Assaf Gavron

»Ich habe ein europäisches Herz«

Der Autor spricht über sein Buch »Achtzehn Hiebe«, überqualifizierte Taxifahrer und Israels Einzigartigkeit

von Katrin Richter  30.07.2018 20:18 Uhr

»Die Realität ist zu stark, und wir können sie nicht ignorieren«, sagt der Schriftsteller Assaf Gavron. Foto: Gregor Zielke

Der Autor spricht über sein Buch »Achtzehn Hiebe«, überqualifizierte Taxifahrer und Israels Einzigartigkeit

von Katrin Richter  30.07.2018 20:18 Uhr

Herr Gavron, die Hauptfigur Ihres neues Buches »Achtzehn Hiebe« ist Taxifahrer. Sind Sie in Berlin schon Taxi gefahren?
Ja, aber eigentlich mag ich eher den öffentlichen Nahverkehr in Städten und nutze ihn auch. Aber vom Flughafen in die Stadt habe ich mir ein Taxi genommen, weil es schnell gehen musste. Vorhin allerdings habe ich mir zum ersten Mal eines dieser Leihräder gemietet. Die gibt es zwar auch in Israel, und ich habe mich dafür bereits angemeldet, aber sie bislang nie benutzt, weil ich mein eigenes Fahrrad habe. Aber zurück zum Taxifahren: Das ist in Israel ein spezielles Erlebnis.

Weshalb?
Ich will nicht alle Taxifahrer über einen Kamm scheren, aber sie haben eine starke Meinung, sie sind interessante Charaktere, und sie reden gern. Sie kommen sehr schnell auf sehr Persönliches zu sprechen und reden viel über Politik. Viele von ihnen haben einen richtig guten Humor. Taxifahrer sind die perfekten Figuren für ein Buch. Sie sind – wenn man so will – kleine Psychologen, besitzen Menschenkenntnis und können Geschichten erzählen.

Ist Eitan Einoch, der Taxifahrer in Ihrem Buch, so eine Art »Best of« der Taxifahrer, die Sie getroffen haben?
Nicht unbedingt. Er steht für den einen Fahrer, den ich in seinem Taxi begleiten durfte. Wir haben viele Touren zusammen gemacht, und ich habe ihm vorher erzählt, dass ich für mein Buch recherchiere. Dieser Fahrer hatte eine sehr umfassende Allgemeinbildung. Und wie Eitan war dieser Fahrer eigentlich auch überqualifiziert für seinen Job. Viele Weisheiten, die Eitan in dem Buch von sich gibt, sind durch diesen einen Fahrer inspiriert.

»Achtzehn Hiebe« versetzt uns zurück in die Zeit des Britischen Mandats. Wie präsent ist diese Zeit heute noch in Israel?

Ich würde nicht sagen, dass man sie vergessen hat. Menschen befassen sich nur nicht so intensiv damit, denn Geschichte passiert eigentlich immer. Jedes Jahr, jeden Tag, jede Minute. Und darüber machen sich Menschen Gedanken. Sie blicken auf die geschichtlichen Ereignisse zurück, die das Heute prägen, und sprechen über den Sechstagekrieg 1967, mit dem die Besatzung begann, den Jom-Kippur-Krieg 1973 oder auch den Unabhängigkeitskrieg 1948. Vergessen ist diese Zeit des Britischen Mandats also nicht.

Warum haben Sie sich bei Ihrem Buch gerade für diese Zeit entschieden?
Ich wollte einen neuen Blick auf die Mandatszeit werfen. Die allgemeine Wahrnehmung ist die: Es gab dieses Mandat der Briten, sie ließen die Schoa-Überlebenden nicht ins Land, sie erlaubten den Arabern, dieses und jenes zu tun, die Briten waren schrecklich, wir haben gegen sie gekämpft, wir haben gewonnen, sie gingen, und wir hatten den Staat. Soweit der Mythos. Was mir aber daran fehlt, ist, etwas Respekt für die Briten zu zeigen. Sie waren über 31 Jahre dort. Und die Tatsache, dass Israel ein moderner und westlicher Staat in einer Region ist, die alles andere als westlich ist, hat mit der Anwesenheit der Briten zu tun. Sie haben die Grundlagen für die Straßen und die Bahnen gelegt, und sie haben das Justizsystem mitgebracht. Dies zum Thema zu machen, war nicht mein Hauptanliegen für dieses Buch, aber vielleicht habe ich mich trotzdem dafür entschieden, weil ich selbst Brite bin und sowohl eine britische als auch eine israelische Seite in mir habe.

Wie blicken Sie als Israeli auf Europa und wie als Europäer auf Israel?
Ich habe ein europäisches Herz. Meine Eltern sind Briten, und unser Zuhause war sehr britisch geprägt. Ich habe in London gelebt und auch in Berlin. Meine Bücher werden in Europa veröffentlicht, und ich bin sehr oft hier. Vieles ist mir hier vertraut. Israelis mögen das europäische Wetter und die Art, wie Dinge hier funktionieren und wie sie organisiert sind. Nicht alles natürlich. Es gab schreckliche Kriege, es gibt heute noch viel Rassismus. Aber Europa ist unser Ideal, nach dem wir streben – allerdings auch nicht jeder. Es gibt viele, die die arabische Seite Israels mögen, den Mix und die daraus entstehende Einzigartigkeit. Ich mag auch die nichteuropäische Seite an Israel. Seit ein paar Jahren ist mir aber bewusst, dass ich nicht nach Europa oder in die USA auswandern würde. Israel ist der einzige Ort, an dem ich mich vollkommen zu Hause fühle.

Wenn es um Wettbewerbe wie den Eurovision Song Contest oder um Sportliches geht, gehört Israel zu Europa. Sollte es auch sonst dazugehören?
Es ist so ein Grenzfall: Israel ist nicht weit entfernt. Von Zypern fliegt man gerade einmal eine halbe Stunde. Und bei den Wettbewerben gehören wir zu Europa, aber wir sind nicht Europa. Wir sind ein Land im Nahen Osten mit britischen Wurzeln, mit deutschen Wurzeln. Und irgendwie mag ich diese Einzigartigkeit. Es ist eben kein Teil von Europa. Es ist eben kein Teil von Afrika, und es ist auch kein Teil des arabischen Ostens. Es ist in der Mitte. Und daraus entstehen viele Konflikte. Aber unsere Identität ist einzigartig. Das mag ich.

Gehört zu dieser Einzigartigkeit auch, dass das Private manchmal sehr politisch wird, wie Sie es in Ihrem Buch »Auf fremdem Land« beschreiben, in dem die Hauptfigur Otniel nur Tomaten und Rucola anbauen möchte und fast eine internationale Krise auslöst?
Ja, und ich gebe Ihnen noch ein anderes Beispiel. In meinem Buch »Ein schönes Attentat« geht es um diese zwei Typen, die wie Otniel in »Auf fremdem Land« in ihrem Leben vorankommen wollen. Aber die Realität kommt ihnen dazwischen und erlaubt dies nicht. Ich vergleiche das auch immer mit meiner Karriere. Ich wollte eigentlich gar nicht über die politische Situation
schreiben oder den Konflikt. Ich wollte einfach über junge Menschen schreiben – egal, ob Israelis oder nicht. Aber das ging nicht. Die Realität ist zu stark, wir können sie nicht ignorieren. Das gehört mit zu Israel. Das ist einzigartig und berührt jeden, wirklich jeden. Hier in Europa leben die Menschen, ohne dass sie die Politik in diesem Ausmaß betrifft wie uns in Israel.

Brauchen Sie manchmal eine Pause davon?
Ja, ich brauche immer eine Pause.

Und was machen Sie dann?
Als Schriftsteller habe ich das Glück, viel zu reisen. Ich habe zweimal jeweils für fünf Jahre in Großbritannien gelebt, ein Jahr in Berlin, zwei Jahre in den USA und ein Jahr in Kanada. Jedesmal weiß ich aber auch, dass ich wieder nach Israel zurückkehren würde.

Außerhalb Israels haben viele Menschen eine sehr starke Meinung zu diesem Land. Jeder scheint alles über den jüdischen Staat zu wissen und kritisiert ihn. Wie erleben Sie das?
Ich verstehe die Kritik, denn ich lebe dort und sehe vieles klarer. Aber es ist mein Land. Ich darf nicht nur Dinge kritisch sehen, ich muss Sachen, die mir an meiner Gesellschaft, an meiner Regierung nicht gefallen und die in meinem Namen als israelischer Staatsbürger ausgeführt werden, skeptisch betrachten. Es ist aber doch schon merkwürdig, dass viele Leute eine so starke Meinung über Israel haben.

Die sie über Länder wie Spanien oder Irland nicht haben ...

Oder über Länder, in denen Krieg herrscht, wie Syrien, oder über afrikanische Länder. Darüber gibt es nie so viele emotionsgeladene Diskussionen. Das wundert mich schon. Aber es ist von Land zu Land verschieden. Ich war im Juni in Australien und habe dort mit vielen jüdischen Gemeinden gesprochen, die sehr patriotisch Israel gegenüber eingestellt sind und Kritik zurückgewiesen haben. Es waren spannende Unterhaltungen. Deutschland zum Beispiel ist für Israelis und Juden ein bequemer Ort zum Leben.

Viele machen sich allerdings Sorgen um Antisemitismus hier im Land.
Ich denke trotzdem, dass – rein statistisch gesehen – Israel für Juden auch nicht unbedingt ein sicherer Ort ist, denn es gibt viele Angriffe auf Juden, weil sie Juden sind. Ich verstehe die Sorgen hier, aber ich habe mich in Europa als Israeli nie unsicher gefühlt. Ich sage nicht, dass es allen so geht, aber bei mir ist das so.

Was halten Sie als Schriftsteller, dessen Werkzeug die Sprache ist, von dem kürzlich von der Knesset beschlossenen »Nationalstaatsgesetz«, das Hebräisch als erste Sprache und Arabisch als Sprache mit »besonderem Status« definiert?
Ich verstehe es nicht, und ich frage Menschen vom rechten Flügel wirklich ernsthaft – nicht zynisch: Was ist der ganz praktische Grund dafür? Seit 70 Jahren gibt es unseren Staat ohne dieses Gesetz, und ich frage nach dem Grund. Wenn die Antwort die sein sollte, zu zeigen, dass Araber eine andere Stellung haben, dann bitte sagt es mir. Ich möchte es wirklich wissen. Ich sehe die Notwendigkeit dafür nicht, gerade in einer Zeit, in der es so viele Spannungen gibt. In einer modernen Welt, in der Demokratie und Gleichberechtigung die Hauptprinzipien von Staaten sind, wirkt dieses Gesetz wie ein Akt der Unsicherheit. Vielleicht ist mir ja etwas entgangen, aber jemand sollte mir doch ganz praktisch erklären, warum wir dieses Gesetz brauchen.

Wenn wir noch einmal zu Ihrem Buch zurückkehren: Sinngemäß sagt Eitan Einochs Freund Bar, dass sich für die Geschichten alter Menschen sowieso niemand interessiert. Warum eigentlich nicht?
Eigentlich war das ein Satz, den ein Freund von mir gesagt hat, als ich ihm erzählte, worüber ich schreiben möchte. Er sagte: »Keiner interessiert sich für die Geschichten alter Menschen«, und das ist mir im Gedächtnis geblieben. Ich habe es dann mit ins Buch aufgenommen und es Bar in den Mund gelegt. Alte Menschen sind spannend. Sie haben so viel zu erzählen und haben diese verrückte Zeit kurz vor der Staatsgründung miterlebt. Es heißt ja immer, dass Filme oder Geschichten über junge und schöne Menschen interessieren, aber alte Menschen haben viel mehr Geschichte in sich und viel zu erzählen. Nicht alle Älteren wissen alles besser, aber generell sollten wir ihnen zuhören und das in unser Leben mit aufnehmen.


Mit dem Schriftsteller sprach Katrin Richter.


Assaf Gavron wurde 1968 geboren und wuchs in einem Dorf nahe Jerusalem auf. Er studierte in London und Vancouver und lebt heute mit seiner Familie in Tel Aviv. Gavron hat mehrere Romane veröffentlicht, darunter »Ein schönes Attentat«, »Ein fremdes Land« und jüngst »Achtzehn Hiebe«. Zudem hat er einen Band mit Erzählungen publiziert. Gavron wurde unter anderem mit dem Bernstein-Preis und dem Prix Courrier ausgezeichnet.

Weitere Informationen finden Sie auf seiner Seite:
www.assafgavron.com



Assaf Gavron: »Achtzehn Hiebe«. Luchterhand, München 2018, 415 S., 22 €

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