TV-Serie

Gelungener Balanceakt

Joel Basman als Franz Kafka Foto: NDR/Superfilm

Immer diese Zeitsprünge. Bereits in der ersten Folge der von David Schalko (Braunschlag, Altes Geld) und Daniel Kehlmann konzipierten Serie Kafka zeigt sich, dass man es nicht mit einem klassischen Biopic zu tun hat, in dem einfach chronologisch eine Lebensgeschichte nacherzählt wird. So steht am Anfang die Rettung von Kafkas Werk – der Autor ist bereits 14 Jahre tot – durch seinen Freund Max Brod, gespielt von David Kross, der aus der von Deutschen gerade besetzten Tschechoslowakei fliehen muss und im Zug in einen bizarren Dialog mit den Grenzbeamten gerät, in dem er erklärt, nur wertlose Papiere im Koffer zu haben.

In einem TV-Studio sitzt Max Brod

Jahrzehnte später, Brod sitzt in einem TV-Studio, wo er als »Freund des weltberühmten Franz Kafka« vorgestellt wird, was unterschwellig eine Demütigung ist, weil er selbst literarische Ambitionen hatte, aber irgendwie immer im Schatten Kafkas stand. Erneut entsteht eine Verhörsituation, in der sich Brod Vorwürfen ausgesetzt sieht, eigenmächtig Veränderungen an dem Werk des Schriftstellers vorgenommen zu haben. Dabei sei es immer um das Persönliche, das Intimste gegangen, das er zensiert hatte. »Wollte Kafka es, dass die Öffentlichkeit das sieht?«, fragt Brod zurück.

Schalko und Kehlmann jedenfalls scheinen es zu wollen. Und damit zeigt sich das Prinzip der Serie. Jede der sechs Folgen nähert sich der Person Kafka, übrigens von Joel Basman hervorragend verkörpert, aus einem anderen Blickwinkel. Mal sind es die Frauen, die in seinem Leben eine zentrale Rolle spielen, beispielsweise seine Verlobte Felice Bauer, die ihm den Zionismus nahebringt, oder seine Übersetzerin Milena Jesenská.

Kafka schreibt »Die Verwandlung« und mutiert selbst zum Insekt

Und da ist natürlich der Vater, dessen Tyrannei über seinen Sohn, aber auch über die übrigen Familienmitglieder, dank des grandiosen Burgtheater-Schauspielers Nicholas Ofczarek geradezu physisch erfahrbar gemacht wird. Nachdem er Kafkas jüdischen Freund, den jiddischsprachigen Schauspieler Yitzchak Löwy, aufgrund dessen Herkunft, die ihn mit seiner eigenen konfrontiert, als Ungeziefer bezeichnet, schreibt Kafka »Die Verwandlung« und mutiert selbst zu einem Insekt.

Zusammengehalten werden die zahlreichen Sequenzen aus dem Leben Kafkas durch den Erzähler aus dem Off, in diesem Fall Michael Maertens, der das Geschehen nicht einfach nur begleitet, sondern selbst einen aktiven Part einnimmt, indem er immer wieder interveniert. Das Resultat ist ein gelungener Balanceakt zwischen literarischen Einsprengseln, die das Werk aufgreifen, und einer einfühlsamen Annäherung an die Person Kafka.

Am 26. und 27. März läuft die ARD-/ORF-Serie »Kafka« im Fernsehen. Online stehen die sechs Episoden aus unterschiedlichen Perspektiven bereits am 20. März in der ARD-Mediathek.

Rezension

Ein Feel-Good-Film voller kleiner Wunder

Ein Junge, der nicht laufen kann, Ärzte, die aufgeben, eine Mutter, die unbeirrt kämpft. »Mit Liebe und Chansons« erzählt mit Herz und Humor, wie Liebe jede Prognose überwindet

 27.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  27.11.2025

Kino

Echte Zumutung

Ronan Day-Lewis drehte mit seinem Vater Daniel als Hauptfigur. Ein bemühtes Regiedebüt über Gewalt und Missbrauch

von Maria Ossowski  27.11.2025

Das Ausmalbuch "From the river to the sea" in einer Buchhandlung in Zürich.

Meinung

Ausmalen gegen die Realität

Kinderbücher sollten nicht dazu instrumentalisiert werden, Kinder niederschwellig zu prägen

von Zsolt Balkanyi-Guery  27.11.2025

Hans-Jürgen Papier

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  26.11.2025

Hommage

Pionier des Erinnerns

Der Filmemacher und Journalist Claude Lanzmann wäre diese Woche 100 Jahre alt geworden. Unser Autor ist ihm mehrmals persönlich begegnet

von Vincent von Wroblewsky  26.11.2025

Zahl der Woche

6500 Rabbiner

Funfacts & Wissenswertes

 26.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Coole Nichten, coole Tanten

von Katrin Richter  26.11.2025

Kulturkolumne

Lob der Anwesenheit

Lahav Shani und Jason Stanley: Warum unser Autor nicht nur in der Westend-Synagoge vor Ort ist

von Eugen El  26.11.2025