Literatur

Geschlossene Gesellschaft

Foto: Klett-Cotta

Literatur

Geschlossene Gesellschaft

Jörg Magenau fragt in seinem Buch über die Gruppe 47, ob deren Teilnehmer antisemitisch waren

von Philipp Peyman Engel  25.07.2016 19:59 Uhr

Im Mai 1952 trat Paul Celan vor die Gruppe 47 und las aus seinem damals noch unbekannten Gedicht Todesfuge. »Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends/wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts/wir trinken und trinken/wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng«, rezitierte der Lyriker aus Czernowitz, der dem Holocaust selbst nur knapp entkommen war.

Das Urteil der Literaturkritiker und Schriftsteller fiel vernichtend aus. »Der liest ja wie Goebbels!«, befand Hans Werner Richter, Gründer und Chef der Gruppe 47. Celan habe »in einem Singsang vorgelesen wie in einer Synagoge«, sagte der Schriftsteller Milo Dor über das Gedicht, in dem der Lyriker den Mord an den europäischen Juden thematisierte. Günter Grass – früheres Mitglied der Waffen-SS und späteres moralisches Gewissen der Bundesrepublik – war ebenfalls alles andere als angetan: Man habe während der Lesung Kerzen anzünden wollen, so pathetisch und seltsam habe sich der Vortrag angehört.

ressentiments Wie konnte es sein, dass der einflussreichste literarische Zirkel der Nachkriegszeit zu solch einem Fehlurteil kam? Und welche Rolle spielten dabei – bewusste oder unbewusste – antisemitische Ressentiments? Es sind insbesondere Fragen wie diese, die das Buch Princeton 66 von Jörg Magenau so lesenswert machen. Denn darin schildert der Literaturkritiker nicht nur das titelgebende US-Gastspiel der Gruppe, das so etwas wie der Sargnagel der Schriftstellervereinigung werden sollte. Immer wieder geht Magenau auch der Frage nach, ob Episoden wie die Ablehnung Paul Celans wirklich nur poetologische Gründe oder möglicherweise nicht auch andere Motive hatten.

Dies ebenso fundiert wie konzise herausgearbeitet zu haben, ist das eine Verdienst des Autors. Das andere – leider immer noch eine Seltenheit bei Sachbüchern deutscher Autoren – ist die Art und Weise, wie spannend und stilistisch hervorragend Magenau die Geschichte der Gruppe 47 erzählt. Bücher für den Strand aus der Feder von Autoren wie Henning Mankell und Jussi Adler-Olsen gibt es wie Sand am Meer. Dieses Buch aber ist wirklich eine Wucht – und stellt selbst die klassische Strandlektüre meilenweit in den Schatten.

Jörg Magenau: »Princeton 66: Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47«. Klett-Cotta, Stuttgart 2016, 223 S., 19,95 €

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025