Trettmann

Gewissen statt Klamauk

Stefan Richter aka Trettmann Foto: imago images / Hartmut Bösener

Nein, man muss ihn nicht mögen, diesen Stil, den der Rapper Trettmann aufführt. Traut man sich aber, ihn zu verstehen, kann man etwas lernen. Als der Musiker, der in Chemnitz aufwuchs und mit bürgerlichem Namen Stefan Richter heißt, noch unter dem Namen »Ronny Trettmann« firmierte, war sein primäres Anliegen der Spaß.

Trettmann machte Reggae auf Sächsisch, unterhielt, klamaukte. Heute ist er vielleicht einer der angesagtesten und angesehensten Vertreter des sogenannten Cloud Rap, einer der innovativsten Weiterentwicklungen des Rap und, das lässt sich ohne Weiteres behaupten, der Stil der Stunde für die bedeutendste Jugendkultur schlechthin.

»Deep« Gerade im Rap, wo die Unterscheidung zwischen der Authentizität und der Kunstfigur, zwischen Realness und Comedy, so wichtig und gleichzeitig so schwammig sein kann, gelingt Trettmann knapp zehn Jahre nach seinem Ulk-Hit als Reggaesachse eine Art reales Coming-out, der Durchbruch als Ich. Er kürzt den Künstlernamen ab und rappt mit Tiefgang. Seine antinostalgische Wende-Hymne »Grauer Beton« wurde zum großen Hit seines Albums #DIY (2017), das sowohl in der Subkultur als auch im Feuilleton gut ankam.

Auf dem »splash!« rappte er zum ersten Mal seinen neuen Song »Stolpersteine« – und widmete ihn mit einem Augenzwinkern »Björn Höcke und seiner Gang«.

So »deep« wurde es bei ihm bislang selten, wenngleich die Fans bereits seit 2008 ahnten, dass er den Ernst beherrscht. Da rappte er über seine Großeltern: »Wenn Großmutter erzählt, erzählt sie vom Krieg / Vom letzten Brief von der Front dem Vater schrieb / Von ihrer Familie, wie man sie vertrieb / Und dann weiß ich warum sie sonst zu allem schwieg (…) Früh aufsteh’n und Feldarbeit war alles, was sie kannte / Und die Nazis war’n für sie ›ne Verbrecherbande‹ / Sie nahmen ihr den Mann und nannten sie ›ne rote Schlampe‹.«

Stil Dass er den ernsten Stil beibehielt, war keine Selbstverständlichkeit. »Cloud Rap« ist ein Erfolgsrezept, aber es braucht die Lyrik nicht dringend. Es ist ein Stil, der vor allem von der Form lebt. Andere deutsche Künstler sind mit einem Minimum an Inhalt maximal erfolgreich. Dass Trettmann diesen Weg nicht gehen will, zeigte er im Juli auf dem Hip-Hop-Festival »splash!«.

Dort rappte er zum ersten Mal seinen neuen Song »Stolpersteine« und widmete ihn mit einem Augenzwinkern »Björn Höcke und seiner Gang«. Ohne Pathos, aber mit so viel minimalistischer Dramatik, wie es ein Beat zulässt, rappt er taktvoll, sacht, ohne bemühtes Moralisieren: »In meiner Straße Stolpersteine / Vögel sing’n und ich weine / Hier könnte jeder Name steh’n, irgendeiner / Irgendeiner, doch hier steht deiner.«

Andere deutsche Künstler sind mit einem Minimum an Inhalt maximal erfolgreich. Trettmann will diesen Weg nicht gehen.

Genre Das eigentliche Wunderwerk ist nicht, dass einer mit so großem Erfolg sich so leichtfüßig diesem Thema annimmt, sondern dass die Fans Trettmann dafür schätzen – auch, weil er das Genre technisch versteht wie nur wenige. Er, der 45-Jährige, rappt vor einem oft vielfach jüngeren Publikum – und kommt an. »Stolpersteine« heißt der dritte Track auf seinem neuen Album Trettmann, das vergangene Woche erschienen ist.

Nein, man muss ihn nicht mögen, diesen Stil, den Trettmann spielerisch beherrscht und auf den in zehn Jahren schon die ersten Kritiker blicken und in nostalgische Tränen ausbrechen werden. Aber man muss diesen Künstler respektieren, für den authentischen Imagewandel, der gewiss nicht nur das Schwimmen auf der Trendwelle ist. Dass es für ihn mehr als das ist, beweist er mit seinen Texten, mit Inhalten, die nicht beliebig sind, obwohl sie es sein könnten – und die deswegen Bestand haben werden.

Trettmann: »Trettmann«. Soulforce Records 2019

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Fotografie

Sinfonie einer Großstadt

Das Berliner Bröhan-Museum zeigt die ikonischen Bilder von Andreas Feininger aus New York

von Sabine Schereck  25.03.2023

Kulturtipp

Malabi und Schesch Besch

Unsere Israel-Korrespondentin Sabine Brandes hat einen Reiseführer über Tel Aviv geschrieben. Ein Auszug

von Sabine Brandes  25.03.2023

USA

Facebook-Gründer Zuckerberg zum dritten Mal Vater geworden 

Lange wurde über den Namen des Babys gerätselt. Jetzt wurde er bekannt. Das Paar Zuckerberg bleibt seinen besonderen Namensvorlieben treu

 24.03.2023

Berlin

Joachim Gauck und Herta Müller fordern Unterstützung für Exilmuseum

In der Hauptstadt entsteht ein Museum über die Vertreibung aus Deutschland während der NS-Zeit und heutige Fluchtbewegungen

von Bettina Gabbe  24.03.2023

Legenden

Reporter und Revolutionär

Vor 75 Jahren starb Egon Erwin Kisch: Seine Reportagebände haben bis heute nichts an ihrer Faszination verloren

von Michael Heitmann  24.03.2023

Ausstellung

Liebermann-Villa zeigt Fotoporträts des Künstlers

Zu sehen sind 16 Aufnahmen von Liebermann und seiner Familie aus den Jahren 1905 bis 1932

 24.03.2023

NS-Geschichte

»Flashes of Memory« im Land der Täter

Im Berliner Museum für Fotografie wird eine Ausstellung mit Holocaust-Bildern aus der Sammlung Yad Vashems gezeigt

von Imanuel Marcus  23.03.2023

Medizin

»Wir sind Weltmeister im Operieren«

Der Orthopäde Martin Marianowicz fordert ein Umdenken bei der Behandlung von Rückenschmerzen

von Lilly Wolter  23.03.2023

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  23.03.2023