Sprachgeschichte(n)

Gut betucht

Reicher Onkel: Dagobert Duck Foto: imago

Was ist Pezzola? Kein italienisches Schoko-Knuspergebäck, sondern der letzte Schrei in Sachen Kopfputz: bunte, kleine Dreieckstücher mit Bändern, die gerade so den Kopf bedecken und im Nacken verknotet werden.» So begann ein Artikel in der Boulevardzeitung «Berliner Kurier» vom 3. August 2000.

Überschrieben war er mit der Schlagzeile «Gut betucht». Der Redakteur wollte seine Leser hier offenbar mit einem Wortspiel erfreuen, dessen Sinn sich möglicherweise nicht jedem erschlossen hat. Der Ausdruck «gut betucht», der heute allein im Sinne von «finanziell abgesichert», «gut situiert» oder «vermögend» verwendet wird, hat nämlich absolut nichts mit Textilien zu tun.

Geld Hier gilt, was der Publizist Rudolf Walther 2008 in der «taz» formulierte: «Etymologische Herleitungen für den Hausgebrauch gleichen den Rückschlüssen der Physiognomik von der Kopfform auf den Charakter.» So wie «Begüterte» reichlich mit Gütern versehen und «bemittelte» Menschen mit genügend Geldmitteln ausgestattet sind, könnte man meinen, «Betuchte» verfügten über feines Tuch.

Doch das in den Formen «betûcht» und «betûchen» seit dem 17. Jahrhundert bezeugte Adjektiv beziehungsweise Adverb ist eine direkte Entlehnung aus dem Westjiddischen, die sich wiederum vom hebräischen Partizip «batuah» (mit der Bedeutung «sorgenlos leben», «vertrauensvoll») herleitet.

Heidi Stern ergänzt im Wörterbuch zum jiddischen Lehnwortschatz in den deutschen Dialekten (2000), «dass das Phonem /a/ der ersten Silbe bereits mit der Transferenz aus dem Hebräischen ins Jiddische zu einem /e/ gehoben wurde. Darüber hinaus ist das Suffix t für die Wortbildung eines Partizips, genauer eines adjektivischen Scheinpartizips, relevant.» Phonetisch wurde das Wort über das westjiddische «betûche» («sicher») an die Partizipialform angepasst.

Spuren Die genannten Formen sind, so schreibt der Philologe Leo Wiener schon 1894 in seinem Aufsatz «The Judaeo-German Element in the German Language», «uns selbst versunken und untergegangen, nur einige Spuren haften noch davon». Eine solche Spur findet sich in Johann Peter Hebels Geschichte Der Schimmel von 1813: Als darin der Held erfuhr, dass er zwei Knechte zu Unrecht beschuldigt hatte, «ging er ganz still und betuches wieder in sein Bett».

Dieses Adverb, das nichts mit Reichtum zu tun hat, deutet Wiener zu Recht als «sachte, leise niedergetaucht, geduckt» und verweist zugleich auf die späteren gaunersprachlichen Wendungen «beduchter massematten» («Diebstahl ohne Lärm») und «scheft beducht» («sei still!»), die auch in F. L. A. v. Grolmans Wörterbuch der in Teutschland üblichen Spitzbuben-Sprachen (1822), der umfassendsten Kompilation des Rotwelschen, aufgeführt sind. Für die Phrase «auf die Betuche» im Sinne von «auf ruhige, stille Weise» führt Siegmund Andreas Wolf im Wörterbuch des Rotwelschen (1993) noch für 1939 einen mündlichen Beleg an.

Wer viel Geld hatte, mit dem ließen sich gut Kaufverträge abschließen, weil es als sicher gelten konnte, dass der Kunde bezahlen würde. Schon in A. Tendlaus Sammlung Jüdische Sprichwörter und Redensarten (1860) deutet sich diese Erkenntnis an: «Ein bloß vermögender Mann heißt ›ein Betuechter‹ von botuach, sicher, zuverlässig, homo securus.» F. Kluge verzeichnet im Rotwelschen Quellenbuch (1901) im Abschnitt über Krämersprachen «bedûcht» allein im Sinne von «reich».

Weinberg nennt in Die Reste des Jüdischdeutschen (1973) zwei Beispiele: ein «betuchter sege» ist ein «reicher Mensch»; «er ist schwer betuch(t)» heißt: «er ist sehr vermögend». Für die Formen «betucht», «betuch» und «betuach» gibt er die Bedeutungen «wohlhabend» und «geachtet» an – fügt aber hinzu: «wörtlich ›sicher‹».

Der Autor ist Sprachwissenschaftler und Professor em. am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Hamburg. Zuletzt erschien von ihm « Gauner, Großkotz, kesse Lola. Deutsch-jiddische Wortgeschichten». Be.bra, Berlin 2016.

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