über Taxifahrer – sie saß selbst in jungen Jahren hinterm Steuer – oder über Menschen mosert, die den ganzen Tag auf das Smartphone starren, einer lacht immer: Martin Scorsese.

Der Regisseur scheint ihr größter Fan zu sein. Nicht umsonst hat er ihr wohl über 200 Minuten Zeit gewidmet. Und Netflix scheint wiederum ein Fan von Scorsese zu sein, denn sie gaben ihm so viel Raum – und das alles für Gemeckere. Da gibt‹s nichts zu meckern!

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