Yaara Keydar

»Frauen waren alles für ihn«

Frau Keydar, was bedeuteten Frauen für Alber Elbaz?
Sie waren alles für ihn. Liebe und Frauen – das waren seine großen Themen, und diese beiden verband er miteinander. Die Liebe zu Frauen war das Größte in seinem Leben. Er respektierte Frauen und wollte, dass die Mode sich ihnen anpasst, nicht umgekehrt. Es gibt dieses bekannte Zitat von Meryl Streep über Alber, dass, wann immer sie seine Kleider trug, sie nicht das Gefühl hatte, er wolle sie ändern, sondern eher eine bessere Version von ihr erschaffen. Und das ist seine Philosophie: Kleidung ist Teil deines Lebens und soll eine bessere Version von dir schaffen. Sie soll dir Kraft verleihen, es dir bequem machen, dich verschönern, in welchem Körper du auch immer stecken magst.

Wie würden Sie Alber Elbaz jemandem beschreiben, der ihn nicht kannte?
Ein Mann mit einem tiefen Verständnis für die Bedürfnisse der Frauen und einer genialen Begabung für Design. Er war eine richtige Persönlichkeit, er war witzig, klug und aufrichtig. Seine Vorstellung war, den Studierenden nicht nur vom Erfolg zu erzählen, sondern auch über Krisen zu berichten. Von den Tiefpunkten im Leben. Jetzt, da die Ausstellung schon etwas läuft, würde ich sogar so weit gehen, ihn als Heiler zu bezeichnen. Es mag etwas weit hergeholt wirken, aber wenn ich sehe, wie die Menschen in die Ausstellung gehen und wie sie wieder herauskommen: mit Tränen in den Augen. Die Ausstellung gibt ihnen die Möglichkeit, von ihm zu lernen. Aber auch, ihm als Person zu begegnen.

Wie genau?
Es gibt da zum Beispiel diesen gedeckten Tisch mit einigen Highlights aus seinen besten Vorträgen der vergangenen vier Jahre. Und diese Vorträge werden auf die Teller davor projiziert. Die Menschen können also auf sehr bequemen Stühlen Platz nehmen, können ihm zuhören, etwas essen und es genießen. Ich habe diesen Raum »Food for Thought« genannt. Die Ausstellung soll den Besuchern die Chance geben, etwas übers Leben zu lernen. Über Familie, über Träume. Wie man durch schwere Zeiten kommt. Man lernt viel über Liebe. Das Wort wird ja sehr inflationär benutzt, aber es ist in diesem Fall wirklich so. Und: Kein Designer hat auch so viel Liebe zurückbekommen wie Alber. Es gibt die Tribute-Galerie, in der 46 der weltweiten Top-Designer ihn ehren – das gab es in der Geschichte der Mode vorher noch nicht.

Alber Elbaz wuchs in der Nähe des heutigen Design-Museums in Holon auf. War er ein Kind der Stadt?
Absolut. Er wurde ja in Casablanca in eine jüdische Familie geboren. Die Familie zog nach Israel, als er acht Monate alt war, und ließ sich in Holon nieder, als Alber drei wurde. Und bis 1986, bis er nach New York ging, hat er in der Stadt gelebt. Er liebte seine Stadt. Seine Familie lebt heute noch hier. Wenn er in Israel war, war das nicht nur sein Zuhause, es war sein Refugium. Und: In Holon begann er, als Sechsjähriger die ersten Skizzen zu machen. Weil er in seiner Kindheit so viel Unterstützung von seiner Familie und insbesondere von seiner Mutter hatte, konnte er im späteren Leben daraus viel für seine Kreativität ziehen. Er konnte das Gefühl eines Kindes in seiner Arbeit bewahren. Auf diese Weise konnte er in seiner Karriere immer ein Kind bleiben.

Die Ausstellung heißt: »The Dream Factory«. War Alber Elbaz eher ein Träumer oder ein Arbeiter?
Beides. Ich habe den Namen bewusst ausgewählt, weil er beides repräsentiert. Den Träumer, das Kind Alber, das mit Puppen spielte, mit Stoffen, und dann den hingebungsvollen Arbeiter. Was nämlich von außen so einfach aussieht, ist mit harter Arbeit verbunden; früh aufstehen, lange Tage, viele Absprachen, Kollaborationen. Ich hatte während der Gestaltung der Ausstellung immer ein Zitat von Alber vor Augen: »Turning dreams into reality is our dayjob. Sometimes dreams can be nightmares but this is when it becomes interesting. Al­though not always easy, we can let go of those nightmares when we find solutions and then we turn these nightmares into dreams again.« Er war ein Träumer, aber ein hart arbeitender Träumer. Blut, Schweiß und Tränen – er beschönigte die andere Seite nicht.

Es gibt noch ein anderes tolles Zitat von Alber Elbaz: »Fashion is like a fruit: you couldn’t eat it a day before, you couldn’t eat it a day after.«
Oh ja! Er liebte Essen. Ach, er war so klug und weltweit bekannt. Er war ja unter den 100 Most Influential People des TIME Magazine. Ihm wurde zweimal der Officier de la Legion d’honneur der französischen Regierung verliehen. Die Liste mit seinen Auszeichnungen und Anerkennungen ist lang. In Israel ist er weniger bekannt.

Woran mag das gelegen haben?
Wenn er hier war, dann war er bei seiner Familie, er war Privatmensch und wollte eigentlich nur Pyjama-Partys feiern. Diese Zitate sind übrigens überall in der Ausstellung zu finden. Sie sind so einfach, aber treffend und witzig. Und zu sehen, wie die Besucher darauf reagieren, ist einfach nur interessant. Und vor allem auch, wer es benutzt: Das Zitat mit der Frucht zum Beispiel, das sehe ich auch bei Foodies auf Instagram. Ein Zitat lautet auch, dass, wenn er kein Designer gewesen wäre, er Arzt hätte werden wollen. Ein Arzt würde dir Tylenol geben, ein Designer gibt dir ein rotes Kleid, und beide Methoden sind etwas für den Körper und die Seele. Dieses Zitat ist in Israel in Arzt-Gruppen viral gegangen. Der Schirm für alles mag Mode sein, aber darunter liegen so viele menschliche Aspekte.

Haben Sie Alber persönlich getroffen?
Ja, er hatte am Shenkar College studiert, und für alle dort war er ein Leuchtturm, ein Idol. Als ich damals dort studiert habe, war er vor Ort und hat einen Vortrag vor uns Studierenden gehalten. Er war unglaublich und inspirierend. 2016 habe ich eine Ausstellung über die Schauspielerin Ronit Elkabetz kuratiert. Alber und Ronit waren langjährige Freunde. Sie modelte für ihn, als er am Shenkar studierte. Sie trug immer Alber: zu ihrer Hochzeit, auf dem roten Teppich, einfach überall. Als ich also an der Ausstellung mit Ronits Bruder Shlomi arbeitete, bot Alber seine Hilfe an. Ich war so aufgeregt vor unserem Treffen: Meine Hand zitterte, als ich mir während unseres Gesprächs Notizen machte. Ich fragte also, ob ich das Gespräch aufnehmen dürfte – er war so wundervoll und teilte so viele Gedanken mit mir. Das Schöne war: Als ich anfing, an der Ausstellung zu arbeiten – und ich wünschte, sie wäre unter anderen Umständen entstanden –, habe ich nach etwas auf meinem Computer gesucht. Plötzlich poppte dieses Voice-File auf meinem Computer auf: Also hatte ich ganz zufällig diese eine Stunde von damals vor mir, in der er mir sagte, wie eine Ausstellung sein sollte.

Wie denn?
Eine Feier des Lebens, nicht des Todes. Seine Stimme führte mich also zum Konzept für seine spätere Ausstellung. Es war wie ein Zeichen. Ich dachte auch ganz oft daran, was er wohl sagen würde, wie er es finden würde. Wäre es ihm zu kitschig, oder wollte er es ganz anders haben? Ich hatte zudem das Glück, mit den Menschen zusammenzuarbeiten, mit denen Alber auch zusammengearbeitet hat, so wie die Kreativdirektorin Katy Reiss. Sie hatte 15 Jahre lang mit ihm gearbeitet. Aus der Pyjama-Party wurde eine richtige Party mit Discokugel.

Sie haben auch mit der Familie zusammengearbeitet.
Ja, unter anderem mit Alex Koo, seinem langjährigen Partner. Er war es auch, der die Idee zur Tribute-Show vom 5. Oktober 2021 hatte. Wir haben all die Porzellan-Puppen, die Alber für Lanvin geschaffen hatte, nach Israel gebracht. Albers Familie war so großzügig. Alber selbst hob nie etwas auf, aber seine Familie tat es. Alle seine Kinderzeichnungen, Fotografien, Dinge. Sie nahmen sich Zeit, die ganze Familiengeschichte zu erzählen, die so vorher noch nicht erzählt wurde. Es gab so viele Ungenauigkeiten, die über Alber berichtet wurden. Ich habe auch mit Shelly Wertheim zusammengearbeitet, seiner Professorin am Shenkar College, die über 20 Jahre mit ihm zusammengearbeitet hat. Ich hatte also so viele gute und persönliche Kontakte zu Menschen, die mit ihm beruflich und privat zu tun hatten, die ihn liebten.

Stimmt es eigentlich, dass er zwei Hefte für die Schule hatte: eines für Hausaufgaben und eines für Skizzen?
Er sagte, er hatte zwei Rucksäcke: einen für Träume und einen für die Schule. Er brauchte nur Papier und Stifte – der Rest kam einfach so.

Sie sind Modehistorikerin und schreiben gerade Ihre Doktorarbeit über Salome. Was hat Sie daran interessiert?
Als ich in New York lebte, verliebte ich mich in ein Bild von Salome von Henri Regnault im Metropolitan Museum. Ich recherchierte etwas dazu und stieß auf eine unglaubliche Geschichte – lange vor Oscar Wildes Salome-Stück und Aubrey Beardsleys Zeichnungen, lange vor Richard Strauss‹ Oper. Die Rezeption Salomes veränderte sich nach der Renaissance dramatisch. In der Renaissance war sie diese absolut unschuldige junge Frau, die durch ihre Mutter manipuliert wurde. Im 19. Jahrhundert wurde sie zur Femme Fatale. Mir fiel auf, dass man Salome schon aus allen möglichen Blickwinkeln bearbeitet hatte: von den Musikwissenschaften bis zu den Gender-Studies. Aber niemand hat sich je der Mode gewidmet und wie sie sich gewandelt hat. Ich wusste, dass ich da auf etwas gestoßen war, was größer werden könnte.

Auf Ihrem Instagram-Account packen Sie manchmal historische Mode aus. Wie kam es denn dazu?
Mich hat historische Mode schon immer interessiert. Ich war in New York zwei Jahre am Costume Institute des Metropolitan Museum. Und dort habe ich angefangen, verschiedene Mode auf Auktionen zu ersteigern, war in Vintage-Läden, auf Garagen-Verkäufen. Die Verpackung zu sehen, zu entdecken, wie sich Marken verändern, das finde ich faszinierend. Und: Die Menschen packen immer nur neue Sachen aus – nie alte. In einer Box kann ein Wunder sein.

Sie haben zu Beginn von dem gedeckten Tisch gesprochen: Mit wem würden Sie gern daran Platz nehmen?
Neben Alber seine Mutter Alegria, Michelle Obama, Meryl Streep und die Leute, die an der Ausstellung mitgearbeitet haben: Katy Reiss, Alex Koo und Shelly Wertheim. Das wäre wunderbar.

Mit der Kuratorin und Modehistorikerin sprach Katrin Richter via Zoom.
Die Ausstellung »Alber Elbaz: The Dream Factory« ist bis zum 25. Februar 2023 im Design Museum Holon, Pinkhas Eilon St 8, zu sehen.

Weitere Infos unter www.dmh.org.il und www.yaarakeydar.com

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