Sehen!

Houellebecq auf der Bühne

Edgar Selge in »Unterwerfung« am Deutschen Schauspielhaus Hamburg Foto: dpa

Beim Franzosen Michel Houellebecq reicht ja schon der Name, um ein Geheul der Anständigen hervorzurufen. Man darf sich getrost vorstellen, dass der Autor es mit diebischer Freude goutiert, wie leicht seine auf Missverständnis ausgelegte literarische Provokation angenommen wird. Nun hat sich das Deutsche Schauspielhaus Hamburg seines ausgerechnet am Tag der Charlie-Hebdo-Attentate erschienenen und viel diskutierten Bandes Unterwerfung angenommen.

Die Verwechslung von Autor und Protagonisten wird bei Houellebecq wie bei kaum einem anderen betrieben, das Stück nimmt dies geschickt auf, indem der alleinige Hauptdarsteller Edgar Selge direkt zu Beginn die von einer Platte abgespielte Stimme des Autors kommentiert und auch Bezug auf seine Rolle des François nimmt.

Breitseite Von da an ist der fast dreistündige, aber nie langatmige Monolog eine Karussellfahrt durch die libertäre Bourgeoisie Frankreichs. Jeder kriegt sein Fett weg: Medien, Katholiken, Politiker zu allererst, denn diese geben sich der anstehenden Islamisierung Frankreichs, von der das Stück handelt, nahezu willenlos hin.

Auch dann, als die Jüdischen Bewohner des Landes beginnen, auszuwandern, so auch François’ Affäre Myriam, die wie alle Frauen bei Houellebecq in erster Linie Sexobjekt bleibt. Das ist schon bitter, wie leichtfertig die in Unterwerfung gezeichnete moderne Gesellschaft sich selbst dieser Tatsache des modernen Exodus hingibt, die ja in Frankreich längst von der Wirklichkeit eingeholt wurde. François jedenfalls kommentiert die Flucht Myriams nur mit einem leicht bedauernden Satz, er habe nun mal kein Israel zum Fliehen.

Aber Schauspielhausintendantin Karin Beier und der großartige Edgar Selge konzentrieren sich auf das satirische, ja das komödiantische Elemente der Textvorlage und schaffen dies mit Bravour. Natürlich ist dieser François ein Unsympath höchsten Grades, ein Frauenhasser und Selbstbemitleider, der sich irgendwie durch seine Affären und seine mittelmäßige Hochschulkarriere schleppt. Der punktgenaue Selge sprudelt und plappert vor sich hin, nimmt das Publikum mit in die Innenwelt dieser selbstreferentiellen und dekadenten Männerwelt, der insgeheim die Übernahme des islamistischen Präsidenten ganz gelegen kommt.

imposant Auch hier kreiert Houellebecq nicht so sehr eine islamophobe Dystopie, vielmehr kommentiert er den Seelenzustand des westlichen – besonders des französischen – Bürgertums. Die Inszenierung nutzt dazu ein imposantes Bühnenbild, das mit seinem rotierenden und bekletterbaren Kruzifix ein weiteres Zitat zur in der Selbstauflösung begriffenen westlichen Wertewelt darstellt.

So sehr sich Intendantin Beier im Vorfeld dafür rechtfertigen musste, in diesen Zeiten solch ein Stück auf die Bühne zu bringen, so sehr muss man zugestehen, es ist ihr gelungen. Und an manchen Stellen, besonders was die erstarkende Rechte und den wiederaufkeimenden Antisemitismus angeht, ist der Text gerade jetzt umso wichtiger.

Weitere Aufführungen:
Mittwoch, 10. Februar, 20 Uhr
Dienstag, 16. Februar, 20 Uhr
Mittwoch, 17. Februar, 20 Uhr
Donnerstag, 3. März, 20 Uhr
Samstag, 12. März, 20 Uhr
Mittwoch, 16. März, 20 Uhr
Samstag, 26. März, 20 Uhr

Vortrag

Über die antizionistische Dominanz in der Nahostforschung

Der amerikanische Historiker Jeffrey Herf hat im Rahmen der Herbstakademie des Tikvah-Instituts über die Situation der Universitäten nach dem 7. Oktober 2023 referiert. Eine Dokumentation seines Vortrags

 07.12.2025

Zwischenruf

Die außerirdische Logik der Eurovision

Was würden wohl Aliens über die absurden Vorgänge rund um die Teilnahme des jüdischen Staates an dem Musikwettbewerb denken?

von Imanuel Marcus  07.12.2025

Los Angeles

Schaffer »visionärer Architektur«: Trauer um Frank Gehry

Der jüdische Architekt war einer der berühmtesten weltweit und schuf ikonische Gebäude unter anderem in Los Angeles, Düsseldorf und Weil am Rhein. Nach dem Tod von Frank Gehry nehmen Bewunderer Abschied

 07.12.2025

Aufgegabelt

Plätzchen mit Halva

Rezepte und Leckeres

 05.12.2025

Kulturkolumne

Bestseller sind Zeitverschwendung

Meine Lektüre-Empfehlung: Lesen Sie lieber Thomas Mann als Florian Illies!

von Ayala Goldmann  05.12.2025

TV-Tipp

»Eigentlich besitzen sie eine Katzenfarm« - Arte-Doku blickt zurück auf das Filmschaffen von Joel und Ethan Coen

Die Coen-Brüder haben das US-Kino geprägt und mit vielen Stars zusammengearbeitet. Eine Dokumentation versucht nun, das Geheimnis ihres Erfolges zu entschlüsseln - und stößt vor allem auf interessante Frauen

von Manfred Riepe  05.12.2025

Köln

Andrea Kiewel fürchtete in Israel um ihr Leben

Während des Krieges zwischen dem Iran und Israel saß Andrea Kiewel in Tel Aviv fest und verpasste ihr 25. Jubiläum beim »ZDF-Fernsehgarten«. Nun sprach sie darüber, wie sie diese Zeit erlebte

 05.12.2025

Genf

Entscheidung gefällt: Israel bleibt im Eurovision Song Contest

Eine Mehrheit der 56 Mitgliedsländer in der European Broadcasting Union stellte sich am Donnerstag gegen den Ausschluss Israels. Nun wollen Länder wie Irland, Spanien und die Niederlande den Musikwettbewerb boykottieren

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann schwieg bislang zur scharfen Kritik. Doch jetzt reagiert die ARD-Journalistin auf die Vorwürfe

 04.12.2025