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Anne Frank

»Ich habe es erst später begriffen«

Anne Frank (1929–1945) Foto: dpa

Anne Frank

»Ich habe es erst später begriffen«

Autoren, Journalisten und Musiker über ihre erste Begegnung mit dem Tagebuch des jüdischen Mädchens

von Philipp Peyman Engel  12.06.2019 05:51 Uhr

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Am 12. Juni wäre Anne Frank 90 Jahre alt geworden. Wir haben jüdische Prominente gefragt, was sie mit dem Mädchen verbindet.

»Ich glaube an das Gute im Menschen«

Irgendjemand sagte mal, ich sähe aus wie sie, ich weiß nicht, ob das ein Kompliment oder eine sachliche Feststellung sein sollte, und auch nicht mehr, ob mir bewusst war, dass viele jüdische Mädchen so aussehen wie sie: diese Locken, schwer zu bändigen, dieser Blick. Es freute mich jedenfalls sehr, es war ein Kompliment. Ich wäre gerne so wie sie, dachte ich damals, 12, 13, 14 Jahre alt; ich begann, Tagebuch zu schreiben, gab dem Tagebuch ebenfalls einen Namen, hielt einen, zwei, höchstens vier Tage durch, dann langweilte es mich, das ans Papier gerichtete Schreiben. An meiner Pinnwand hängt seitdem diese Postkarte mit einem Zitat von Anne Frank: »Ich glaube an das Gute im Menschen.«

Lena Gorelik (Schriftstellerin)

 

»Ganz tief in mir verankert«

Ich war in der sechsten Klasse der Konkordia-Grundschule in Berlin-Spandau, als ich mit meiner Schulklasse eine Ausstellung über Anne Frank besuchen musste. Es war ein ziemlich warmer Tag, und meinen Klassenkameraden und mir war nicht so recht nach Ausstellung, sondern eher nach kalter Cola und einem Fußballmatch am Burgwall. Gemeinsam mit meinen zwei besten Freunden schwänzten wir den zweiten Teil der Führung. Erst Jahre später fing ich an zu begreifen, wie viel mich mit Anne Frank und dem gelben Stern, der in der Ausstellung unübersehbar war, verbindet. Anne Frank war somit die erste Jüdin, der ich in Berlin »über den Weg lief«. Sie und ihr Schicksal sind ganz tief in mir verankert.

Arye Sharuz Shalicar (Publizist)

 

»Unausweichlich«

Als ich Kind war, hieß es: Und dann brach die dunkle Nacht des Faschismus an. Aus dieser Dunkelheit erhob sich die sächselnde Stimme meiner nach dem Krieg wiedergefundenen Tante Fofi, die meine Mutter und ich in Erfurt besuchten, wo sie in einer kleinen Neubauwohnung ihrem Wellensittich aufmunternd »Putzi, Putzi, Putzilein« zurief und dann, von Dr. Mengele begeistert, wegen seiner gut sitzenden Breeches, erzählte, wie er in der Krankenbaracke – wo sie, wie die anderen Häftlinge, nackt vor ihm stand – in die Hände klatschte und rief: »So, meine Saras und meine Israels!« und mit seinen Handbewegungen selektierte. Auf diese Weise mit dem Thema infiziert, konnte ich nie mehr »unbefangen« sein. Später, als Erwachsener, habe ich das Tagebuch der Anne Frank gelesen, aber seltsam unberührt wieder weggelegt. Es war für mich unmöglich, die Klarheit des Tons, den Glauben an Zukunft, der aus jeder Zeile kam, an mich heranzulassen; schien mir doch unausweichlich ihr Schicksal am Ende, was sie mit meiner Oma, die ich nie kennengelernt hatte, teilte. Unausweichlich.

André Herzberg (Musiker)

 

»Es gab eine Zeit, da wollte ich nichts mehr von ihr wissen«

Anne Frank wäre dieses Jahr 90 geworden, ist zurzeit überall zu lesen. Das ist unmöglich, denn sie ist und bleibt dieses zarte, schwarz gelockte junge Mädchen, das in die Kamera lächelt. Unsere früh verstorbenen Toten, sie bleiben ewig jung. Aber Anne Frank ist noch mehr: Sie ist irgendwie alterslos. Ich habe sie geliebt, als ich in ihrem Alter war, dann mein großer Sohn, und vor Kurzem entdeckte der Kleine sie für sich und weinte still in seinem Zimmer, ihr Tagebuch lesend. Es gab jedoch eine Zeit, da wollte ich nichts mehr von ihr wissen. Ihr Schicksal wurde stilisiert: »Schau, auch eine Jüdin im Versteck kommt in die Pubertät, kann sich verlieben, so kurz vor dem Abgrund ... Spiel mal die Anne Frank, du siehst so aus ...« Anne Frank hat auch das mit Würde überstanden. Ich sehe inzwischen eher wie Sigmund Freud aus, Anne Frank aber hat ein neues Museum in Mitte bekommen, während sie noch immer zart in die Kamera schaut und Generationen von jungen Menschen mehr über die Schoa erzählt als jedes Geschichtsbuch.

Adriana Altaras (Schauspielerin)

 

»In den Bann gezogen«

Bei Anne hieß es: »Liebe Kitty«. Bei Zlata hieß es: »Liebe Mimmy«. Ein Buch, das mich als Teenager in den Bann gezogen und mir einen Krieg in nur zwei Flugstunden Entfernung vor Augen geführt hat, war das Tagebuch der 13-jährigen Zlata Filipovic, die im eingekesselten Sarajewo 1991 bis 1993 ihre Erlebnisse und Empfindungen niedergeschrieben hatte, ganz ähnlich wie Anne Frank. 1995 wurde es als Buch veröffentlicht. Vielleicht hat Zlata sich Anne zum Vorbild genommen. Verkehrt ist daran nichts. Das Mädchen, das unter Dauerbeschuss um sein Leben fürchtete, hat vielleicht ein bisschen Trost aus der Vorstellung gezogen, dass seine Erinnerungen in fernen Ländern gelesen werden würden. Auch das ist eine Wirkung der Weltliteratin Anne Frank.

Ronen Steinke (Journalist und Buchautor)

 

»Selbstbewusst und scharfsinnig«

Das Foto des lächelnden, hübschen Mädchens, mit den dunklen Haaren und den braunen Augen, das man sofort vor Augen hat, wenn man den Namen Anne Frank hört, hat mich, obwohl sie darauf lächelt, natürlich immer umso trauriger gestimmt. Beim Lesen ihres Buchs lernen wir jedoch ein sehr selbstbewusstes und scharfsinniges Mädchen kennen. Der Einblick in ihre Gefühlswelt und dass sie sich trotz der tragischen Umstände und ihres Schicksals mit den Problemen eines »normalen« Mädchens herumplagte, ist für Jugendliche jeder Generation und egal welcher Herkunft nachvollziehbar. Um ihrem Andenken gerecht zu werden, müssen junge Menschen heute, genau 90 Jahre nach ihrer Geburt, über die Art und Weise und Bedeutsamkeit des Gedenkens von morgen nachdenken.

Ariella Chmiel (Literaturhandlung)

 

»Bis heute unerträglich« 

Es ist dieses Lachen, dieses ganz besondere »Anne-Lachen«, das ich als Erstes vor mir sehe, wenn ich an Anne Frank denke. Ein offenes, ein unbeschwertes, ein selbstbewusstes Lachen. Das Lachen eines Mädchens, das geliebt wird und darauf vertraut, dass das Leben noch viele wunderbare Überraschungen bereithält. Das Lachen eines Mädchens, das ich zur Freundin haben wollte. Wann ich Annes Tagebuch zum ersten Mal gelesen habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich sehe das lachende Mädchen auf dem Einband vor mir, das genauso mit dem Unverständnis der Erwachsenen kämpfte wie ich, und schon nach wenigen Seiten hatte ich das Gefühl, sie schreibe nicht an Kitty, sondern an Esther, an mich. Unerträglich war der Tod meiner Freundin – und ist es bis heute.

Esther Schapira (Journalistin)

 

»Ich bewunderte das Mädchen« 

Mit zwölf Jahren hatte ich Anne Franks Tagebuch in einer Zweigstelle der Wiener Städtischen Büchereien entliehen. Das Buch war, wie man an der Zahl der Friststempel erkennen konnte, nur selten entliehen worden. Es erschütterte mich – besonders jene Stellen, in denen die Angst und die Einsamkeit der Autorin im besonderen Maße spürbar waren. Ich bewunderte das Mädchen – für ihren Mut, ihr Durchhaltevermögen, für ein Tagebuch, das großartig geschrieben war und nie langweilig wurde. Wäre ich nur eine Generation älter, müsste auch ich mich verstecken oder wäre an dem Ort, an dem ich lebte, ermordet worden. Darüber und über Anne Franks Tagebuch versuchte ich, mit meinen Mitschülern zu reden. Dies war keine gute Erfahrung.

Vladimir Vertlib (Schriftsteller)

 

»Nie wieder!« 

Jeder Tag ein Gedenktag heißt Simon Wiesenthals erschienene Chronik jüdischen Leidens. Es ist das Buch, das nach dem Lesen des so wichtigen Tagebuches von Anne Frank folgen muss und die ganze Dimension der Verbrechen und des Massenmords darstellt. Mit Simon Wiesenthal und vielen anderen hat mein Vater dieses Leiden dokumentiert, in 24 Filmen – eine Reihe, die ich weiter fortführe, aus Überzeugung. Mit Simon Wiesenthal sind wir die Anwälte nicht nur der Opfer geworden, sondern auch für jene, die überlebt haben. Wir können an ihren Beispielen für die Zukunft lernen, was wir längst wissen und viel zu leise einfordern: Nie wieder!

Alice Brauner (Produzentin)

 

»Die Mauer des Schweigens öffnete sich« 

Das Tagebuch der Anne Frank war eines der ersten Bücher, die ich las. Ich fand es in der Bibliothek meiner Eltern. Einige Fotos zeigten Verhaftungen, Deportationen von Menschen, die allesamt einen Stern auf der Brust trugen, auch Kinder in meinem Alter, und ich fragte, damals fünf- oder sechsjährig, was der Stern bedeute. Ich bohrte so lange, bis ich erfuhr, dass auch meine Großmutter ins KZ deportiert worden war, wie Anne Frank und Millionen andere Juden. Es war das erste Mal, dass meine Eltern überhaupt zu mir »darüber« sprachen. Das ist für mich immer mit dem Namen Anne Frank verbunden: wie sich durch sie die Mauer des Schweigens öffnete.

Chaim Noll (Schriftsteller)

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