Interview

»Ich bin hier, um mich zu entschuldigen«

Lewis Black in Berlin Foto: Imanuel Marcus

Der amerikanische Stand-up-Comedian Lewis Black ist in Berlin – für seine erste und letzte Show in dieser Stadt. Sein Markenzeichen ist das Meckern. In dieser Disziplin ist er unangefochtener Meister. Nun will er über aus Amerika exportierte Dummheit sprechen – und sich dafür entschuldigen. Ein Gespräch.

Herr Black, hatten Sie Gelegenheit, sich ein bisschen in Berlin umzusehen?
Das habe ich letztes Jahr schon gemacht. Damals wollten wir die Show hier machen, aber der Ticketverkauf hatte zu spät angefangen. Also verschob ich die Show um ein Jahr. Dennoch haben wir nur recht wenige Tickets verkauft.

Macht nichts. Dies ist keines Ihrer »HBO Specials«, mit denen Sie stets Hunderttausende Zuschauer erreichten. In Berlin gibt es einen kulturellen Overkill. Es ist viel los. Was ist aus Ihrer Sicht noch merkwürdig in Europa?
In der Umgebung meines Hotels gibt es kaum Supermärkte. Da ist nur einer – und der ist ziemlich schlecht. Außerdem haben Sie hier oft keine Klimaanlagen. Das ist gerade jetzt lächerlich, wo es heiß wird.

Ja, so sind wir Europäer. »Good Bye Yeller Brick Road« heißt Ihr neues Programm, das natürlich ebenfalls Meckerei enthält. Bis zum Umfallen. Wie wird es in Europa aufgenommen?
Die Reaktionen sind gut. Das Programm ist hier in Europa etwas anders. Ich bin hier, um mich zu entschuldigen.

Wofür? Für Ihre Schimpftiraden?
Nein. Hier geht es darum, dass mein Land, Amerika, Dummheit in einer Menge exportiert, die bisher unvorstellbar war. Ich denke, jemand musste einfach herkommen und sagen: »Es tut mir leid.« Die Tatsache, dass ausgerechnet ich derjenige bin, der sich entschuldigt, ist erschreckend.

Erschreckend ist auch die Tatsache, dass es in der Ankündigung heißt, dies sei Ihre letzte Tournee. Das ist doch nicht wahr, oder?
Doch. Ist es. Ich stand noch nie in Berlin auf der Bühne. Dies ist meine erste und letzte Show in dieser Stadt.

Sie werden als einer der Erben verstorbener Stand-up-Comedy-Pioniere wie Richard Pryor, George Carlin oder Don Rickles angesehen. Inwieweit wurden Sie von diesen beeinflusst?
So wie Rickles das Publikum beschimpft hat, das würde heute vermutlich nicht mehr durchgehen. Sein Publikum würde ihm sagen: »Hey, das geht so nicht.« Von Pryor und Carlin habe ich gelernt, dass du über absolut alles reden kannst, solange es witzig ist. Dann gab es noch die Geschichtenerzähler Bob Newhart und Shelley Berman. Sie haben gezeigt, dass Stories wichtig sind. »Ich war im Flugzeug. Dies ist passiert. Bla bla bla.«

Lesen Sie auch

Ihr Markenzeichen ist die Meckerei, garniert mit einer beachtlichen Ladung Schimpfwörter. Sie haben dabei Ihren eigenen Stil entwickelt, und die Fans lieben Sie dafür. Wie befreiend ist es für Sie zu meckern?
Eine Zeitschrift hat mich einmal an ein EKG angeschlossen, um die Aktivität meiner Herzmuskelfasern zu messen. Auch der Blutdruck wurde beobachtet. Er sank, wenn ich herummeckerte. Was soll man heute auch sonst tun? Es passiert so viel Blödsinn in der Welt. Es ist wichtig, diese Dinge loszuwerden. Übrigens hat schon meine Mutter viel herumgemeckert – und sie wurde 104!

Sie wurden in Washington D.C. geboren, sind aber New Yorker. Wenn wir jetzt dort wären, wo könnten wir Sie antreffen? Beim Deli vielleicht? Oder in der Synagoge?
Eher in meinem Apartment. Oder bei meinen Freunden im West Bank Café auf der 42. Straße zwischen der Neunten und Zehnten Avenue, gegenüber einigen Theatern. In den 80er-Jahren hatte ich als Dramatiker viel mit dem Theater zu tun. Mein bester Freund besitzt das Café. Es ist vermutlich mein Lieblingsort in der Stadt.

Heute hat man es als Jude in Amerika nicht leicht. Studenten werden von Judenhassern bedrängt, andere Antisemiten demonstrieren in amerikanischen Städten für den Terror gegen Israel. Auch häufen sich die Angriffe gegen Juden. Wie kommen Sie mit dieser Situation zurecht?
Ehrlich gesagt: Ich muss nicht damit zurechtkommen. Zwar höre ich von dem Judenhass, erlebe ihn aber selbst nicht. Mein Publikum weiß, dass ich Jude bin, aber niemand bedrängt mich. Bei Jerry Seinfeld war es anders, er hat eine politische Position eingenommen, und die Leute schrien ihn an. Aber wer glaubt, Jerry hätte Einfluss auf die Politik, ist verrückt! Keiner von uns hat Einfluss auf unsere Regierung. Wie sollten wir also Einfluss auf andere Regionen der Welt haben?

Die Welt ist derzeit voller Probleme: Der Terrorangriff am 7. Oktober, Russlands Eroberungskrieg gegen die Ukraine, und bei Ihnen in Amerika ist einer der Präsidentschaftskandidaten ein Antidemokrat mit psychischen Problemen. Wie kann Ihr Land diese Herausforderung in den Griff bekommen?
Erwachsene Menschen sollten Verantwortung übernehmen. Aber sie haben »Alternative Fakten« kreiert. Das ist, als ob sie in den 60er-Jahren Halluzinogene genommen hätten. Heute gucken die Leute auf ihre Telefone und denken, was sie lesen, ist wahr. Dann schreien sie herum, wegen des Krieges in Gaza. So wie ich es sehe, ist es ein Krieg zwischen der Hamas und Netanjahu. Ich mochte ihn noch nie. Ich habe einmal gesagt, ich werde nicht nach Israel reisen, solange er im Amt ist.

Aber generell unterstützen Sie Israel.
Als Kind habe ich für Bäume in Israel gespendet. Was mich heute in Bezug auf Israel bedrückt, ist auch die Situation mit den Ultraorthodoxen. Aber na ja, jede Religion hat Leute dieser Art.

Wie schaffen Sie es, als Stand-up-Comedian trotz allem witzig zu sein?
Es ist nicht ganz leicht, die Realität zu parodieren – zum Beispiel, wenn man einen früheren Präsidenten hat, der vor Gericht steht, da er Schweigegeld an eine Pornodarstellerin gezahlt hat. Was ist daran witzig? Da halte ich mich lieber an meine Schimpftiraden.

Mit dem Comedian sprach Imanuel Marcus.

Berlin

Umstrittene 88: Der schwierige Umgang mit rechten Codes

Im Berliner Fußball sorgt die Debatte um die Rückennummer 88 und dem Hitler-Bezug für Kontroversen. Warum das Verbot erneut scheiterte und wie der Fußball insgesamt mit rechtsextremen Codes umgeht

von David Langenbein, Gerald Fritsche, Jana Glose  16.12.2025

Wien

ESC 2026: ORF will israelfeindliche Proteste nicht ausblenden

Die Debatte und der Boykott einzelner Länder wegen der Teilnahme Israels haben den ESC 2026 bisher überschattet. Auch beim Event im Mai selbst drohen Proteste. Wie geht der ORF damit um?

 16.12.2025

Washington D.C.

Trump sorgt mit Angriffen auf ermordeten Rob Reiner für Empörung

Der jüdische Regisseur sei an einem »Trump-Verblendungssyndrom« gestorben, schreibt der Präsident. Dafür erntet er seltene Kritik aus den eigenen Reihen

 16.12.2025

Nachruf

Filmproduzent mit Werten

Respektvoll, geduldig, präzise: eine Würdigung des sechsfachen Oscar-Preisträgers Arthur Cohn

von Pierre Rothschild  15.12.2025

Meinung

Xavier Naidoos antisemitische Aussagen? Haken dran!

Der Mannheimer Sänger füllt wieder Konzertsäle. Seine Verschwörungserzählungen über Juden und holocaustrelativierenden Thesen scheinen kaum noch jemanden zu stören

von Ralf Fischer  15.12.2025

Los Angeles

Bestürzung über Tod von Rob Reiner und Ehefrau Michele

Der jüdische Regisseur und seine Frau wurden tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Polizei behandelt den Fall als mögliches Tötungsdelikt

 15.12.2025

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  14.12.2025

Nachruf

Trauer um Hollywood-Legende Arthur Cohn

Arthur Cohn war immer auf der Suche nach künstlerischer Perfektion. Der Schweizer Filmproduzent gehörte zu den erfolgreichsten der Welt, wie seine Oscar-Ausbeute zeigt

von Christiane Oelrich  12.12.2025