Schule

Guten Morgen, liebe Lehrer!

Wir sollten alles Erdenkliche tun, um unsere Lehrer zu schützen: Alles, was unsere Kinder lernen, werden sie weitergeben, wenn sie an der Reihe sind, ihr eigenes Kapitel zu schreiben. Foto: imago images/imagebroker

Ich habe meine Schule geliebt. Ich würde meine Schulzeit sofort wiederholen, und das kann ich nicht von vielen Dingen in meinem Leben behaupten. So gern ich meine Kinder mag, aber noch mal ewig schwanger sein? Nein danke!

Aber in die Schule gehen, das war cool! Morgens standen wir auf und begrüßten unsere Lehrerin mit »Guten Morgen, liebe Frau Bäuerle!«. Und sie antwortete: »Guten Morgen, liebe fünfte Klasse!«, dann setzten wir uns, und es ging los. Natürlich gab es auch kauzige Lehrer und welche, die frisch aus dem Krieg kamen und nicht ganz entnazifiziert waren, aber das ist wiederum ein Kapitel für sich …

TRAUMBERUFE Ich bin Waldorfschülerin und habe in den 13 Jahren außer Kommasetzung eine Menge gelernt. Meine Traumberufe waren über viele Jahre: zur Lufthansa gehen oder Lehrerin werden! Für die Lufthansa war ich zu klein, Mindestgröße 1,60 Meter, und Lehrerin bin ich auch nicht geworden, nur eine Affinität zu diesem Berufszweig ist geblieben.

»Guten Morgen, liebe Lehrer!« Es ist das Jahr 2020, und ihr habt die »Tucheskarte« gezogen. Denn so wie man früher den Lehrer verehrte und wertschätzte, so ist er heute Fußabtreter. Ich weiß, Texte, die mit »früher war alles besser« beginnen, sind öde, aber mal ehrlich: Schon in »normalen Zeiten«, wenn gerade mal nicht Corona wütet, fungiert ein Lehrer als Sozialarbeiter, Familienpfleger, Manager, Organisator, Therapeut.

Zwischendurch gibt er auch rasch Unterricht in Mathematik, Englisch und Literatur. Aber dieser schöne Teil ist kurz, denn schon stehen aufgebrachte Eltern im Flur, wollen besseren, schnelleren, einfach anderen Unterricht, die Schulbehörde möchte mehr Evaluationen und Auswertungen, sprich Papierkram, und die Jugendlichen mobben sich gegenseitig auf dem abrissreifen WC, filmen sich dabei, um es anschließend ins Netz zu stellen. Soviel zu den »normalen« Zeiten.

Jetzt aber ist Pandemie-Zeit, und die Institution Schule kommt verstärkt in den Fokus. Nochmals schließen wie in der ersten Welle wollte man eigentlich nicht. Doch jetzt kommt der harte Lockdown. Alles schließt. Die Kinder aus »bildungsfernen« Familien bleiben auf der Strecke, der Lehrstoff auch, und die Eltern, die Homeschooling machen durften, werden bei der zweiten Homeschooling-Welle ihre Brut erwürgen.

Lehrer sind doch zu etwas gut, hat die Gesellschaft im Frühling festgestellt – nur wie soll das pandemiegerecht gehen?

Skiwäsche an und Fenster auf ist die erste Maßnahme. Alle 20 Minuten hörte ich bis vor Kurzem die ersten Takte aus »Love is in the air« aus dem nahen Gymnasium, die Fenster wurden aufgerissen und wieder geschlossen.

hybridunterricht Trotzdem häuften sich die Fälle. Es wurden Schulklassen geschlossen und wieder geöffnet, im Wechsel unterrichtet, live und digital parallel. »Hybridunterricht« war das Wort der Stunde. Der Chemielehrer entwickelt sich zum IT-Manager der Schule und kann die Schüler reinzoomen, als wären sie da, ach, eigentlich noch besser!
Mails werden hin- und hergeschickt, der Kontakt ist persönlicher als sonst und endet spät in der Nacht, wenn Lehrer und Schüler erschöpft in die Kissen fallen.

Technisch geht wirklich viel, aber nicht alles. Die Lehrer kommen an ihre Grenzen, sollten sie doch gerade jetzt Vorbild und Stütze für die Schüler sein, die wie alle anderen auch in dieser schwierigen Situation feststecken. Die Kinder und Jugendlichen fühlen sich überfordert, einsam, driften ab, die Enge der Familie macht allen zu schaffen. Es kommt zu Gewalt.

Ihr habt leider die »Tucheskarte« gezogen. Dabei ist ein guter Lehrer Gold wert.

Adriana Altaras

Ausbaden sollen es wieder die Lehrer. Sie möchten es auch gerne, denn die meisten lieben ihren Beruf und ihre Schüler. Sie haben aber auch Angst, denn sie sind einer relativ großen Gefahr ausgesetzt. Privat dürfen sich nur zwei Haushalte treffen, in der Schule stehen den Lehrern nach dem Lockdown nicht einmal FFP2-Masken zur Verfügung, von Tests ganz zu schweigen. Regelmäßig wird gezittert, denn oft kommen neue Regelungen, die immer absurder werden, von Verlässlichkeit und Unterstützung weit entfernt sind.

Nein! Jetzt möchte ich wirklich nicht Lehrer sein. Dabei ist der Beruf der Lehrer gar nicht hoch genug zu würdigen. Der kürzlich gestorbene Rabbiner Lord Jonathan Sacks hat immer wieder die wichtige Rolle der Lehrer erwähnt. Er betonte, dass bereits Mosche als »Rabbenu«, »unser Lehrer«, bezeichnet wird.

schlachten Was Mosche wusste, war, dass die wichtigsten Schlachten nicht militärisch sind. Sie sind spirituell, moralisch, kulturell. Ein militärischer Sieg verschiebt die Figuren auf dem Schachbrett der Geschichte. Ein spiritueller Sieg verändert Leben. Ein militärischer Sieg ist fast immer von kurzer Dauer. Entweder greift der Feind erneut an, oder es erscheint ein neuer und gefährlicherer Gegner. Aber spirituelle Siege können ewig dauern.

Sacks meinte: »Freiheit beginnt mit dem, was wir unseren Kindern beibringen. Um ein Land zu verteidigen, braucht man eine Armee. Aber um eine Zivilisation zu verteidigen, braucht man Schulen.« Unsere Rabbiner wissen um die Wichtigkeit der Lehrer. Wissen wir es auch?

Schulen sind mehr als systemrelevant. Und wir sollten alles Erdenkliche tun, um unsere Lehrer zu schützen, zu unterstützen und vor allem wertzuschätzen. Alles, was unsere Kinder lernen, werden sie weitergeben, wenn sie an der Reihe sind, um ihr eigenes Kapitel zu schreiben.

Die Autorin ist Schriftstellerin, zweifache Mutter und lebt in Berlin. Zuletzt erschien von ihr der Roman »Die jüdische Souffleuse« (Kiepenheuer & Witsch, 2018)

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